Kapitel 46

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Kalt. Mir war so unsagbar kalt.
Warum war mir nur so verdammt kalt?
Meine Hand streckte sich auf der Suche nach meiner warmen, weichen Decke aus, doch sie griff ins Leere. Alles was ich ertasten konnte war der kalte, nackte Beton unter mir.
Warum lag ich auf dem Boden?
Es wäre so viel leichter, auf all diese Fragen eine Antwort zu finden, wenn ich es endlich schaffen würde, meine Augen zu öffnen. Ein Vorhaben, dass mir absolut unmöglich erschien. Meine Augenlider waren so schwer. Ich spürte bereits, wie ich erneut die Dunkelheit hinab glitt.
Warum war ich so müde?

Ich musste dagegen ankämpfen. Hier stimmte etwas nicht. Sämtliche Alarmglocken schrillten in mir. Mach die Augen auf! Schrie ich mich selbst an. Du musst aufwachen. Jetzt!
Blitzend schlug ich die Augen auf. Das erste was ich sah waren Gitterstäbe. Eiskalte dunkelgraue Gitterstäbe, genau wie in einer Gefängniszelle. Vorsichtig rappelte ich mich auf und ließ den Blick über meine Umgebung gleiten.
Steingrauer Betonboden.
Ein schmales Bett an der Wand.
Daneben ein Waschbecken und eine Toilette.
Keine Fenster.
Nur Gitterstäbe.
Genau wie in einer Gefängniszelle.

Die Erkenntnis traf mich mit voller Wucht.
Verfluchte Scheiße das hier war eine Gefängniszelle!
Erinnerungen der letzten Nacht traten vor mein geistiges Auge. Peter und Steve hatten mich an meinen Vater verraten. Und er hatte mich betäubt. Mein eigener Vater. Empfand er so wenig für seine eigene Tochter? Ich wusste das er nie viel für mich über gehabt habe, aber das hier? Das hätte ich selbst ihm nicht zugetraut. Und sie alle haben mitgemacht.
Natascha
Peter
Steve
Und Bucky
Er hat einfach nur dar gestanden. Als es hart auf hart kam hat er mich hängen lassen. Er hat sich zu ihnen gestellt, gegen mich. Sein Verrat schmerzte von allem was mir in den letzten Stunden passiert ist am meisten. Nicht nur, weil es von der Person kam die ich liebte sondern vor allem weil ich es nicht erwartet hatte. Ich war mir so sicher das er hinter mir stehen würde. Bedingungslos.
Doch ich hatte mich geirrt. Ich hatte seine Liebe für mich überschätzt. Ein fataler Fehler, der mir nicht nochmal passieren würde. Nie wieder.

Was wohl mit ihm passiert ist, nachdem ich ohnmächtig wurde?
Das letzte woran ich mich erinnerte war, wie er auf mich zugelaufen kam, um mich aus Steves Griff zu befreien. Wobei das nicht ganz richtig war. Nicht er kam mich zu retten, sondern der Winter Soldier. Das Monster das in ihm schlummert und das ich geweckt hatte. Gegen seinen Willen. Ein Verrat den er mit möglicherweise nie verzeihen wird. Doch ich hatte keine Wahl. Er hatte mir keine gelassen.
Ob sie es wohl geschafft hatten ihn zurück zu holen?
Ob er wieder er selbst war?

Die Tür am Ende des Flures wurde geöffnet und kurz hatte ich die alberne Hoffnung, dass er es wäre. Das Bucky gekommen war, um mich zu befreien.
Doch durch die Tür trat die Person, die ich gerade am wenigsten sehen wollte.
Mein verdammter Vater.
„Guten Morgen Kenny" Er lief mit selbstsicherem Blick auf mich zu und klang viel zu fröhlich für die Situation in der wir uns befanden „Ich hab dir Frühstück mitgebracht und was anderes zum anziehen. Ich nehme an, du fühlst dich nicht mehr allzu wohl in seinen Klamotten, nachdem er sich gegen sich gewannt hat."
Erst jetzt viel mir auf, dass ich neben meiner Yogapants tatsächlich noch immer Buckys graues Sweatshirt trug. Ich hatte es mir gestern Abend übergezogen, als ich aus der Dusche kam. Er hatte am Esstisch gesessen und bereits auf mich gewartet. Seine Augen waren warm vor Liebe gewesen, als er mich in seinem Pulli sah, der mir viel zu groß war, und mich was verschluckte. „Wenn du nicht nackt bist, ist das mein liebster Anblick. Du. In meinen Klamotten. Das ist echt scharf" hatte er gesagt, während er mich auf seinen Schoß zog und voller Begierde geküsst hatte.
Die Erinnerung daran wie normal und glücklich mein Leben noch vor ein paar Stunden war schnürte mir die Kehle zu.
Würde es je wieder so sein?
Würden wir zueinander zurück finden?

Ich strafte meinen Vater zunächst mit Schweigen. Mein Hass war so groß, ich wollte ihn am liebsten hier und jetzt zerstören. Er hatte mir alles genommen.
Meine Freiheit.
Meine Kraft.
Meinen Geliebten.
Ich hatte alles verloren. Seinetwegen.
Er kam bis an die Gitterstäbe und legte die Sachen dort ab. Neben die Kleidung stellte er einen Kaffeebecher und eine Tüte von Starbucks. „Ich hab dir einen Blaubeer Muffin geholt, den hast du immer so gerne gegessen"
„Da war ich Acht" fauchte ich und genoss es zu sehen, wie er zusammenfuhr. Wieder einmal wurde mir klar, dass er mich überhaupt nicht kannte. Wir hatten keine Vater-Tochter Beziehung. Er hatte es nie versucht. Ich war ihm schon immer egal. Ein Problem, um das man sich notgedrungen kümmern musste mehr nicht.
„Warum bin ich hier?" ich hob den Blick und starrte ihn an „Hast du solche Angst vor mir, dass du mich wegsperren musst?" sofort hatte er sich wieder gefangen, der verletzliche Ausdruck auf seinem Gesicht war wie weggefegt. Alles was geblieben war, was das selbstgefällig Grinsen auf seinen Lippen, für das mein Vater bekannt war. Er war wieder ganz er selbst: Genie, Milliardär, Playboy, Philanthrop - oder kurz gesagt: Tony Stark.
„Du weißt genau warum du hier bist Kenny. Du hast mich hintergangen. Du kommst hier her, in mein Haus und wagst es, die Hälfte meines Teams dazu aufzufordern, mit dir zu fliehen, um sich irgendeiner Gruppe von Fanatikern anzuschließen"
Blitzschnell erhob ich mich und lief auf die Gitterstäbe zu „Die Bruderschaft der Mutanten sind keine Fanatiker. Wir wollen lediglich den Platz in der Welt, der uns zusteht. Und für den werden wir kämpfen, wenn es sein muss. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass es damit vorbei ist? Das es endet, nur weil du mich wegsperrst? Du hast keine Ahnung, mit wem du dich anlegst, Daddy"
Verwundert hob er eine Augenbraue. Mein Vater war es nicht gewohnt, dass man ihm Kontra gab. In der Regel gehorchten ihm die Leute blind. „Drohst du mir etwa?" Ein leichtes Lächeln glitt über meine Lippen „Nein, ich warne dich lediglich. Du hast einen großen Fehler gemacht, mich so zu behandeln. Sie werden kommen, so oder so. Und sie erwarten, mich anzutreffen. Sollte ich nicht Dasein, um den Vermittler zu spielen, nunja, ich will nicht zu viel verraten, aber sei gewarnt: Sie bekommen immer was sie wollen. Wenn du es ihnen nicht freiwillig aushändigst, dann werden sie es sich mit Gewalt holen. Die Bruderschaft ist nicht an so alberne moralische Konzepte gebunden wie deine Avengers. Wenn du sie provozierst, was du schon alleine mit meiner Festnahme getan hast, dann wird es Krieg geben"
Enttäuscht schüttelte mein Vater den Kopf „Du hättest so viel Gutes für die Welt tun können, Kenny. Doch du wählst lieber das Chaos."
Ebenso enttäuscht sagte ich „Nein, du hast es immer noch nicht verstanden. Ich wähle nicht das Chaos. Ich wähle die Freiheit"

The RebellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt