Ich zog meinen Hausschlüssel aus meiner Handtasche. Mein Herz schlug immer schneller. Es war das erste Mal, dass ich seit dem Karfreitag und dem großen Streit in unser Haus zurückkehrte. Sofort hatte ich wieder die ganzen Bilder vor Augen, wie Roman völlig unberührt dagesessen und an der Konsole gezockt hatte, während Leo im Krankenhaus war. Mir fielen auch seine ganzen Beschimpfungen ein. Nein, so wäre das auf keinen Fall weitergegangen. Das war einfach untragbar. Trotzdem breitete sich immer mehr ein mulmiges Gefühl in mir aus, während ich versuchte den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Irgendwie wollte das aber nicht funktionieren, weil meine Hände so zitterten. "Mausi, gib mal her." Marvin nahm mir den Schlüssel ab und schnell ging die Tür auf. Ich folgte ihm ins Haus. Schon im Flur wurde allzu deutlich, dass hier etwas fehlte. Im Schuhregal standen nur vereinzelte Schuhpaare. Ich würde dieses dämliche Teil sobald wie möglich da entfernen. Das würde bestimmt auch Leo gefallen, denn ich wusste, dass sie es genau wie ich gehasst hatte, immer sofort nach Betreten des Hauses die Schuhe ausziehen zu müssen, weil sich sonst der Hausherr aufgeregt hatte. Auch an der Garderobe hing nur eine verwaiste Jacke von Dani. Ich lief schnell weiter, natürlich ohne aus meinen Schuhen zu schlüpfen. Laut hallte das Klackern meiner Absätze durch das Wohnzimmer. Es war wie kleine Pistolenschüsse in dieser gespenstischen Stille. Wann war es das letzte Mal hier eigentlich so ruhig gewesen? Ich schaute mich im Wohnzimmer um. Alles sah wie immer aus. Nur am Fernseher war ein Loch, wo vorher Romans Konsole gestanden hatte. War ja klar, dass er sie mitgenommen hatte. Womit sollte er sonst seine viele Zeit verbringen. "Man, hattet ihr einen Innenarchitekten, der das hier alles eingerichtet hat?" Marvin schaute sich verwundert um. Klar, er war ja nur vor ewigen Zeiten ein paarmal hier gewesen. Seitdem hatte sich ein Menge verändert. Roman hatte nach Ende seiner Karriere darauf bestanden, dass wir unser Haus professionell umgestalten ließen. "Das sieht so überhaupt nicht nach dir aus, Mausi. Ist irgendwie alles so kalt und steril. " Ich musste schlucken. Auch damit hatte Marvin recht. So richtig gefallen hatte es mir nie, aber bei dem Geld, was für die ganzen Designermöbel draufgegangen war, konnte man sie ja auch nicht einfach wieder rausschmeißen und gegen IKEA ersetzen. Obwohl ich mich damit viel wohler gefühlt hätte. Und die Kinder wahrscheinlich auch. So mussten sie ja immer vorsichtig sein. Ich musste daran denken, wie Dani diese hässliche Vase abgeschossen hatte. Ich hatte mich so gefreut, dass das blöde Ding weg war, aber Roman hatte einen Aufstand veranstaltet. Warum hatte ich das eigentlich so lange mitgemacht? Ach ja, weil ich ja das Geld verdienen musste, stieß es mir wieder bitter auf. Ich ging weiter auf Inspektionstour. In unserem begehbaren Kleiderschrank war Romans Teil feinsäuberlich geräumt. Der Raum war jetzt zu zwei Dritteln leer. Ich fragte mich, wie er die ganzen Klamotten überhaupt in sein Auto bekommen hatte. Für meine Sachen würde es auch einfacher Kleiderschrank tun. Kopfschüttelnd lief ich raus ins Schlafzimmer. Neben meinem Bett bückte ich mich und hob den Bilderrahmen auf, der dort lag. Es war der mit unserem Hochzeitsfoto. Ich betrachtete es kurz und strich darüber. Ich war an dem Tag so glücklich gewesen. Wieso hat sich das alles so geändert? Wütend holte ich aus und schleuderte den Rahmen gegen die Wand. Laut scherbelnd fiel er zu Boden. Ich drehte mich um und verließ das Zimmer. Mein Weg führte mich weiter in Danis Zimmer. Hier war alles unverändert. Fast schon erleichtert atmete ich auf und lief in Leos Zimmer. Ich musste ihr ja auch ein paar neue Sachen ins Krankenhaus bringen. Was war ich erleichtert gewesen als sie gestern aus dem OP zurückgekommen war und der Arzt mir versichert hatte, dass alles gut verlaufen war. Als ich sie heute Morgen besucht hatte, war ihr Arm in einer dicken Schiene aus der ein komisches Gestell herausschaute eingebunden gewesen. Das würde ihr noch ein Weilchen erhalten bleiben, aber dann gab es die Reha. Und wie der Doktor uns erklärt hatte, würde einer vollständigen Genesung nichts im Wege stehen. "Na, da wird es aber eng im Bett.", lachte Marvin. Mir war sofort klar, was er meinte. Max hatte gestern einen Teddybären aus dem Krankenhausshop angeschleppt, der größer als ein Meter war und ein riesiges Herz in der einen Hand hielt. Vorhin hatte Leo an ihn gekuschelt zusammen mit Max im Krankenbett gelegen. Sie würde ihrem neuen Stofftier garantiert einen Ehrenplatz neben Wuff zukommen lassen. "Ich sollte sowieso ein neues Bett kaufen, noch bevor Leo aus dem Krankenhaus kommt. Ich denke mal, Max wird hier jetzt öfter übernachten und es wird Zeit für ein Doppelbett. Das alte ist ja viel zu klein." In Gedanken fügte ich noch und kindlich hinzu. Welche 15 jährige wollte schon noch ein rosa Himmelbett mit Sternenhimmel darüber. Eigentlich fehlte nur noch die Prinzessinenkrone. Irgendwie passte es überhaupt nicht zu Leo. "Ach, Mausi. In dem Alter ist doch kein Bett zu klein. Es ist nur kuscheliger.", zwinkerte mir Marvin grinsend zu. "Aber, ich helfe dir gerne das auszutauschen." Ich schaute zu dem Regal über ihrer Kommode "Das ist doch nicht wahr.", platzte es aus mir heraus. "Der Arsch hat ihre ganzen Fussballpokale und Medaillen mitgenommen. Das kann er doch nicht machen. Das sind Leos.", regte ich mich auf. "Da kümmern wir uns dann auch noch drum. Karin wird dir bestimmt helfen sie zurückzubekommen.", versuchte er mich zu trösten und lief mir hinterher in Delphies Zimmer. Hier war wirklich alles leer geräumt. Selbst die Ballettbilder an der Wand fehlten. Meine Tochter war also wirklich zusammen mit ihrem Vater ausgezogen. Meine Hoffnung, dass sie am Ende der Ferien zurückkam, war verpufft. Ich ließ mich schockiert auf ihren Schreibtischstuhl sinken. Kurz schloss ich meine Augrn und schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an. Als ich meine Augen öffnete, starrte ich auf einen Zettel. 'Ich hasse dich, du warst gemein zu Papa. Ich will dich nie wieder sehen.', stand dort feinsäuberlich in der Schrift meiner Tochter. Es traf mich wie ein Schlag mitten in das Gesicht. Klar, hatte ich mich die letzten Jahre viel zu wenig um meine Kinder gekümmert. Und um Delphie noch viel weniger. Wie hatte das nur passieren können? Wie und warum war klar. Ich hatte Delphie einfach von kleinauf Roman überlassen und er hatte sie nach Strich und Faden verwöhnt. Trotzdem war es nur schwer zu ertragen so etwas zu lesen. Wütend griff ich den Zettel und knüddelte ihn zusammen ehe ich ihn mit voller Kraft in den Papierkorb warf, der geräuschvoll umkippte. Ich beugte mich hinunter, stellte ihn wieder auf und begann den Inhalt, der rausgekullert war wieder einzusammeln. Das war doch die Schmuckschatulle von den Ohrringen, die ich für meine Tochter zu Ostern besorgt hatte. Vorsichtig öffnete ich sie. Natürlich waren die kleinen Ballettschuhohrringe noch darin, was hatte ich auch erwartet? Trotzdem tat es ungemein weh. "Das hat sie nicht so gemeint. Sie wird sich wieder beruhigen. Hebe die Ohrringe auf." Marvin strich mir sanft über den Rücken. "Wird sie nicht." Soweit kannte ich meine Tochter dann doch. Sie war nachtragend und unversöhnlich und das extrem für ihr junges Alter. "Sieh nicht so schwarz, Mausi. Jetzt bringst du erst einmal hier alles auf die Reihe. Und dann kümmerst du dich um Delphie." Ich nickte. Ja, ich würde nicht einfach so aufgeben und mich durch so einen blöden Zettel entmutigen lassen. Ich griff ihn mir und entfaltete ihn wieder, ehe ich ihn glatt strich. Ich würde ihn zusammen mit den Ohrringen aufbewahren. Und irgendwann würde ich ihn zusammen mit ihr zerreißen. Dann, wenn sie mich nicht mehr hasste. Ich würde alles daran setzen, dass dieser Zeitpunkt möglichst bald eintreten würde.
DU LIEST GERADE
Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6
RomanceJasmin ist seit über 15 Jahren eigentlich glücklich verheiratet. Aber eben nur eigentlich. Und auch mit den drei Kindern läuft nicht alles wie es sollte. Dazu kommt noch jede Menge Arbeit in ihrer Agentur. Trotzdem ist ja doch alles ziemlich bequem...