Kapitel 95

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Leo sprang hinter unserem Auto von Max Motorrad und kam zur Beifahrertür gerannt, während sie wie wild an ihrem Motorradhelm herumzuppelte. Ich stieg schnell aus als meine Tochter entnervt ihr Visier hochklappte "Das blöde Ding geht nicht auf.", knurrte sie, ehe sie sich scheinbar wieder auf das besann, was sie eigentlich wollte "Mama, das ist ja ein Segelverein. Gehen wir segeln? "  "Überraschung." Ich hatte kaum genickt und ausgesprochen als auch schon ein Motorradhelm gegen meinen Kopf knallte und ich umarmt wurde. "Sorry," Leo zog ihre Schultern hoch und schnitt eine Grimasse, während sie wieder begann am Kinngurt ihres Helms zu hantieren und dabei wie ein Rohrspatz zu fluchen. "Süße, warte. Ich helfe dir." Max war neben uns aufgetaucht und machte sich am Kinnriemen zu schaffen, der sofort aufsprang. Ganz vorsichtig zog er ihr den Helm vom Kopf und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Die beiden waren so süß zusammen. Momentmal süß. Hatte er sie eben Süße genannt? Den Kosenamen hatte ich ja noch nie bei den beiden gehört....Ja, sie wurden immer erwachsener und ihre Beziehung auch. "Aber Mama, brauchen wir da nicht irgendwie besondere Klamotten?" Leo stand vor mir und machte wilde Handbewegungen vor ihrem Körper "Du weißt schon so wasserfeste Anzüge in quietscheentengelb oder so?" Man, war sie auf einmal aufgeregt. "Bei dem Wetter nicht. Das einzige was wir brauchen sind Schwimmwesten." Leo verzog ihr Gesicht "Wieso, ich kann doch schwimmen?" "Auch wenn du einen Baum vor den Kopf bekommen hast und von Bord gehst?" Leo verzog wieder ihr Gesicht "Wo soll  denn da mitten auf dem See ein Baum herkommen?" Ja, klar woher sollte sie die ganzen Begriffe kennen. Da musste ich nachher erst einmal eine kleine Einführung in das Segel ABC machen. "Boah, haben sie euch hier auch angeschleift?" Tessa sah noch ziemlich verschlafen und unmotiviert aus. Im Gegensatz zu ihren kleinen Schwestern, die anghüpft kamen und Ella umarmten "Heute segelst du auch mit uns.", jubelten die beiden. Und ich fand Ella sah auch nicht gerade abgeneigt aus. Wenn ich es richtig anging, hatte ich da bestimmt oft eine Segelbegleitung. "Na, los Auto ausräumen. Wir wollen ja auch mal loslegen, ihr Schnecken." Franzi umarmte mich auch lachend "Hast du es schon gesehen?", fragte ich sie aufgeregt. Irgendwie fühlte ich mich gerade wie vor fast dreißig Jahren. Franzi schüttelte den Kopf "Unser Boot, schauen wir auch zusammen an. Marco, helfe mal Marvin das Auto ausladen" Sie winkte ihren Mann heran "Und wir beide gehen jetzt gucken." Ehe ich mich versah hatte meine Freundin sich untergehakt und zog mich mit sich. Mein Herz fing immer schneller an zu schlagen. Man, war das albern. Das war doch nur ein Segelboot. Wieso drehte ich so durch? Franzi öffnete die schwere Metalltür zu einer größeren Halle und knipste das Licht an. Und dann sah ich sie, unsere neue kleine Alex, die da auf dem Slipwagen stand. Ich lief um sie herum und strich mit meiner Hand über das Deck in Mahagoniholz. Vorne am Bug prangte auch schon der Name. Es war genau der gleiche Schriftzug wie an unserer alten kleinen Alex, nur mit der  2 versehen. "Boah, das ist ja der Hammer." Leo rannte plötzlich um das Boot herum. Wo kam sie denn auf einmal her? "Wieso hast du mir das nicht erzählt?", wurde ich sofort weiter gelöchert. "Habt ihr die Alex vom Wannsee hergeholt?" Leos Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. "Nee, die ist neu. Sonst würde ja heute keine Taufe stattfinden.", lachte Kathie, die gerade mit einem wunderschönen Blumenkranz in ihrer Hand die Halle betreten hatte. "Wie Taufe?" Leo schaute mich mit aufgerissenen Augen an "So richtig mit Sektflasche und so? Geht die da nicht kaputt?" "Doch, deshalb wird der Sekt nur über den Bug gegossen." Leo schaute erleichtert. "Was heißt hier Sekt? Ich habe Marco eine Flasche Champus aus dem Hals geleiert. Unsere kleine Alex 2 hat ja wohl was besseres verdient." Ich musste lachen als ich Franzis grinsendes Gesicht sah. "Was machst du denn da?" Leo stand schon wieder hinter Kathie, die gerade den Blumenkranz vorne am Bug befestigte "Warum machst du da einen Blumenkranz ran?" "Das macht man so, weil es Glück bringen soll. Und der Kranz muss nachher abgesegelt werden.", erklärte Kathie ihr.  "Und seid ihr zufrieden mit meiner Arbeit?" Vicki umarmte uns zur Begrüßung. "Danke, wie immer perfekt." Bedankte ich mich bei ihr. "So, jetzt wird es aber Zeit, dass das gute Stück endlich an die frische Luft und ins Wasser kommt." Ich schaute zu Franzi und wir griffen beide nach den Griffen vom Slipwagen. Das fühlte sich so gut an. So vertraut. Wie oft hatten wir das schon gemacht. Und wie lange leider nicht mehr. Ich spürte einen fetten Kloß im Hals. Und dann war da noch eine Hand neben meiner "Mama, ich helfe mit." Ich schaute zu Leo, die mich begeistert anstrahlte und musste fest schlucken. Man, war ich heute emotional...
Nach vielen Erklärungen, Stella und Luna gaben ihr gesammeltes Wissen auch gerne mit zum besten, war jetzt der Moment gekommen. Ich schaute zu Franzi, die mir zunickte. "Leo, kommst du mal bitte." Meine Tochter kam sofort angerannt "Was denn Mama?" Ich holte die Champagner Flasche hinter meinem Rücken hervor. "Du musst jetzt deinen Job machen und das Boot taufen. Du bist die Taufpatin." "Ich?" Leo riss ihre Augen auf und zeigte total schockiert auf sich. "Aber ich weiß doch gar nicht, was ich da machen muss." "Dit is doch janz einfach, meene kleene Schnute.", mischte sich mein Vater ein, der bei dem Ereignis genauso wenig wie meine Mutter fehlen durfte "Du kippst die Brühe darüber und sagst een paar jewichtige Worte wie allzeit jute Fahrt. Und denn musste natürlich uff Jungfernfahrt bis dit Ding davorne abjefallen is." Er zeigte mit seiner Hand auf den Blumenkranz, während das Boot sanft am Steg schaukelte. Leo nickte ehrfürchtig "Aber ich kann doch gar nicht segeln." "Dafür sind ja och deene Mutta und Franzi zuständig." Ich sah die Erleichterung in den Augen meiner Tochter aufblitzen. "Na, dann her mit der Flasche." Ich reichte sie ihr und hörte auch schon ein Ploppen. Der Korken flog durch die Gegend. "Ich taufe dich auf den Namen kleine Alex 2 und wünsche dir allzeit gute Fahrt.", hörte ich Leo laut sagen als ihr Max noch etwas zuflüsterte "Und allzeit eine Hand breit Wasser unter dem Kiel.", fügte sie dann noch schnell an als auch schon der Champagner über den Bug lief. "Das ist eine Jolle, die hat kein Kiel, sondern ein Schwert.", war Lunas Stimme zu vernehmen. Ja, da hatte wohl jemand gut bei der Theorie aufgepasst. "Genau, und das kann man aufholen.", krähte auch Stella. "Danke, ihr Expertinnen.", brummte Leo und schaute mich fragend an. "So und jetzt auf zur Jungfernfahrt." Ich reichte ihr die Regattaweste, die ich extra für sie besorgt hatte und schlüpfte auch in meine, genau wie Franzi. "Na, los hopp ins Boot." Leo kletterte hinter mir hinein. "Und jetzt?" Sie schaute mich unsicher an. "Jetzt setzen Franzi und ich die Segel und du setzt dich da hinten an das Ruder." Leo schaute sich suchend um, bis ich ihr ein Handzeichen gab. "Aber wenn ich mich da hinsetze zerkratze ich da nicht das Holz?" Sie strich sanft mit ihrer Hand darüber. "Nur, wenn du Jeans zum Beispiel mit Nieten hinten an der Hosentasche an hast. Ich habe dir aber extra diese Shorts eingepackt. Also alles okay." Meine Tochter nickte zufrieden. "Und nachher musst du immer aufpassen, dass du den Baum nicht abbekommst." Ich klopfte mit meiner Hand dagegen  "Ach das ist der Baum." Man konnte sehen wie Leo sich an ihren Spruch von vorhin erinnerte und ihr jetzt ein Licht aufging, warum es doch Bäume mitten auf dem See gab, die man vor den Kopf bekommen konnte. "So, fertig." Ich schaute begeistert auf die grüne Vock und das grüne Großsegel. Selbst die Segelfarbe war original die gleiche wie bei unserer ersten Alex. Wieder musste ich schlucken. Das war so.....so....überwältigend und ich freute mich so sehr wie schon lange nicht mehr. Besonders dieses Ereignis mit meiner Tochter zusammen zu erleben. Enthusiastisch stieß ich das Boot vom Steg ab. Und dann fing sich auch schon der Wind in den Segeln. Während Franzi sich als Vorschoterin betätigte, setzte ich mich ans Ruder. Leo bekam zwischen uns den Platz. Und dann ging es auch schon richtig ab und wir glitten über den See. Franzi und ich gaben die Erklärbären. "So, und jetzt wird mal richtig ausgeritten." Wir lehnten uns weit hinaus und der Wind fing sich nur so in unseren Haaren. "Boah, ist das geil.", quietschte meine Tochter begeistert neben mir. Ja, das war absolut geil. Dieses Feeling von unendlicher Freiheit. Man  hatte ich das vermisst.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt