Kapitel 29

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Ich saß neben Marvin in seinem Auto und schaute auf die Schlange vor uns, die am Parkhaus anstand. Die Anzeige wechselte nach jedem Auto auf besetzt und wir mussten warten bis ein Auto rausfuhr, ehe die Schranke wieder aufging. Ich zählte schnell die Autos vor uns. Das waren noch sieben. Mist, bei dem bisherigen Tempo dauerte das noch mindestens eine halbe Stunde als 30 Minuten oder auch 1800 Sekunden. Das war eindeutig zu viel. Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es bereits nach vierzehn Uhr war. Um 18 Uhr würden die Läden schließen. Okay, das waren noch knapp vier Stunden oder auch ganz genau noch 232 Minuten oder 13.920 Sekunden. Das hörte sich zwar gar nicht so wenig an, aber ob das für meinen Plan reichte? Was machten die Leute hier überhaupt auf einem Ostersamstag Nachmittag? Hatten die denn nichts anderes zutun? Was war aus der schönen Tradition geworden Osterzöpfe oder sowas zu backen. Ich schaute zu den vielen Frauen, die an unserem Auto vorbei liefen . Das würde die Zahl hier doch schon minimieren. Dann blieben nur noch die Männer, den gerade spontan eingefallen war, dass morgen Ostern war. Kam ja auch total plötzlich, so wie Weihnachten jedes Jahr. Obwohl. Eigentlich sollte gerade ich nicht mit Steinen werfen. Ich musste an Leos Geburtstag denken. Trotzdem oder gerade deshalb musste mein Plan klappen. Nein, ich konnte jetzt hier nicht länger im Auto rumsitzen und auf das Parkhaus warten. Schnell griff ich zum Türöffner und wollte gerade aus dem Auto springen als eine ganze Kolonne aus dem Parkhaus fuhr. Eins, zwei, drei....zählte ich mit. Acht Autos waren gerade an uns vorbeigefahren, als sich auch schon die Schlange vor uns in Bewegung setzte. Acht, das müsste reichen, jubilierte ich still und nahm meine Hand wieder vom Türöffner. "Mausi, du wolltest doch nicht wirklich aus dem Auto springen?" Marvin schaute mich prüfend an. Musste der eigentlich immer alles mitbekommen? Ich zuckte mit den Schultern, als sich die Schranke vor uns öffnete. Jetzt mussten wir nur noch den freien Parkplatz finden. Ich ließ meinen Blick hektisch hin und her wandern. "Da.", schnell deutete ich mit meinem Finger auf ein Auto in das gerade eine Frau einstieg. Marvin bremste sofort und setzte den Blinker. "Man, was macht die denn da? Schminkt die sich erst noch oder schließt sie den Wagen erst kurz." Sauer schüttelte ich den Kopf und verzog mein Gesicht. Konnte die Trude sich nicht mal beeilen? "Bleib ruhig, Mausi. Wir schaffen das noch." Er legte seine Hand beruhigend auf meinen Oberschenkel. Ja, wir mussten das schaffen. Erleichtert atmete ich auf, als wir endlich eingepakt hatten und aus dem Auto stiegen. Der trödeligen Trude hatte ich noch ein paar gute Wünsche mit auf den Weg gegeben, zum Beispiel eine Reifenpanne bei strömendem Regen. "So Mausi, wo wollen wir jetzt hin?" Stimmt, ich hatte Marvin ja noch gar nicht in meinen Plan eingeweiht und er hatte mich auch einfach ohne nachzuhaken gefahren. "Zum Juwelier." Ich griff in meine Jackentasche und erspürte Leos kaputten Ring. "Du willst zum Juwelier?" Marvin schaute mich irritiert an bis ich den Ring aus meiner Tasche zog. Er grinste "Verstehe. Na dann, auf zum Juwelier. Weißt du schon zu welchem?" Ich schüttelte mit dem Kopf. Ich hatte mir schon ewig keinen Schmuck gekauft. Eigentlich hatte mir immer Roman welchen geschenkt. Aber das war auch schon ziemlich lange her. Ich grübelte kurz, wann ich das letzte Mal Schmuck von meinem Mann bekommen hatte. Wahrscheinlich an dem Tag als ich auch das letzte Mal Blumen von ihm bekommen hatte. Ich konnte mich nämlich an beides nicht erinnern. Wir liefen also erst einmal ziellos durch die Fussgängerzone und hielten unsere Augen offen. Man, war das hier ein Gedränge. Schlimmer war es an den Adventssonntagen auch nicht, wenn Weihnachtsmarkt und verkaufsoffen war. Ich spürte, wie Marvin meine Hand griff "Nicht, dass du mir verloren gehst, Mausi." Umsichtig manövrierte er uns durch die Leute, wie früher den Ball durch die gegnerische Abwehr. "Schau mal da." Ich hatte einen Juwelier entdeckt. Der gehörte zu einer bekannten großen Filialkette. Bestimmt konnten die uns gleich helfen.  Wir betraten den Laden und wurden freundlich begrüßt "Möchten Sie sich erst in Ruhe umschauen?", lächelte uns die Verkäuferin an. Ich schüttelte den Kopf und zog den Ring aus der Tasche "Könnten Sie den bitte sofort reparieren?" Sie schaute mich total pikiert an "Wir verkaufen Schmuck und reparieren ihn nicht. Abgesehen davon würde die Kosten mit Sicherheit den Wert übersteigen." Das war mir doch egal "Na, das...", fing ich an als Marvin mich unterbrach "Dankeschön. Komm Mausi, dann gehen wir halt woanders hin." Er zog mich an der Hand aus dem Laden. "Was soll das?", moserte ich los "Ich wollte der blöden Kuh gerade die Meinung sagen." "Ich dachte, der Ring wäre wichtiger." Da hatte er auch wieder recht. Ehe ich antworten konnte, zog er mich zum nächsten Laden. Vor der ziemlich hochwertigen Auslage standen zwei Wachleute, die uns erst einmal musterten, ehe ein dritter uns die Tür öffnete und in den Laden ließ. Diesmal kam aber ein  junger gutgekleidet und gutfrisierter Verkäufer auf uns zu geschlendert. Er versuchte sowohl Lässigkeit als auch Souveränität auszustrahlen "Was von unserer beeindruckenden Auswahl darf ich Ihnen zeigen?"  Wieder holte ich Leos Ring aus meiner Tasche "Der müsste bitte sofort repariert werden." Erneut erntete ich einen empörten Blick "Wir verkaufen Schmuck und reparieren ihn nicht. Wir sind ein Juwelier und kein Goldschmied." Schnell überwand er seine Empörung und setzte wieder ein freundliches verkaufsorientiertes Lächeln auf "Ich könnte Ihnen aber einen ähnlichen." er hüstelte kurz "hochwertigeren Ring anbieten." Ich spürte wie sich Frust und Verzweifelung in mir zu einem Cocktail mischten. "Ich will aber keinen neuen Ring. Dieser Ring ist lebenswichtig.." Ich war kurz davor wie Delphie mit dem Fuss aufzustampfen. Warum verstand denn keiner wie wichtig das war? Und warum waren die alle total unfähig einen Ring zu löten und zu richten? Kein Wunder, wenn der Schmuck nur noch Einheitsbrei war. "Gehen Sie doch in die Kleppingstraße, da ist ein kleiner Goldschmiedeladen. Vielleicht kann der Ihnen helfen.", sprach mich eine ältere Dame von der Seite an, die gerade irgendwelche teuren Schmuckstücke mit ihrem Mann betrachtete "Da sind wir auch früher immer hingegangen, als wir es uns noch nichts anderes leisten konnten." Ich kann es mir hier leisten, wollte ich sie schon losmeckern als Marvin sie freundlich anlächelte und sich für ihren Tipp bedankte, ehe er mich wieder aus dem Laden zog. "Weißt du, wo die Straße ist oder soll ich im Handy suchen?" Ich schüttelte den Kopf und übernahm die Führung.  Schnell entdeckte ich den Laden und stürzte hinein. Sofort zog ich den Ring aus der Tasche "Bitte sagen Sie mir, dass Sie den sofort reparieren können. Meine Tochter hatte einen Unfall und der ist unglaublich wichtig für sie und sie muss ihn unbedingt vor ihrer OP wieder haben.", flehte ich verzweifelt die alte Dame hinter dem Tresen an, ehe ich sie überhaupt zu Wort kommen ließ. "Mensch Mädel, jetzt beruhige dich erst einmal wieder und zeig mal den Ring." Sie zog ihn mir aus der Hand und betrachtete ihn. "Micha.", brüllte sie auf einmal los und keine Minute später öffnete sich eine kleine Seitentür aus der ein Mann in einem ähnlichen Alter seinen Kopf steckte "Wat is denn, Bettina, dat du so rumgröhlst?" Willkommen im Pott war alles, was ich dachte "Du musst sofort den Ring wieder hinbekommen, das ist lebenswichtig." Sie reichte Leos Ring weiter. Wenn dieser Micha jetzt auch wieder ablehnte, dann wusste ich echt nicht mehr weiter. Ich spürte schon wieder die Verzweifelung in mir hochkommen. Scheinbar spürte Marvin das auch, denn er strich mir beruhigend über den Rücken, während ich den Goldschmied weiter angespannt beobachtete. Er beäugte den Ring. "Kein Ding, gibt mich zwei Stunden, dann isser wie neu." Erleichtert atmete ich auf. Wahrscheinlich würde man auf der Richterskala ein mittleres Erdbeben im Ruhrgebiet messen können von dem Stein, der mir gerade vom Herzen gefallen war. "Denn setzt euch mal und ich mache euch einen Kaffee. Ich habe auch noch ein paar Kekse da.", bot uns die ältere Dame herzlich an.  "Oder wollt ihr lieber weiter da draußen im Irrenhaus shoppen?" Ich schüttelte sofort meinen Kopf und auch Marvin schien erleichtert nicht wieder in das Gedränge zurück zu müssen. Noch 120 Minuten oder 7200 Sekunden und ich konnte mein kleines Mädchen glücklich machen. Dann hatte ich wenigstens einmal nicht als Mutter versagt. Zufrieden setzte ich mich auf den angebotenen Stuhl.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt