Kapitel 102

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Mir klappte mein Kiefer herunter und in meinem Bauch braute sich eine extreme Wut zusammen. "Das kannst du vergesssen.", brüllte ich in mein Handy. "Das wird niemals passieren." "Du hast die Wahl. Ich lasse dir bis Montag Zeit.", ertönte die Stimme des Mannes, den ich einmal geliebt hatte, aus dem Lautsprecher, ehe ein hämisches Lachen erklang "Oder ihr packt die Sachen. Also bis Montag." Dann herrschte Stille in der Leitung. Fasssungslos starrte ich auf das Handy, das vor mir lag. Das konnte doch nicht sein Ernst sei. Gefrustet griff ich nach dem Teil und schmiss es gegen die Wand, an der es abprallte und dann mit einem Scheppern auf den Boden fiel. Okay, das war garantiert hinüber. Mit Handys werfen war vielleicht nicht gerade die beste Idee zur Frustbewältigung, musste ich zugeben. Aber momentan hatte es kurzzeitig gut getan. Viel lieber hätte ich etwas oder besser jemand anderes an der Wand zertrümmert. "Mama.", hörte ich Leos gedämpfte Stimme an der Tür. Sie schaute mich schockiert, um Haltung bemüht, an. Mist, dann hatte sie wahrscheinlich die Forderung ihres Vaters gehört. Wieso hatte ich dumme Kuh auch auf Lautsprecher gestellt? Ich lief schnell zu ihr und zog sie in meine Arme. Der Versuch sie zu trösten und zu beruhigen, endete darin, dass wir uns gegenseitig umklammerten. Ihre Nähe spendete mir gerade unwahrscheinlich Kraft. Was würde ich in dieser ganzen Misere nur ohne meine Große machen? "Mama, wir bleiben hier in dem Haus wohnen. Das ist unser zu Hause." Leo schaute mich traurig an, ehe ihre Augen zu schmalen Schlitzen wurden und sie mich kämpferisch anschaute. "Dann gehe ich halt nach Fröhlisberg. Ich stelle da einfach so viel Mist an, dass sie mich spätestens nach drei Tagen rausschmeißen." So wie sie schaute, wusste ich, dass sie das ernst meinte. Aber damit wäre es ja nicht getan. Ganz zu schweigen, dass ich das nicht im geringsten zulassen würde. Ich hielt Leo auf Armes Abstand und schaute sie ernst an "Maus, du gehst nirgendwo hin, wo du nicht hinwillst. Ich verkaufe keines meiner Kinder für so ein blödes Haus. Lieber würde ich unter der Brücke schlafen als so einen Handel anzunehmen." Leo schüttelte ihren Kopf "Aber Dani, Ella, Mika und die Hunde. Die brauchen doch ihr Zuhause. Ich kriege das schon hin." Ihre Selbstlosigkeit trieb mir die Tränen in die Augen. Ich wusste wie schwer ihr es fallen würde in die Schweiz zu gehen. Ganz zu schweigen davon wieder im Tor zu stehen. Das würde ich niemals zulassen "Nix da. Dann suchen wir uns halt ein anderes Haus. Das Geld dafür haben wir ja. Und Zuhause ist man da, wo alle Menschen sind, die man liebt. Das ist ortsunabhängig." Ich zog Leo wieder in meine Arme und drückte sie ganz fest. "Außerdem könntest du ja Wuff nicht alleine lassen." Wie auf Kommando ertönte ein leises Wuff neben uns. Wir mussten beide lachen und Leo beugte sich zu dem kleinen Fellknäuel hinunter und nahm es auf den Arm. Sofort wurde ihr Gesicht ausgiebig abgeschleckt. Bei dem Anblick wurde mir sofort warm ums Herz. "Wir finden eine Lösung. Okay?", wandte ich mich noch einmal an meine Tochter, die nickte. "Was für eine Lösung?" Marvin kam neugierig ins Zimmer marschiert und ließ seinen Blick von mir zu Leo gleiten. "Ach, ich habe mit Roman telefoniert." Marvin folgte meinem Blick zu dem Telefon, das immer noch zerstört auf der Erde lag. "War wohl ein nicht so erfolgreiches Gespräch?" Er zog seine Augenbrauen hoch. "Naja, wie man es nimmt. Er..." Die Haustürklingel unterbrach meine Ausführungen. Ich schaute schnell auf meine Uhr. "Das muss Franzi sein. Wir sind zum Segeln verabredet." Mist, da hatte ich ja überhaupt nicht mehr dran gedacht. Da hatte ich definitiv keine Zeit mehr für. Jetzt waren andere Dinge wichtig. Wir mussten sofort einen Markler beauftragen etwas neues für uns zu finden. Bei dem Gedanken musste ich schon schlucken. Wo wir doch gerade das Haus erst neu renoviert und eingerichtet hatten und es endlich wirklich ein Zuhause war. Ich schüttelte kurz den Kopf. Was hatte ich gerade vorhin zu meiner Tochter über den Begriff Zuhause gesagt? Trotzdem tat es schon weh. "Ich sage ihr nur schnell Bescheid, dass ich doch nicht kann. Wir müssen schließlich..." Marvin hob seine Hand, um mich zu unterbrechen "Heute ist Samstag und da haben wir frei und müssen mal gar nichts. Und so viel ich weiß, hast du dich schon tierisch auf das Segeln die ganze Woche gefreut. Also wirst du es nicht absagen. Und so wie ich schätze, dass das Gespräch gelaufen ist, kannst du ein bisschen Ablenkung und frische Luft gut gebrauchen." Damit hatte er sicher recht "Aber...." Er schüttelte den Kopf "Nichts aber. Du gehst jetzt segeln und ich bin mit den Kindern in der Spielscheune. Na los, Abmarsch, Mausi. Und viel Spaß." Marvin drückte mir einen Kuss auf die Stirn und schob mich Richtung Tür. Wie zur Bestätigung erklang auch wieder ein mehrfaches ungeduldiges Klingeln. Ich beeilte mich also Franzis Misshandlung unserer Klingel zu beenden. Hinter mir hörte ich wie Leo mit empörter Stimme anfing auf Marvin einzureden "Stelle dir mal vor, was dieses Arschloch von Mama verlangt hat..." Kurz überlegte ich noch einmal umzudrehen, um Marvin selbst darüber zu informieren , als auch schon die nächste Klingelsalve losging. "Na, endlich.", wurde ich auch sofort von Franzi begrüßt als ich die Tür aufriss. "Ich dachte schon mein Tank ist leer, ehe Madame sich bequemt in mein Auto zu steigen." Sie zeigte auf ihren Wagen, der mit laufendem Motor vor unserem Eingang stand. Ich drehte mich noch einmal um und griff meine Tasche. Glücklicherweise hatte ich gestern schon alles zusammengepackt. Ein kurzer Blick zum Himmel sagte mir, dass heute das perfekte Segelwetter war. Nur kleine Wölkchen waren am strahlend blauen Himmel zu sehen und die Temperaturen waren auch mehr als angenehm. Ja, so ein Tag im Segelboot war genau das, was ich jetzt brauchte. Da hatte Marvin recht. Beim Segeln würde ich den Kopf frei bekommen und dann mit neuer Kraft mich der Immobiliensuche widmen können. "Sag mal, warum guckst du so verbissen? Ist irgendetwas passiert?" Franzi schaute mich besorgt an "Erzähle ich dir später." Wir würden dazu garantiert noch genug Zeit haben. Wenn ich jetzt damit begann, überlegte ich es mir nachher doch noch und drehte wieder um, um hierzubleiben. "Alles klar zum Segeln?", fragte ich also im besten Segelkommandoton. "Ist klar.", antwortete Franzi prompt grinsend. "Na dann, ab ins Auto." Ich musste auch schmunzeln als wir beide wie früher als Teenager losstürzten. Nur dieses Mal nicht zu unseren Fahrrädern sondern zu Franzis Auto. Wir plumpsten auf die Sitze und dann jaulte auch schon der Motor auf "Ich will Spaß, ich will Spaß.", fing Franzi an zu singen und ich stieg mit ein "Ich geb Gas, ich geb Gas." Wir schauten uns an und mussten beide lachen. Ja, der Tag würde heute noch richtig gut werden, egal wie er angefangen hatte. Zeit mir Gedanken zu machen, hatte ich auch noch später.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt