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Ich wusste gar nicht, wie viel Uhr es genau war. Aber es war schon sehr spät. Ich war zwar müde, aber ich konnte nicht schlafen. Wie denn auch?

Mir war auch noch kalt. Aber das interessierte mich im Moment gar nicht.
Ave saß nämlich bibbernd vor mir. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Die Kälte hatte sie sehr geschwächt. Ich konnte ihr nicht einmal mein Pulli geben.

Aprubt fiel mir jedoch was ein. Eilig zog ich die Schuhe aus Ich drehte sie mit meinen Füßen um, sodass sie zu Ave schauten. Dann schob ich diese ihr kraftvoll rüber. Eins landete direkt vor ihr. Das andere stoppte zu früh, aber sie könnte drankommen, wenn sie ihren Fuß ordentlich ausstrecken würde.

,,Ave!", rief ich sie.
,,Hmm",kam es kraftlos von ihr.
,,Zieh dir die Schuhe an, dann hast du wenigstens warme Füße."
Ave sah auf den Boden. Dann griff sie zitternd mit dem Fuß zum Schuh und zog es an.
,,Nimm noch das andere."
Ave streckte ihren Fuß aus. Doch sie kam nicht dran.
,,Komm schon Ave, ein kleines Stück noch. Bitte."
Nach weiteren Versuchen zog sie es ebenfalls zu sich. Sofort schlüpfte sie auch da rein.

,,Danke", flüsterte sie.
,,Bedank dich nicht dafür", murmelte ich schuldbewusst.
Sie musste hier raus. Und zwar dringend. Und das, bevor ihr die nächste Sache zustoß.

Ich dachte die ganze Zeit schon nach. Mir fielen viele Sachen ein, aber ich musste auch bedenken, dass Ave geschwächt war.
Meine Augen füllten sich.

Ich wurde verrückt.

Ich war hilflos.

Ich war verzweifelt.

Wut übermannte mich.
,,Du wirst hier raus finden!", sagte ich zu mir selber.
Aves Kopf hing kraftlos runter.
,,Ave?", flüsterte ich.
Es kam keine Reaktion.
,,Ave?! Ave, steh auf!", rief ich.
Langsam hob sie ihren Kopf. ,,Mir ist kalt, Faith."
Ich musste schlucken, um nicht in Tränen auszubrechen.
,,Ich weiß.", murmelte ich.

,,Ayden, ich flehe dich an, finde uns.", hauchte ich in die leere.
Die Tür öffnete sich.
Reflexartig spannte ich mich an. Gott bewahre, es sollte nicht Aydens Vater gekommen sein.

Doch zu meinem Pech war es genau er, mit dem selben Mann an seiner Seite.
,,Bist du jetzt bereit zu sprechen?", ertönte seine barsche Stimme. Ave hatte leicht ihren Kopf gehoben und schon sah sie panisch zu mir.
,,Ich hab gesagt, ich weiß von nichts!", schrie ich. ,,Was willst du von mir!?"

Ein brennender Schmerz durchfuhr meine Wange.
,,Schrei mich nicht an, du elendes Stück. Antworte mir!"
,,Ich weiß es nicht! Verstehst du es denn nicht!", schrie ich wieder.

,,Ich wusste gar nicht, dass dir deine Freundin so unwichtig ist."
Geschockt riss ich die Augen auf.
,,Die Akten deiner Mutter sind dir wohl wichtiger. Aber ich sag dir eins. Dein Vater hat den selben Fehler gemacht und siehe da" er schnippte mit den Fingern. ,,Deine Mutter ist tot."
Er lachte gehässig auf. Meine Augen füllten sich.

War an ihrem Tod wirklich mein Vater Schuld?

Ich wurde am Kinn gepackt.
,,Und deswegen solltest du antworten, wenn du deine Freundin nicht verlieren willst!", rief er.
,,So wie du deine Arbeit oder dein kleines Häuschen verloren hast."

Ich stockte. Das war alles er gewesen. Das hatte alles er gemacht!

Er nickte dem Mann zu. Dieser ging auf Ave zu und legte ein Strickseil um ihren Hals.
,,Nein, nein! Sie hat nichts gemacht! LASS SIE", schrie ich unter Tränen.

,,Beantworte erst meine Fragen!" Wütend schaute ich zu ihm hoch.
,,Es ist mir scheißegal wo mein Vater steckt, wo die Akten sind! Wenn es dich so sehr interessiert dann such ihn doch! Was willst du von mir!"
Ich hatte schon keine Kraft mehr.

Plötzlich zog der Mann an dem Seil. Ave keuchte auf und zappelte rum.
,,AVE! Lass sie in ruhe! AVE!"
Tränen umhüllten meine Wangen. Ave versuchte panisch Luft zu holen. Doch vergeblich.
Hilflos konnte jch nur zusehen und mir die Seele aus aus Leib schreien.

Aprubt hörte der Mann auf, nahm ihr das Seil aber nicht ab.
,,Ich werde noch ein einziges Mal kommen. Wenn du nicht antwortest kannst du deiner Freundin Tschüß sagen. Und wenn du dann immernoch nicht sprichst mache ich mit Aydem weiter."

Ich schluckte. ,,Von dir kann man auch nichts anderes erwarten!"
Er schlug mit der Faust in meine Magengrube, ehe er verschwand.
Ich keuchte auf und verzog das Gesicht.

Aves Kopf hing schlaff nach unten.
,,Ave! Sieh mich an!", rief ich.
Ein leises schluchzen ertönte.
,,Halte durch, ich flehe dich an."
Ich musste hier raus, bevor er wieder kommen würde. Und ich wusste nicht wann er wieder kommen würde. Deswegen musste ich mich beeilen.

Ich hatte keine Kraft mehr.
Aber Ave ging es definitiv schlechter. Es war jetzt keine Zeit da, mich um mich selber Sorgen zu machen.
Entschlossen drehte ich mein Kopf zur Tür.
,,Hey!", rief ich.
,,Ist da jemand!? Hey!"
Es tat sich nichts. ,,Hallo!"

Diesmal öffnete sich die Tür, aber es war nicht der selbe Mann, der uns davor aufs Klo gebracht hatte. Dieser war ein wenig schmächtiger gebaut.
,,Ich muss mal", erklärte ich. Der Mann verdrehte die Augen, dann kam er auf mich zu. Er löste meine Hände und förderte mich nach draußen.
,,Es wird aber länger dauern. Ich hab wahrscheinl-"
,,Ich hab nicht gefragt. Mach schon!", fuhr er mich an.

Schnell ging ich rein. Leise schloss ich ab. Innerlich betete ich, dass er es nicht gemerkt hatte. Dann setzte ich mich auf die Kloschüssel und leerte mich. Schnell stand ich auf und wusch mir die Hände. Ich musste mich beeilen. Die Idee, dass ich das Waschbecken zerschlagen wollte, konnte nicht klappen. Ich hatte nichts zur Hand, um es zu tun.

Ich sah mich um. Mein Blick haftete an dem Fenster überhalb der Toilette. Schnell stieg ich auf die Klobrille. Die Höhe reichte aus, um an das Fenster zu kommen. Ich untersuchte das Fenster. Es war sehr alt. Das hieß, dass es auch schnell brechen würde.
Ich schlug mit meiner Faust drauf. Es tat sich nichts. Schnell griff ich nach der Seife und stieg wieder auf die Klobrille. Ich versuchte mit aller Kraft dagegen zu hauen.
,,Was machst du solange!", rief der Mann von draußen.
Ich fluchte leise.

Dann fiel mir der Schlüssel ein. Damit müsste es klappen. Ich schob es leise vom Schloss und ging wieder ans Fenster.
Ich täuschte ein
Niesgeräusch vor und schlug gegen das Fenster. Noch einmal wiederholte ich den Vorgang.
Am Fenster tat sich was. Noch ein letztes mal schlug ich hart dagegen. Die Scheibe bekam ein riss. Zufrieden sah ich es an.
,,Komm da endlich raus!", rief der Mann von draußen.
,,Ich bin ja gleich fertig!", rief ich zurück.
Ich schlug nochmal leicht dagegen.

Schließlich konnte ich eine kleine Scherbe rausholen. Schnell öffnete ich das Fenster seitlich, damit man nicht so schnell merkte, dass die Scheibe aufgesprungen war.

Ich öffnete die Tür und sah den Mann einfach nur an. Er sah mich misstrauisch an und lugte in das WC. Hoffentlich sah er das Fenster nicht. Ich hatte die Scheibe in meine Handinnenfläche gedrückt. Es schmerzte.
Unsanft packte mich der Mann am Arm und brachte mich wieder in den kahlen Raum.
Er band mich wieder an den Stuhl fest. Dann verschwand er.

Ich atmete seufzend aus. ,,Wir sind gleich draußen, Ave", flüsterte ich ihr zu. Sie sagte jedoch nichts. Ihre Augen waren halb geschlossen. Vorsichtig machte ich mich dran, die Scherbe zwischen meine Finger zu nehmen. Wenn ich es fallen lassen würde hätte ich verloren. Konzentriert versuchte ich, meine Aufgabe zu erfüllen.

PS: wegen dem Fenster: falls euch das unrealistisch vorgekommen ist, das geht schon wenn es ein richtig altes Fenster ist. Vertraut mir.😌😉

Strange life - until i met youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt