Alola-Kapitel: Mein Zuhause

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Für was kämpfst du? Der Widerhall einer bekannten Stimme brachte Jayden für einen Moment aus der Fassung. Für wen kämpfst du? Was ist der Sinn? Aus den Schatten seiner Erinnerungen formte sich ein Umriss, ein Gesicht - die Stimme. Er schloss die Augen, nur um sich kurz darauf vor den letzten Strahlen des Sonnenuntergangs wiederzufinden. Vor ihm rauschte und brüllt das Meer und die Stimme wurde dringlicher. Egal, für was du kämpfst, das Schicksal bestimmt deinen Weg. Nimm ihn an. Er zeigt dir, wohin du gehörst. Dein wahres Zuhause, deine wahre Bestimmung. Jayden öffnete die Augen wieder, doch die Stimme klebte wie Gift weiterhin in seinen Gedanken. Sie verfolgte ihn, bohrte unsichtbare Klauen in seine Brust und die verbundene Stelle seines Arms. Egal, wie hart du kämpfst... "Nein..." Alles ist nutzlos, wenn du verleugnest, wohin du wirklich gehörst. Hierher. Ungebändigte Wut schwoll in ihm an, fauchte und brannte so stark, dass sich die Knöchel an seinen Fäusten weiß färbten und sich sein Blick verfinsterte. "Jayden?" Laslow bemerkte sein Zögern. "Stimmt etwas nicht?", "...Mir ist nur etwas eingefallen", sagte Jayden plötzlich und blinzelte leicht. Er unterdrückte das Zucken, als er die Hände lockerte und versuchte, den Schmerz zu ignorieren. "Dir ist was eingefallen? Was denn?", "..." Galagladi richtete sich erschöpft auf und blickte über die Schulter zu seinem Trainer, der erst nicht antwortete. Es war nur für den Bruchteil eines Moments erkennbar, doch umso deutlicher - die Leere in Jaydens Augen, trüb und gefühllos. So schnell sie erschienen war, verschwand sie wieder und zurück blieb ein tiefer Atemzug und der Blick nach vorne. "...Ich hab auch noch nie gewonnen.", "Bitte was? Wovon redest du?" fragte Laslow verdutzt. "Ich habe noch nie gewonnen..." wiederholte er, seine Augen verengten sich leicht. "Nicht wirklich... Jeder Sieg bringt einen weiter, aber ich hab mich nie von der Stelle wegbewegt. Ich höre ihn immer noch und er ist nicht einmal mehr...!", "Wen?", "...Nate. Ich höre ihn immer noch. Er ist überall..." knurrte er gequält und schloss die Augen. "Alles, was er gesagt hat... Was er tun wollte. Es verfolgt mich bis heute. Kämpfe sollten mich stark machen. Stattdessen bin ich so schwach wie damals.", "Nate... war das der Abt des Klosters?" Jayden nickte, ohne zu antworten. Laslow schwieg, nicht wissend, was er sagen sollte. Er wusste, wie sehr es Jayden belastete. Sein Blick wanderte zum Kloster. ".... Jayden... ich kann mir nicht anmaßen zu wissen, wie es für dich sein muss... Ich weiß es nämlich nicht. Aber... "Zuhause" muss nicht innerhalb von vier Wänden sein, nicht ein Ort eingeschlossen von Mauern wie ein Käfig. "Zuhause" ist ein Gefühl... ein Ort, an dem man sich am Wohlsten fühlt. Es könnte alles Mögliche sein... das wichtigste ist jedoch, dass keiner einem sagen kann, was sein zuhause ist. Niemand kann jemals bestimmen, wo dein zuhause ist... Keiner kann dir einen Ort aufzwingen, an dem zu zuhause bist... Wo du hin gehörst entscheidest du selbst. Ich weiß, das klingt dämlich, aber...", "Ich weiß jetzt, wo ich wirklich Zuhause bin, aber..." Jayden schüttelte niedergeschlagen den Kopf. "Ich kann kaum schlafen, kaum denken, ohne ihn zu hören. Was er gesagt hat, was er getan hat... Ich bin verrückt geworden.", "Verrückt? So schlimm?", "...?" Er sah ihn verwirrt an. "Ich würde es nicht als "verrückt" oder "paranoid" bezeichnen. Eher als... Flashbacks? Ich kann es wohl nicht beurteilen, aber so würde ich das nennen.", "Vielleicht... Aber macht das etwas aus?", "Wie meinst du das? Was macht was aus?", "Dass du meine Lage nicht beurteilen kannst. Wie auch? ...Ich muss lernen, mit mir selbst fertig zu werden. Erst, wenn ich gegen mich und meine Vergangenheit gewonnen habe, kann ich wirklich weitergehen.", "...Das musst du wissen", sagte Laslow und musterte dann Galagladi. "Weißt du was? Vielleicht ist das Erste, was du tun kannst, zu versuchen, mal einen Kampf ohne Mega-Entwicklung zu bestreiten. Mir fällt auf, dass du oft, nicht immer aber oft, recht früh zu ihr greifst, als wäre sie im Kampf selbstverständlich. Das ist sie nicht. Sie sollte eine Art... letzte Option sein, eine Trumpfkarte. Weißt du, was ich meine? Vielleicht kannst du stärker werden, wenn du versuchst, zumindest einmal auf sie zu verzichten. Zu lernen, wie du einen starken Gegner ohne sie bezwingen kannst. Es muss nicht beim ersten Mal klappen. Was meinst du?", "Ein Kampf ohne Mega-Entwicklung...?" Nachdenklich zuckte Jaydens Blick von Galagladi zu Laslow und wieder zurück. "Ja. Ganz genau.", "Einen Versuch ist es wert." Nicht ganz überzeugt nickte er. Eine Spur von Unsicherheit flackerte in seinen Augen. "So was nennt man experimentieren." Laslow strich sich die Haare zurück. "Wenn du stärker werden willst, musst du manchmal die Art und Weise ändern, wie du kämpfst. Nicht nur auf dieser Ebene." Er tippte gegen seine Schläfe. "Sondern auch hier.", "Ständig mit dem Kopf durch die Wand zu rennen ist also keine Option auf Dauer, huh?" Lachend kratzte er sich am Hinterkopf und lockerte dann die Schultern. "Okay. Fangen wir an!" Laslow nickte geduldig. "Ich lasse dir den Vortritt.", "Bereit?" Das Nicken seines Pokémon bestätigte den Trainer in seinem Vorhaben. "Gut... Geh in den Nahkampf. Morbitesse kann sich auf kurzer Distanz kaum wehren, das ist unsere Chance!" Galagladi stürzte los und verschwand wieder spurlos. Hinter seinem Gegner flimmerte die Luft auf, bevor es erschien und mit der Faust ausholte. Morbitesse wirbelte herum- als hätte es Galagladis Angriff von dort erwartet. Es wehrte die Attacke mit seinem eigenen Duplexhieb ab und setzte dann nach. Es warf Galagladi zurück. "Noch ein Tipp." Laslow verschränkte die Arme. "Als Teleporter tendiert man gerne dazu, hinter den Gegner aufzutauchen... mit der Zeit erwartet man das aber. Ein Angriff von oben oder von direkt vor den Gegner erzielt denselben Überraschungseffekt. Morbitesse!" Es nickte und verschwand. "Psychoschock!" Es erschien über Galagladi in der Luft und feuerte einen Angriff ab. Die Splitter glommen im Sonnenlicht auf wie Sternschnuppen, als sie auf Galagladi regneten. Rechtzeitig konnte Galagladi zurückspringen und hielt sich den Arm vor das Gesicht, als die Splitter Sand aufwirbelten. Morbitesse erschien wenige Sekunden später von links und schlug mit Duplexhieb nach Galagladi. Pfeilschnell reagierte es und hob die Klingen zum Konter. Es duckte sich unter Morbitesses Schlag hinweg und holte mit Psychoklinge aus, doch Morbitesse stoppte es mit Psychokinese und schickte es mit einem weiteren Duplexhieb in die Magengrube zurück. "Seher!" Seine Augen glühten auf. Der Schlüsselstein an Jaydens Handgelenk glühte fordernd auf. Der Drang, Galagladis Mega-Entwicklung freizusetzen, ließ ihn nicht los, doch er wehrte sich. "Bleib wachsam! Geh auf Abstand!" rief er über den Strand. "Morbitesse! Manipulier den Sand nochmal! Aber diesmal nur den nassen!" befahl Laslow. Morbitesses Augen glühten auf und der nasse Sand formte sich zu Schlammbällen, die es auf Galagladi feuerte. Es wich mithilfe seiner Teleportation aus, doch als eine der Schlammkugeln sein Bein erwischte, knickte es leicht ein. "Duplexhieb!" Morbitesse schoss mittels Teleportation vor und nutzte Galagladis kurzes Zögern aus, um einen kraftvollen Schlag in seine Magengrube zu versenken, herumzuwirbeln und mit einem weiteren Schlag seine Flanke zu treffen. Mit einem Aufschrei krümmte Galagladi sich und taumelte schwer auf der Stelle. "Setz ihm ein Ende!" rief Laslow. Morbitesse holte erneut aus und der nächste Duplexhieb erwischte es an der Schulter. Als es zum letzten Schlag der Furie ansetzte, kracht seine Hand gegen Galagladis Schläfe. Mit aufgerissenen Augen setzte Jayden einen überstürzten Schritt nach vorne, doch bevor er etwas sagen konnte, lag Galagladi bereits kampfunfähig im Sand. "...! Was...", "Merkst du, was ich meine?" fragte Laslow. "...Worauf willst du hinaus?" Noch immer starrte Jayden das besiegte Pokémon an, als könnte er noch nicht ganz begreifen, was passiert war. "Die Mega-Entwicklung hat deinen Kampf-Stil geprägt. Ich hab bemerkt, dass du dich zusammennehmen musstest, um sie nicht zu nutzen. Du hast dich zu sehr auf sie verlassen. Du musst, meiner Meinung nach, lernen, auch ohne sie gewinnen zu können.", "Zu sehr... auf sie verlassen?" Er blinzelte einmal - und ein zweites Mal. Still eilte er vor, um sein Galagladi zu stützen und legte den Arm unter den seines Pokémon. Dabei hielt er den Kopf gesenkt, ein Schatten hatte sich über sein gesamtes Gesicht gelegt. "..." Laslow nickte. "Ja. Weißt du, es gibt Trainer, die es schaffen, sogar gegen ein mega-entwickeltes Pokemon zu gewinnen, ohne selbst eine Mega-Entwicklung einzusetzen. Eine Mega-Entwicklung zu haben, bringt dir Sicherheit. Solange du sie nutzen kannst. Aber sobald du sie nicht mehr nutzen kannst, wirst du unsicher, besonders bei starken Gegnern. Komm weg davon. In jedem Kampf, den ich von dir gesehen habe und in dem du Galagladi benutzt hast, hast du die Mega-Entwicklung benutzt." Jayden schwieg. Ohne ein Wort rief er Galagladi zurück und hob dann den Kopf an, sodass das breite Lächeln sichtbar wurde, das auf seinem Gesicht erschienen war. Laslow sah ihm mit verschränkten Armen entgegen. "Was denn?", "Ich kann echt viel von dir lernen..." Jayden richtete sich auf. Laslow schmunzelte. "Heh... dafür sind Freunde da, oder nicht?", "Jep..." Jayden nickte und musterte ihn. Laslow rief Morbitesse zurück. "Gern geschehen.", "Vielleicht soll es so sein." Jayden wandte sich dem Meer zu. "Was im Kloster passiert ist, der Trip nach Alola, der Kampf gerade... Vielleicht ist das ein Zeichen.", "Zeichen? Wofür denn?", "Zu gehen." In sich gekehrt verschwanden seine Hände in den Manteltaschen. "Wer weiß, wie lange. Monate, vielleicht Jahre... Vielleicht für immer.", "Gehen?" Laslow legte den Kopf schief. "Du meinst... weg von hier? Weg von Einall?" Jayden nickte als Antwort. "Hm...", "Huh.... vielleicht. Eine Frage, Jayden..." Er steckte Morbitesses Pokéball in seinen Beutel. "Wo bist du zuhause?", "Zuhause...?" wiederholt er leise. Ihm war anzusehen, dass er nicht mit der Frage gerechnet hatte. Laslow sah ihn an. "Ja. Du hast gesagt, du weißt, wo dein zuhause ist.", "Mein Zuhause..." Er schmunzelte kaum hörbar in sich hinein, drehte sich wieder zum Meer und schloss kurz die Augen, bevor er antwortete: "Mein Zuhause ist bei ihr.", "Bei Mari?", "Ja..." Er nickte überzeugt und verschränkte die Arme. Er war ruhiger geworden als noch zuvor. "Ich verdanke ihr alles, aber... Es geht mir nicht mehr allein um die Schuld, die ich begleichen muss. Ich will bei ihr sein. Egal, wie oft sie sich in Probleme stürzt... Ich will ihr klar machen, wie viel sie mir bedeutet und dass sie mir vertrauen kann..." Er konnte nicht anders, als kurz zu lachen. "Selbst, wenn meine Versuche im Streit um das Marmeladenglas enden.", "Ich glaube, den nächsten Streit um das Marmeladenglas überlebst du aber nicht." Laslow lachte mit. "Haha... Sie kann eine Furie werden, wenn sie will.", "Ich würd's nicht drauf ankommen lassen.", "Herausforderungen machen das Leben erst spannend.", "Pffft... Nachher landest du wirklich noch zwei Meter tief. "Jayden-gestorben, weil er seiner Freundin die Mago-Marmelade weggefuttert hat". Ich seh's schon kommen." Jayden lachte nur und schüttelte den Kopf. "Uh... Vielleicht lasse ich's doch gut sein.", "Wär vielleicht nicht ganz so schlecht." Laslow klopfte ihm auf die Schulter. "Gehen wir zum Pokémon-Center? Ich hätte nichts gegen einen Tee und Galagladi könnte ein bisschen medizinische Versorgung gut tun.", "Ja, du hast recht." Er nickte Laslow zu und sie traten zusammen den Weg zum Pokémon-Center von Tessera an. 

Saviors of Tomorrow 4 (Eine Pokémon-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt