Kapitel 72

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Man, das Tippen mit einer Hand war echt nervig. Für diesen blöden Vertrag hatte ich mindestens dreimal so lange benötigt wie normal. Das war so ein Mist, gerade jetzt wo wir nur zu dritt in der Agentur waren und so viele Vertragsabschlüsse und Verhandlungen anstanden. Wie sollte ich das nur alles schaffen? Vor allem mit dieser miesen Bremse von Gipsarm? Jetzt konnte ich erst richtig verstehen wie sehr Leo von ihrer Schiene und ihrem Fixateur genervt gewesen war. Und ich konnte auch jetzt erst wirklich verstehen, warum sie manchmal so miese Laune gehabt hatte, wenn Max ihr alles abgenommen und sie nichts hatte machen lassen. Marvin funktionierte da ähnlich. Man bekam irgendwie das Gefühl wie ein kleines Kind bevormundet zu werden und fühlte sich total unfähig zu allem. Heute morgen hatte ich ihm Gewalt angedroht, falls er mir noch die Zähne putzen und mich waschen wollte. Ich griff zu meinem Handy. Bestimmt würde es mir ganz gut tun, Leos Stimme zu hören. "Hallo Mama, ist was passiert, dass du mitten am Tag annrufst?" Meine Tochter hatte einen leicht panischen Klang in der Stimme "Nee, überhaupt nichts, Maus. Ich brauche nur gerade eine positive Ablenkung von meiner Arbeit." Ich hatte Leo bis jetzt noch nichts von dem Auftritt ihres Vaters und meinem Arm erzählt und so sollte es auch bleiben. Sie sollte einen unbeschwerten Urlaub haben und sich nicht Sorgen über andere Sachen machen.  Ich war so zu frieden, dass sie das ganze mit ihrem Arm so gut gepackt hatte, ohne offensichtlich seelischen Schaden zu nehmen. Da brauchten wir das nicht jetzt noch riskieren. "Das ist ja mal was ganz neues.", lachte meine Tochter "Sonst schüttelst du die Arbeit doch immer aus dem Ärmel." Ja, das war ja das Problem. Der Ärmel war von einem Gips blockiert. "Was habt ihr denn heute so gemacht?", wechselte ich also das Thema "Mama, es ist gerade einmal 12 Uhr. Wir haben nur gefrühstückt und liegen jetzt am Strand." Ja, klar. "Na, dann weiterhin viel Spaß und grüße die anderen." Ich legte mein Handy zurück auf den Schreibtisch, ehe ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurücklehnte und die Augen schloss. So ein kleines bisschen nach Ibiza an den Strand träumen konnte ja nicht schaden. "Mausi, ist alles okay bei dir? Hast du Schmerzen?" Marvin kam in mein Büro gestürzt und unterbrach meinen wunderbaren Traum. Ich hatte gerade so schön meine Zehen in dem warmen Sand vergraben. "Nö, ich habe nur gerade mit Leo telefoniert und mich zu ihr geträumt." Marvin musterte mich mit Argusaugen, ob er nicht doch ein Anzeichen fand, dass ich ihn versuchte mit einer verbogenen Wahrheit in Sichergeit zu wiegen. Sein Scanning schien erfolglos abgeschlossen. Ich schnüffelte mit meiner Nase in der Luft. Duftete das hier nach Essen? "Ich habe für uns was bestellt." Andi kam mit zwei Pizzakartons und einer Silberschale in mein Büro marschiert. Unser Werkstudent machte sich wirklich bezahlt. Wann fand man schon einmal jemanden, der so selbstständig mitdachte und fleißig war. "Wenn das eine Lasagne ist, bekommst du eine Gehaltserhöhung.", jubelte ich, denn ich hatte echt Kohldampf. Das hing vielleicht ein wenig mit meiner Sturheit zusammen, denn ich hatte Marvin heute Morgen ziemlich angemault als er mir meine Brötchen fertig machen wollte. Ich wollte halt nicht von jemandem abhängug sein. Also hatte ich nur einen Joghurt und eine Banane. "Supi, eine Gehaltserhöhung.", grinste Andi und stellte die dampfende Lasagne vor mir ab, ehe er sich einen Stuhl heranzog und genau wie Marvin mit dem Pizzakarton sich vor meinen Schreibtisch setzte. Ich griff nach dem Löffel und begann etwas von den Nudelplatten abzuteilen. "Soll ich dir helfen und das für dich klein machen?" Ich liebte meinen hilfsbereiten besten Freund, aber gerade übertrieb er das Ganze maßlos. "Willst du das Essen vielleicht auch noch pürieren, damit ich nur noch schlucken muss?" Mist, das kam vielleicht erwas heftiger herüber als es sollte. Aber irgendwie erinnerte es mich an Roman. Ja, als ich mit Leo schwanger war, war er genauso besorgt um mich gewesen. Und man hatte ja gesehen, wo das hingeführt hatte. Ich schaute auf meinen Gipsarm. Nee, so etwas brauchte ich nicht noch einmal. War ich bescheuert? Das hier war Marvin und nicht Roman. Der würde nie....das hätte ich vor einem halben Jahr auch noch von meinem Mann behauptet. Obwohl....wenn ich recht überlegte.  "Das...." "Hast du denn schon mit deinem Anwalt gesprochen?", unterbrach Andi ihn mit seiner Frage und riss mich aus meinen abwegigen Gedanken. Scheinbar hatte er keine Lust einer längeren Diskussion von uns beiden beizuwohnen. "Ja, habe ich." Wieder teilte ich mir etwas Lasagne ab und schob mir den Löffel in den Mund. "Und?" Da sprachen ja wohl beide Männer mit einer Zunge. Beide schauten mich auch erwartungsvoll an. "Was und?", machte ich mir einen Spaß und stellte mich dumm, ehe ich mir den nächsten Löffel nahm. "Was hat er gesagt?" Sollte ich die Nummer weiter durchziehen und fragen wer? Nö, das war dann doch ziemlich albern. "Er hat mir geraten es eigentlich zur Anzeige zu bringen, hatte aber Verständnis dafür es nicht zu tun. Gleichzeitig wollte er noch einmal das Gespräch mit der Gegenpartei wegen des Hauses suchen und das mit dem alleinigen Sorgerecht für die Kinder klären. Er meinte nach dem Auftritt hätten wir eine bessere Verhandlungsposition." Gegenpartei hörte sich in meinen Ohren immer noch irgendwie schräg an. Aber irgendwie war der ganze Mist wirklich in einen Kampf ausgeartet. Das hätte ich nie erwartet. Früher hatte ich mich immer gefragt, warum die Leute sich nicht einfach freundschaftlich trennen konnten, wenn es nicht mehr gemeinsam klappte. Wie oft hatte ich den Kopf geschüttelt, wenn ich von solchen Trennungsszenarien bei meinen Schützlingen gehört hatte. Ich hatte immer gedacht zwei erwachsene Menschen setzten sich einfach zusammen und dann bekam man das geklärt. Tja, falsch gedacht. Ich steckte jetzt selbst inmitten so eines blöden Rechtsstreits. Und ich hatte so überhaupt keine Lust darauf. Mir reichte diese Taktiererei schon in meinem Job, wenn ich um Vertragslaufzeiten und Beträge feilschte. Egal. Irgendwie musste es halt sein. "Und hast du den Vertrag für Maschikowski fertig?", wechselte diesmal Marvin das Thema. Er hatte wohl gemerkt, dass ich nicht weiter Lust hatte über die Scheidung zu reden. Andererseits sagte mir sein Blick, dass das Thema nur vorübergehend abgeschlossen war. "Nee, die Tipperei mit einer Hand ist ein wenig zeitraubender." Man, hörte sich das jämmerlich an. Andi schaute mich verwundert an "Wie, du hast selbst getippt?" Der war ja lustig. Dachte er die Marsmännchen waren hier und hatten das für mich übernommen? "Das wäre eigentlich ein Job für unseren Werkstudenten.", warf Marvin süffisant ein. "So ein Blödsinn. Ich binde doch hier nicht zwei Arbeitskräfte an einem Kontrakt." Ich schüttelte nur meinen Kopf. Unser Werkstudent war doch nicht eine bessere Tippse. Außerdem müsste ich ihm dann auch Notizen machen und das war auch nicht besser und kostete genauso viel Zeit. "Hast du kein Programm, das deine Sprache umsetzt?" Andi schaute mich schockiert an. Was meinte er mit Sprache umsetzt? "Du diktierst und der PC schreibt." Scheinbar hatte er an meinem Gesicht wohl meine Unwissenheit ablesen können. Ich schüttelte meinen Kopf. So etwas gab es? Ehe ich mich versah, stand Andi neben mir und begann an meinem PC herumzutippen. Natürlich auch einhändig, denn in der anderen Hand hatte er ja sein Pizzastück von dem er immer wieder abbiss. Warum flogen seine Finger der linken Hand so über die Tastatur, während meine der rechten Hand geschlichen waren. Man, sah das cool aus, wie er die Finger spreizte und die Umschalttaste mit dem Daumen traf, während er mit dem kleinen Finger gleichzeitig irgendeine Taste in der obersten Reihe erreichte. Das hatte ich noch nie geschafft. Ich schaute auf meine Hand. Okay, die war ja auch kleiner. Was dieser Mann mit so geschickten Fingern wohl noch alles anstellen konnte? "Das ist der berühmte Hebammengriff.", grinste er mich an. Scheinbar hatte er meinen bewundernden Blick wohl bemerkt. Glücklicherweise konnte er nicht meine Gedanken lesen. Ich spürte eine leichte Wärme in meinen Wangen. Man, man, man, was war bloß mit mir los? Aber irgendwie ließ mich dieser blöde Gedanke seit Paris nicht mehr los und infiltrierte mein Gehirn immer wieder. War ich eigentlich total bescheuert? Ich sollte eigentlich zu frieden sein keinen Kerl mehr am Hals zu haben, besonders nach dem Erlebnis mit Roman am letzten Samstag. Bevor ich mich überhaupt auf etwas neues wieder einließ, musste das erst einmal endgültig geklärte sein. Aber.....nein, nichts aber. Außerdem war Andi elf Jahre jünger als ich und mein Angestellter. Das ist ein Grund, aber kein Hindernis, hörte ich Lisas Stimme in meinem Gehirn. Schluss jetzt mit diesen Hirngespinsten. "Ich gehe dann mal wieder in mein Büro. Wenn ich dir bei etwas helfen soll, musst du nur rufen." Marvin stand auf und zwinkerte mir zu. "So, fertig. Du musst jetzt nur über das Headset diktieren und schon schreibt dein Knecht für dich." Ich riss meine Augen auf als mir Andi das vorführte. Das funktionierte wirklich. "Gib her." Ich rupfte ihm das Headset aus der Hand und probierte es selbst. Ja, es funktionierte wirklich, selbst bei mir. "Danke, du bist mein Held.", begeistert umarmte ich ihn. Man, dieser Körper war ziemlich fest und durchtrainiert. Aus, aus, aus.... wo kamen denn diese blöden Gedanken schon wieder her? Die sollten gefälligst verschwinden.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt