Alola-Kapitel: Zu Besuch in fremden Gedanken

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Jacky atmete tief durch und legte ihre andere Hand auf das Blatt, bevor sie ihre Augen schloss. Erst spürte sie nur ihren Puls und die ruhigen Atemzüge, zu denen sie sich trotz ihrer Aufregung gezwungen hatte. Nur wenige Augenblicke vergingen, bis sie endlich einen Einblick in eine Vergangenheit erfassen konnte, die ihnen verborgen bleiben sollte. Sie konnte Regen hören, spürte selbst die Kälte des Winds und die Nässe der Tropfen, die aus den Wolken prasselten. Die Straßen von Hauholi City waren leer, selbst die Pokémon hatten sich vor dem Sturm in Sicherheit gebracht, der immer mehr an Stärke gewann. Unbeugsam schwemmten die Wellen an Land und gruben tiefe Gruben in den Strand, die Windböen kreischten und wanden sich unter den Regenschauern . Es war, als hätten die grauen Wolken die Sonne komplett verschlungen. Nur das rasche Auftreten von Schuhsohlen auf dem nassen Asphalt störte die stürmische Szenerie. Kaum hörbarer, schneller Atem, dunkle Haare, die an Kopf und Hals klebten und gebrochene Augen, die wie aus Todesangst und Wahnsinn getrieben von Seite zu Seite zuckten ergaben zusammen eine Gestalt, die alleine durch die verlassenen Straßen rannte. Plötzlich riss ein gewaltiger Blitz den Himmel auf, das beängstigend nahe Krachen zerschmetterte ihre Vision und ließ sie orientierungslos und keuchend zurück .

„Was hast du gesehen?" fragte Mari. „I-ich..." Mit aufgerissenen Augen starrte Jacky erst sie und dann den Zettel an. Sie wusste wieder, wo sie war und erinnerte sich daran, normal zu atmen und die verkrampften Hände um das Blatt Papier zu lockern. „Ich... habe nur Hauholi City gesehen. Es war stürmisch und jemand ist durch die Straßen gerannt. Alleine.", „War dieser jemand... Zain?", „Ich weiß es nicht. Ich konnte nichts genauer erkennen...", „Hm..." Mari murmelte vor sich hin. „Es war stürmisch, hast du gesagt? Ist diese Person vor etwas weggerannt?", „Wer auch immer es war, er oder sie war alleine..." Jacky hatte sich wieder beruhigt und steckte die Notiz seufzend zurück. „Keine Stimmen... Aber... Es war, als wäre die ganze Welt gegen diese Gestalt gewesen." Sie hob bedrückt den Blick. „Keiner war da, um zu helfen... Es hat noch nicht einmal jemand nach ihm gerufen. Er war alleine, als wäre er in eine ganz andere Welt geworfen worden.", „Hm...." Das stimmte Mari nachdenklich. „Wirklich? Das klingt ja schrecklich...", „Vielleicht hat Zain sich Team Skull angeschlossen, weil er sonst niemanden fand. Ich vermute jetzt einfach mal, dass er es war... Aber warum ist er dann trotzdem gegangen...", „Ich hab keine Ahnung. Logik ist hier gerade nicht am Start.", „Tut mir leid... So nützlich war die ganze Aktion wohl doch nicht...", „Hör auf damit." Mari schüttelte den Kopf. „Wir sind schon einen kleinen Schritt näher an der Wahrheit und das ist doch was wert, oder nicht? Es ist doch besser, in kleinen Schritten vorwärts zu kommen, als auf der Stelle zu treten.", „Hm... Wenn du das sagst." Jacky wirkte immer noch nicht ganz überzeugt. „Zain ist im Übrigen nicht der einzige, der mich nachdenklich macht", sagte Mari. „Kalani kann das genauso gut. Wenn Kalani etwas weiß, was auch immer es ist... Ich frage mich, was es sein könnte. Als Lehrer muss er doch auch als Hilfsperson für die Schüler herhalten, wenn sie persönliche Probleme haben. Das hat Cheren bei uns in der Schule doch auch immer gesagt. Also... frage ich mich, ob Jayden doch recht hat und Kalani wirklich mehr weiß...", „Vielleicht... Aber warum sollte Addam uns das verschweigen? In Kukuis Labor hatten wir doch erst über Zain geredet...", „Das wäre die nächste Frage. Vielleicht, weil er uns nicht alles sagen muss? Wir sind neu und so weiter und es sollte uns eigentlich nichts angehen. Meinst du nicht auch?", „Vielleicht." Jacky schüttelte nur den Kopf und dehnte die Arme hinter ihrem Kopf. „Es ergibt keinen Sinn, jetzt weiter darüber zu brüten. Wir sollten in die nächste Stunde, wir sind schon spät." Mari nickte. „Vielleicht kann ich Zain für die nächste Stunde gedanklich etwas im Auge behalten und ein paar weitere Puzzleteile sammeln. Ich meine, ich sollte das vielleicht nicht unbedingt machen, aber wenn wir nichts über ihn wissen, wie sollen wir dann mit ihm umgehen? Es ist wie bei Dino, wenn wir..." Als sie ihren Namen erwähnte, hielt sie inne. „...Dino... über ihn wussten wir auch nichts. Wir wissen immer noch nichts von ihm. Und wir haben ihn verurteilt, obwohl... wir ihn nicht mal wirklich kennen. Ich will einfach nicht, dass wir Zain in eine Schublade stecken, in die er vielleicht gar nicht gehört." Jacky erinnerte sich an Jaydens Brief. „...Dino ist blass geworden, als Jayden ihm von Alola erzählt hat.", „Ja, ich erinnere mich. Das war untypisch für ihn. Er weiß was. Eindeutig weiß er was. Und... wir sind ihm wohl nicht ganz so egal, wie er vorgibt...", „Aber warum hat er uns nichts gesagt? Wir waren noch lange genug in Einall... Ich verstehe das nicht.", „Hm.... Vielleicht... wollte er es nicht zeigen.... Ich meine, er hatte ja seinen Stolz und so... aber... ich glaube auch, dass Dino... keine Freunde hat. Ich habe ihn immer nur im Alleingang gesehen. Er.... ich weiß nicht, wirkte manchmal so verbittert. Weißt du, was ich meine?", „Aber er hatte viele Chancen, sich Freunde zu machen. Es ist nicht so, dass er nicht dazu in der Lage wäre, sich Freunde zu machen... Oder?", „.... Genau das wissen wir nicht. Wer weiß, was vorgefallen sein könnte? Vielleicht ist ja was passiert, was dafür gesorgt hat, dass er sich auf niemanden mehr eingelassen hat... dass er sich so sehr auf sich selbst konzentriert hat, um nicht... verletzt zu werden oder so... und deswegen so egoistisch und arrogant geworden ist. Keine Ahnung. Es kann alle möglichen Gründe haben.", „In Momenten wie diesen wünscht man sich wohl, wieder in Einall zu sein... Hier haben wir keine Möglichkeit, Dino zu fragen. Wer weiß, ob er uns überhaupt als echte Freunde sehen würde.", „Ich denke, eher nicht." Mari seufzte. „Genau deswegen will ich etwas über Zain erfahren... damit wir bei ihm tun können, was wir bei Dino verbockt haben. Und selbst, wenn wir Dino fragen würden, meinst du der tischt uns seine Lebensgeschichte auf? Das wäre doch utopisch... wenn er das tun würde, müsste man annehmen, dass er Fieber hat oder so.", „Nicht mal mit allen Krankheiten der Welt würde er uns davon erzählen. ...Vielleicht will er am Ende nur nicht, dass wir sie hören...", „.... Wer weiß... aber ich glaube, du hast recht. Bevor Dino irgendwem was über sich verrät, können Geowaz schwimmen." Mari sah auf die Uhr. „Oha! Wir sollten uns jetzt aber echt beeilen, wir haben nur noch eine Minute!" Schon sprintete sie los in Richtung des Klassenraumes. „Davon rede ich doch die ganze Zeit! Warte auf mich!!" Überstürzt stolperte Jacky ihr hinterher.

Noch vor dem Klingeln erreichten sie den Raum und ließen sich atemlos auf die leeren Stühle sinken, bevor die Klingel Sekunden später erschrillte. „Uff, war das knapp. Entschuldige." Mari lachte peinlich berührt. Dann sah sie sich wieder unauffällig zu Zain um. Kurz zögerte sie- doch dann gab sie sich einen Ruck und ging über die Grenze. Sie begann schweigend, seine Gedanken zu lesen. ‚...sollte ruhig sein, wenn die Schule vorbei ist.' Der Junge mit dem seltsamen, dunkel lila Haaren hatte wie so oft den Blick teilnahmslos nach unten gerichtet. ‚Team Skull treibt sich wieder in Hauholi rum. Nur eine Frage von Stunden, bis sich Keon wieder blicken lässt...' Zain ließ die Schultern etwas sinken, trotzdem waren in seinem Gesicht weder Anzeichen von Ärger oder anderen Gefühlen zu sehen. Für einen kurzen Moment zuckten seine Fingerspitzen, als wäre das die einzige Art, seine Emotionen zu zeigen. ‚Route 1... Wenn er hier ist, dann wird er dort auf mich warten. Wie immer...', ‚Hm...' Mari sah zu Jacky. ‚... Route 1...', ‚Was will er dort?' hakte die Blondhaarige nach. ‚Offensichtlich scheint dort jemand namens Keon auf ihn zu warten, wenn ich es nicht falsch verstanden hab....', ‚Jemand von Team Skull?', ‚Klang zumindest so. Und die scheinen sich öfter zu treffen...', ‚Ich dachte, Zain hätte nichts mehr mit denen zu tun.' Jacky klang immer verwirrter und sah nach vorne. ‚Dachte ich auch... Vielleicht wohl doch noch. Nach der Schule treffen sie sich, wie's aussieht... Was tun wir?', ‚Lass mich raten... Du willst ihm folgen?', ‚Du kennst mich zu gut. Vielleicht sollten wir uns raus halten, aber.... Neugier ist bösartig. Offenbar treibt sich Team Skull immer noch in Hauholi rum...', ‚Und terrorisieren die Bewohner mit ihren banalen Aktionen...', ‚Sie sollten weg gescheucht werden. Meinst du nicht auch?', ‚Einfacher gesagt als getan. Wir sind bestimmt nicht die Einzigen, die Team Skull loswerden wollen. Trotzdem sind sie noch hier.', ‚Was tragischerweise stimmt...'

Die Stimme der Lehrerin unterbrach sie. „Mrs. Sentaku! Mrs. Heavens! Ich würde euch beide herzlich bitten, mit euren Gedanken wieder in das Klassenzimmer zurückzukehren! Ihr scheint mir zu sehr in eure eigenen Gedanken vertieft. Was ist der Effekt der Fähigkeit Multischuppe?" fragte sie mit bohrender Schärfe in der Stimme. Überrumpelt blickte Jacky nach vorne und stotterte nach Worten. „Multischuppe... Sie... Sie reduziert den Schaden des ersten Angriffs?, „Sehr richtig." Die Lehrerin nickte. „Und unter welcher Bedingung?", „Das Pokémon muss unverletzt sein. A-aber es wirkt nicht bei allen Angriffen." Innerlich betete sie, dass es richtig war, als Mari ihr zur Hilfe kam. „Die Fähigkeit wirkt nur bei Attacken, die auf die Verwendung von einem der beiden Verteidigungs-Wertes eines Pokémon abzielen. Bei Attacken wie Duplexhieb oder Armstoß, die mehrfach treffen, wird nur der erste Treffer reduziert. Indirekter Schaden durch Gift oder Verbrennung wird nicht abgeschwächt. Genauso wie Angriffe, bei denen der Schaden vorher feststeht. Also so was wie Konter oder Superzahn." Die Lehrerin nickte. „Das ist korrekt. Nun richtet eure Aufmerksamkeit bitte auf den Unterricht." Jacky wirkte erst zerknirscht, musste sich dann aber ein verlegenes Kichern verkneifen und nickte Mari dankbar zu. ‚Gut gerettet', meinte diese. ‚Du hast was gut bei mir.' Jacky zwinkerte ihr zu, bevor sie sich diesmal ganz auf den Unterricht fokussierte. ‚Daran erinnere ich dich gerne.' Als die Lehrerin mit dem Unterricht fortfuhr, schrieb Mari aufmerksam mit.  

Saviors of Tomorrow 4 (Eine Pokémon-FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt