Kapitel 2

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Das Schweigen auf der Rückfahrt nach Hause als unangenehm zu beschreiben, wäre wohl die Untertreibung des Jahres gewesen. Es tat fast körperlich weh, wie meine Mutter mich lediglich mit einem eisigen Block musterte ohne ein Wort zu sagen. Sie war mehr als enttäuscht und das ließ sie mich spüren. Gerade als ich all meinen Mut zusammen genommen hatte und etwas sagen wollte, hielt der Wagen plötzlich an. Irritiert sah ich aus dem Fenster und blickte auf ein riesiges Anwesen, dass von einem hohen Zaun umgeben war. Mehrere Wachposten und Kameras sicherten das Gelände.
Es hatte fast etwas von einem Hochsicherheitsgefängnis. Ich schluckte und fragte ängstlich „Wo sind wir hier Mum?" Doch meine Mutter strafte mich noch immer mit Schweigen. Die Fensterscheibe des Autos fuhr runter und sie sprach mit herrischer Stimme zu dem muskulösen Wachmann an der Sicherheitsschranke „Brie Thompson. Er erwartet mich" Der Wachmann nickte nur und schon öffnete sich die Schranke. Der Wagen fuhr die lange Einfahrt entlang zu dem riesigen Gebäude am Ende des Grundstücks.
Auf dem ganzen Gelände war niemand zu sehen.
Was war das hier für ein Ort?

Der Wagen hielt und der Fahrer öffnete uns die Tür. Meine Mutter stieg aus und sagte über die Schulter „Komm mit. Deine Sachen bringt Pierce nach" und ohne auf eine Erwiderung zu warten schritt sie elegant die wenigen Meter zur Tür.
Meine Sachen?
Warum brachte er meine Sachen nach?
Hieß das ich bleibe hier?
Was war das für ein Ort?

Als ich mich aus dem Auto erhob und mein Blick auf die Tür richtet, durch die meine Mutter gerade schritt bekam ich meine Antwort.
Jetzt wusste ich, was das hier für ein Ort war.
Es war das Zuhause meines Vaters.
Er stand da und blickte mich ungläubig an. Offensichtlich hatte Mutter gelogen. So wie mein Vater aussah, hatte er uns keines Falles erwartet.
Er sah mindestens genauso geschockt aus wie ich. „Kenny? Shit was tut sie hier, Brie?" fragte er in die Stille hinein. Ich stand da und starrte ihn einfach nur an. Es war jetzt sicher 5 Jahre her, dass ich meinen Vater gesehen hatte. Irgendwie hatte ich mir unser Wiedersehen fröhlich vorgestellt.
„Wenn ihr zwei endlich rein kommt, sage ich es dir. Wir bereden so etwas nicht zwischen Tür und Angel!"

Mein Vater führte uns entlang der großen Glasfronten des Gebäudes in ein luxuriöses Büro. Schon wieder ein Büro. Schon wieder ein Ort indem man über meinen Kopf entschied, was aus mir werden würde ohne mich zu fragen. Resigniert blieb ich an dem großen Fenster stehen und blickte hinaus, während meine Eltern sich lautstark stritten. Meinetwegen.

„Warum ist sie hier?" fragte mein Vater. „Sie haben sie rausgeschmissen. Deine Tochter ist an der Schule nicht mehr erwünscht. Sie haben sie erwischt, mit zwei ihrer Mitschüler. Nackt. Ich denke du weißt was sie da getrieben hat. Das kann sie nur von dir haben, ich habe sie so nicht erzogen! Es ist beschämend. Sie ist außer Kontrolle. Das meinte auch Charles. Er sagt sie ist volljährig, sie hätten alles versucht, doch sie bekommen es nicht hin. Niemand scheint zu ihr durchzudringen. Und ich kann und will es auch nicht mehr. Deshalb sind wir hier: Ich habe es satt, mich mit ihr rumzuschlagen. Sie ist auch deine Tochter und wir wissen beide, dass dich die Schuld daran trifft, wie sie ist. Es wird Zeit, dass du mehr tust als nur deine Kreditkarte zu zücken."
Mein Vater sah so blass aus, dass ich dachte er wird ohnmächtig, als meine Mutter sagte „Sie ist jetzt dein Problem. Sie bleibt bei dir. Ich bin raus" und damit drehte sie sich um und verließ den Raum.
Sie verließ mich.

Ich spürte wie mir die Tränen in die Augen stiegen und blickte schnell wieder aus dem Fenster. Um jeden Preis der Welt wollte ich vermeiden, dass mein Vater mich so sah. Schwäche war in meiner Familie ein rotes Tuch.
„Kenny..." setzte mein Vater an und ich spürte wie er hinter mich trat. Sofort spannte ich mich an. Er muss es gesehen haben, denn er blieb stehen und ließ die Luft einweichen. „Komm mit. Ich bringe dich auf dein Zimmer. Ich habe gleich noch eine wichtige Besprechung, danach komme ich zu dir und wir besprechen, wie es weitergeht in Ordnung?"
Ich nickte stumm und folgte ihm.
Erneut gingen wir die schier endlosen Gänge entlang. Hier gab es so viel Räume und ich fragte mich, was sich hinter den einzelnen Türen verbarg. Gerade als ich fragen wollte, blieb mein Vater stehen. „Hier ist es. Es ist ein Standardzimmer, aber wenn du willst, kannst du es so gestalten wie die magst. Ich schicke dir morgen meine Assistentin, sie wird die behilflich sein." Er schloss aus und wir traten ein. Das Zimmer war hübsch, wenn auch unpersönlich. Erschöpft ließ ich mich aufs Bett fallen.
Das war es also.
Mein zuhause.

„Ich muss dann los. Bitte bleib hier in deinem Zimmer, bis ich wieder komme. Ich weiß du hast viele Fragen. Gedulde dich noch, ja?" Und damit war auch er weg. Ich blieb alleine zurück.
Alleine in einem fremden Zuhause.

Im Zimmer war es dunkel. Ich musste eingeschlafen sein. Es dauerte einige Minuten, bis ich verstand, wo ich war. Hier war alles so fremd.
Mein Magen knurrte. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen. Verschlafen schleppte ich mich zur Tür. Irgendwo in diesem riesigen Anwesen musste es doch eine Küche geben. Es dauerte eine viertel Stunde bis ich sie endlich fand. Sie war riesig und schon fast obszön gut ausgestattet. Ich eilte zum Kühlschrank und griff mir gierig eine Schale mit Erdbeeren. Ich wollte die Tür schon wieder schließen, als mein Blick auf die Champagner Flasche viel. Ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Alkohol war jetzt genau das, was ich brauchte. Schnell griff ich nach der Flasche und schlich dann auf leisen Sohlen zurück. Als ich den langen Flur entlang lief fluchte ich. Diese Türen sahen alle gleich aus. Wie sollte ich denn da mein Zimmer wieder finden? Vorsichtig öffnete ich eine der Türen, hinter der ich mein Zimmer vermutet. Im Inneren war es dunkel, das was ich erkenne konnte, passte in etwa zu meinem Zimmer. Aber irgendwie auch nicht. Etwas war anders. Es war der Geruch. Ein ausdrucksstarker, außergewöhnlicher Duft lag in der Luft. Es roch nach Mandarinen, Zedernholz und Leder. Der Duft hüllte mich ein und benebelte meine Sinne. Er nahm mich so gefangen, dass ich die Bewegung am Ende des Raumes erst zu spät wahr nahm. Eine Tür, vermutlich von einem angrenzenden Badezimmer, öffnete sich und im Schein des Lichtes, das aus dem Raum in das im dunkeln liegende Schlafzimmer fiel stand ein Mann. Und was für einer. Er trug nur ein Handtuch, dass ihm tief auf den Hüften hing und seine Haare fielen ihm noch feucht von der Dusche ins Gesicht, als sein Blick meinen traf. Ein sündiges Lächeln trat auf sein Gesicht, als er mich sah. Seine Augen schienen zu leuchten, so klar sah ich trotz der Dunkelheit ihre fast unnatürlich eisblaue Farbe. Es waren die schönsten Augen, die ich je gesehen hatte.
Seine Stimme war rau und ging mir sofort unter die Haut als er sagte „Welch unerwartet Überraschung, wolltest du zu mir Kleines?"

The RebellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt