Es war bereits stockdunkel, als Tobio das Wohnhaus erreichte und durch die Lobby ging. Wie angewurzelt blieb er stehen, als er die Gestalt entdeckte, die an der Wand neben den Fahrstühlen lehnte. Kuroo funkelte ihn aus zusammengekniffenen Augen böse an, dann drückte er auf einen Knopf und verschwand im Fahrstuhl. Unsicheren Schrittes folgte er Tetsurou in die Kabine. Er wand sich unwohl unter den bohrenden Blicken des Kapitäns. Er wollte etwas sagen, doch die angespannte Atmosphäre raubte ihm den Atem, machte es ihm unmöglich, auch nur ein Wort hervorzubringen. Aber er musste etwas sagen, er musste diese Wand, die sich zwischen ihnen gebildet hatte, einreißen. „Ich—"
„Halt den Mund, Tobio. Kein Wort will ich von dir hören. Wie kann man so bescheuert sein?", zischte Kuroo schäumend vor Wut und stürmte aus dem Fahrstuhl, als sie auf ihrer Etage angekommen waren.
Tobio war wie vom Donner gerührt. Er spürte, wie ihn auch noch das letzte bisschen Kraft verließ, als er seinem aufgebrachten Freund den Flur hinunter und in die Wohnung folgte. Als er den Flur betrat, war von Tetsurou schon nichts mehr zu sehen, nur Atsuka stand dort, wartete auf ihn. Sie trat auf ihn zu und half ihm aus der Jacke.
„Tetsu ist furchtbar sauer, weil du mit deinem angeschlagenen Fuß die Wohnung verlassen hast", raunte Atsuka dem Jungen zu.
„Das weiß er selbst. Und wenn nicht, ist er sogar noch dümmer, als ich dachte", fauchte Kuroo wütend, der beim Vorbeigehen gehört hatte, was seine Großmutter dem Setter gesagt hatte.
Kuroos Worte schmerzten Tobio mehr, als irgendeine Gräueltat seiner Eltern es jemals getan hatte. Seine Kehle schnürte sich zu und er bekam keine Luft mehr zum Atmen. Ein schwarzer Rand bildete sich um sein Gesichtsfeld und er spürte, wie seine Beine weich wurden, sein Bewusstsein abdriftete. Langsam ließ er sich mit Atsukas Hilfe auf der Stufe nieder.
„Das darfst du nicht zu ernst nehmen. Tetsu hat sich schreckliche Sorgen um dich gemacht, als ich sagte, du wärst rausgegangen."
Die Worte drangen nur gedämpft an Tobios Ohr. Tiefe Verzweiflung hielt sein Herz umklammert.
Atsuka streichelte dem Jungen behutsam über den Rücken. Tetsurou hatte ihnen nicht verraten, worüber sich die zwei Schwarzhaarigen gestritten hatten. Und das war schlimm. Ihr Enkel hatte ihnen immer von allen Problemen erzählt, aber dieses Mal hatte er geschwiegen. So verletzt hatte sie Tetsu noch nie gesehen. „Komm, Tobio, du musst ein bisschen was Essen. Ich habe Suppe gemacht", sagte sie und zog den aufgelösten Jungen auf die Beine.
Tobio folgte Atsuka in die Küche, ließ sich neben Kuroo auf den Stuhl nieder. Ihm war schlecht, er bezweifelte, dass er auch nur einen Löffel herunterwürgen könnte, doch ihm war auch furchtbar kalt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er ganze sechs Stunden draußen in der Kälte herumgelaufen war. Kein Wunder, dass er sich fühlte wie ein Eisklumpen. Als der wohlduftende Geruch der Suppe seine Nase erreichte, griff er mit zittrigen Händen nach dem Löffel und begann von der Suppe zu schlürfen. Sie war lecker. Und sie wärmte ihn. Aber nur seinen Körper. Der Einzige, der sein Herz wärmen konnte, war Kuroo. Doch der beachtete ihn gar nicht. Tobio wusste nicht, was ihm mehr weh tat. Kuroos verletzende Worte oder von ihm ignoriert zu werden.
„Ich bin fertig", sagte Kuroo und stand auf. Er entfernte sich vom Tisch, aber blieb noch einmal kurz stehen. Ohne sich umzudrehen, richtete er das Wort an den zitternden Jungen. „Ich denke, es ist besser, wenn du heute im Gästezimmer schläfst", sagte er und ging. Sein Herz zersprang in Abermillionen kleinster Teile, während er Tobio allein am Tisch zurückließ.
Tobio fühlte sich völlig verloren. Kuroo wollte ihn nicht mehr. Wenn Kuroo ihn nicht mehr wollte, was sollte er dann noch hier? Hier, in dieser Wohnung, in dieser Stadt, in diesem Land, auf diesem Kontinent, auf dieser Erde, in diesem Leben?

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Rivalität mit Folgen [Teil 1]
FanfictionAls Kuroo das erste Mal bei einem Trainingsspiel zwischen Nekoma und Karasuno auf Kageyama trifft, ist er nicht nur von Tobios blauen Augen fasziniert, sondern auch von seinem spielerischen Können. Nach dem Ende des Trainingsspiels verspricht Kuroo...