Ich startete den Motor. "Wollen wir noch ein Eis essen gehen?" Nachdem ich mich in den fließenden Verkehr eingegliedert hatte und nur ein Brummen als Antwort bekam, warf ich einen kurzen Seitenblick zum Beifahrersitz. Dort saß Leo ganz still und starrte grübelnd vor sich hin. Seit wir das Gericht verlassen hatten, war sie still und hatte bis jetzt kaum ein Wort gesagt. Was war da mit der Richterin vorgefallen, dass meine Tochter zu einem stummen, nachdenklichen Fisch mutierte? "Was ist los, Maus?" "Nichts.", kam es wie aus der Pistole geschossen. Also dieses nichts konnte ich nicht glauben. Sollte ich weiter bohren oder akzeptieren, dass Leo scheinbar nicht darüber sprechen wollte. Also in Ruhe lassen war ja gut und schön, aber nicht wenn meine Tochter so unglücklich aussah. Es war mein Job ihr bei etwaigen Problemen zu helfen. "Leo..." "Mama, ich glaube ich habe ganz großen Mist gebaut.", schluchzte es plötzlich neben mir. Ich fuhr sofort rechts ran, um mich ganz auf meine Tochter zu konzentrieren, der Tränen über die Wangen liefen. Gleich nachdem ich den Motor ausgemacht hatte, beugte ich mich zu ihr und schlang meinen Arm um sie. "Was denn für einen Mist?" Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen. "Ich habe Dani bei der Richterin nicht ausbremsen können, als er vom bösen Mann gesprochen hat.", schniefte Leo und die Tränen kullerten weiter "Er hat ihr sogar von meiner Hand und deinem Arm erzählt. Und wenn du jetzt Ärger bekommst, weil du ihn nicht angezeigt hast, dann ist das alles meine Schuld. Und wenn du deshalb nicht das alleinige Sorgerecht bekommst....." Die Tränen sprudelten nun förmlich. Ich zog meine Tochter noch fester an mich und strich ihr sanft über den Rücken. "Maus, du hast überhaupt keinen Mist gebaut." Leo riss ihren Kopf hoch und starrte mich aus roten Augen an "Nicht?" Ich schüttelte meinen Kopf "Wenn dann habe ich Mist gebaut, weil ich euren Vater nicht angezeigt habe und weil ich dich nicht ausreichend vor ihm beschützt habe." Ich musste schlucken, damit mir auch nicht gleich die Tränen über die Wangen liefen, denn den Vorwurf meine Kinder nicht richtig beschützt zu haben, konnte ich nicht einfach von mir weisen. "Du konntest doch aber nicht wissen, dass der Arsch so reagiert." Leo sah mich mit funkelnden Augen an und ich wusste, dass die Wut in ihrem Blick nicht mir sondern ihrem Vater galt. "Dann bin ich aber trotzdem daran Schuld, wenn du das Sorgerecht nicht bekommst, weil die Richterin das herausgefunden hat.", schluchzte sie im nächsten Moment los. "Wenn ich in die Schweiz muss, dann laufe ich weg." Bei dem Satz musste ich schlucken und ehe ich mich versah, schüttelte ich sie leicht "Sage so etwas nie wieder. Du läufst nicht weg." Ich schaute sie durchdringend an. "Aber ich will nicht...", kam es sofort trotzig. "Du musst nirgends gegen deinen Willen hin.", unterbrach ich sie schnell "Glaubst du wirklich, dass die Richterin dich mit dem Wissen zu deinem Vater schickt? Außerdem haben wir den besten Rechtsanwalt, den es hier in der ganzen Gegend gibt. Der sorgt schon dafür, dass ich das alleinige Sorgerecht bekomme." Ich versuchte so viel Zuversicht auszustraheln wie möglich, auch wenn sich ein ziemlicher Knoten in meinem Magen manifestiert hatte. Ob es gut oder schlecht war, dass die Richterin von den Unfällen und der Tatsache wusste, dass ich sie nicht zur Anzeige gebracht hatte, war mir nicht wirklich klar. Andererseits hatte ich mich nach Romans Übergriff auf Leo sofort von ihm getrennt. Das musste doch auch etwas zählen. "Ich rufe jetzt einmal gleich den Anwalt an und dann wissen wir mehr." Hoffentlich war das kein Fehler im Beisein von Leo, aber das musste ich gerade riskieren, um sie zu beruhigen......und um mich zu beruhigen. Fünf Minuten später strahlte mich meine Tochter an "Puh, dann war das ja gar nicht so schlimm." Ihre Erleichterung war ihr anzumerken. "Du hast doch gehört, dass das sogar ein Vorteil für das alleinige Sorgerecht war." Der Anwalt hatte und versichert, dass die Nichtanzeige keine negativen Auswirkungen hatte. Er hatte sich sogar kurz die Zeit genommen, um sich das ganze Gespräch von Leo schildern zu lassen. "Und du hast wirklich den Wunsch geäußert, dass dein Papa sich dir und Dani nicht mehr nähern darf und dass ihr ihn nicht mehr sehen müsst?" Als ich das gehört hatte, war ich doch etwas fassungslos. Klar, konnte ich es gut nachvollziehen nach allem, was passiert war, aber...... "Natürlich. Ich will nicht noch einmal wegen dem im Krankenhaus landen und Dani soll so etwas auch nicht passieren. Außerdem hat er den Zwerg sowieso immer nur mies behandelt und ignoriert. Nicht, dass er jetzt auf einaml Interesse entwickelt, weil er Fußball spielt und ihn dann auch drillen will. Das kann er vergessen." Die Entschlossenheit meiner Tochter imponierte mir. "Was macht denn überhaupt das Fußballspielen bei dir?" Irgendwie war es mal Zeit für einen Themenwechsel. "Läuft supi. Marco und Mili sind total zufrieden mit mir auf der neuen Position. Und das macht auch voll Spaß wieder." Sofort leuchteten Leos Augen vor Begeisterung und ich freute mich, dass sie wieder solche Freude an ihrem Hobby gefunden hatte. "Aber jetzt muss ich ja ein paarmal Training ausfallen lassen, weil ich bei Max in Münster bleibe in den Ferien." Man konnt ihr zwar die Vorfreude auf Max ansehen, aber auch dass es ihr schwer fiel auf das Training zu verzichten. "Wie war eigentlich die Erstis-Party?" Klar, war das ein ziemlicher Themensprung, aber bis jetzt hatten wir noch gar nicht die Zeit dazu gefunden, darüber zu sprechen. "War okay.", brummelte sie plötzlich. Das hörte sich nur sehr wenig nach okay an. "Nur okay, nicht cool, mega oder nice?" Ich schaute sie forschend an. Was war denn da vorgefallen? Leo hatte sich extra coole Klamotten gekauft und sich ziemlich darauf gefreut. Eigentlich mochte sie doch solche Feten. "Nee, eigentlich eher blöd." Sie zuckte mit den Schulter und verzog das Gesicht "Die sind da alle schon so alt und ich komme mir zwischen denen so dumm vor. Diese Laura hat die ganze Zeit nur von irgendwelchen Anatomiemodellen gefaselt. Und dann hat sie jedesmal ihre überdimensionale Brille zurecht gerückt. " Leo imitierte das und ich musste laut loslachen. "Ihre beste Freundin war genauso unterhaltsam. Und die beiden Jungs sind auch so komische Streberleichen mit Krokos auf der Brust und ordentlich gegelten Haaren. Ich bin Julius und ich Konrad.", äffte sie die beiden wieder nach. Oha, das wirkte wirklich elitär. Irgendwie passte das gar nicht zu Max. "Und was ist mit dem dritten Mädchen?" Vielleicht war die ja wenigstens nett "Andrea war nicht da. Also keine Ahnung. Aber bestimmt ist die genauso fürchterlich." Es war schade, dass Leo dort nicht so Anschluss gefunden hatte, aber natürlich waren die alle ein paar Jahre älter. Das war der Nachteil, wenn man mehrere Klassen übersprungen hatte wie Max. Da war es dann halt schwierig in eine Lerngruppe hineinzukommen. Meist blieben da nur die Außenseiter, die selbst keinen Anschluss fanden. "Maus, du bist überhaupt nicht dumm und wenn das die Leute da nicht sehen, dann sind sie die dummen. Jeder, der mit dir Zeit verbringen darf, kann glücklich sein, weil du nämlich eine zauberhafte, hübsche, intelligente und liebenswürdige junge Frau bist." Leo schaute mich ungläubig an und fing dann an zu grinsen "Das hat wohl Linus auch so gesehen. Der hat mich nämlich zum Tanzen aufgefordert. Der ist schon 22 und hat vorher eine Ausbildung als Pfleger gemacht, weil er Wartesemester brauchte." "Siehst du, es gibt da auch vernünftige Leute." Leo nickte und verzog dann wieder ihr Gesicht. "Ja, aber der redet bestimmt nicht mehr mit mir, nachdem Max ihn so blöd angemacht hat von wegen er soll seine Finger von mir lassen, weil ich seine Freundin bin. Dabei haben wir nur getanzt und gequatscht. Das war voll peinlich." Oho, da war mein Patenkind wohl eifersüchtig. Ich musste ein Schmunzeln unterdrücken. Das wollte schon was heißen, so ruhig wie er immer war, wenn der Neanderthaler in ihm herauskam. Und so wie meine Tochter schaute, hatte sie ihm ihr Missfallen auch deutlich zu verstehen gegeben. "Max liebt dich halt und hat Angst dich zu verlieren.", versuchte ich den Armen also in Schutz zu nehmen. "Das ist doch Quatsch. Für mich gibt es doch überhaupt niemals einen anderen.", empört schüttelte sie den Kopf. "Ich liebe ihn doch ohnenedlich." Bei dem Wort mussten wir beide grinsen. Da hatte Dani wirklich was verbrochen. "Das ist für dich klar, aber ist es das auch für Max?", gab ich zu bedenken. Leo schaute mich nachdenklich an "Ich dachte schon. Dann muss ich ihm das wohl morgen, wenn ich in Münster bin noch einmal ganz deutlich klar machen." "Wieso morgen?" Mir war da eine spontane Idee gekommen. "Weil ich ab morgen den Rest der Ferien bei ihm in Münster bleibe und weil er mich morgen erst abholt, weil er heute noch eine späte Vorlesung hat." Leo schaute mich an als wäre ich gerade aus dem Mustopf gestiegen. "Hast du denn deine Sachen schon gepackt?" Als Antwort bekam ich ein verständnisloses Nicken "Schon seit vorgestern." Na das war doch prima. "Gehen wir jetzt noch ein Eis essen? Du hast es versprochen." Für Leo schien das Thema Münster wohl erst einmal abgehakt. Ich konnte mich zwar nur an die Frage und nicht an ein Versprechen erinnern, aber das schien wohl für meine Tochter beides das gleiche zu sein. "Na klar. Wo wollen wir denn....." Ein nervendes Hupen neben mir unterbrach mich. Ich schaute zur Seite und entdeckte einen Fahrer in einem Lieferwagen, der wohl aus der Einfahrt wollte in der ich gerade parkte. Also seine freundschaftlichen Handzeichen konnte er ja auch mal unterlassen. Ich startete schnell den Motor. "Wir sollten uns erst einmal einen neuen Parkplatz suchen. Und dann, wenn wir das Eis gegessen haben, holen wir deine Tasche und ich fahre dich nach Münster." "Nach Münster?", quietschte Leo "Aber das ist doch eine Stunde Fahrzeit mindestens. Und du musst doch bestimmt noch arbeiten." Das war immer noch bei ihr so drin. Irgendwie wurmte mich das. "Nö, heute habe ich frei und das Fahren ist doch ein Klacks. Außerdem auch wenn ich heute arbeiten müsste, würde ich mir die Zeit für dich nehmen und dich da hinfahren. Ist das klar? Ihr seid mir wichtiger als die Arbeit." Das musste noch einmal geklärt werden. Leo fing an zu grinsen "Max wird total überrascht sein. Können wir auch gleich nach Hause fahren und das Eis auf der Tankstelle holen?" Meine Tochter hubelte auf ihrem Sitz hin und her. Ein Schmunzeln schlich sich in mein Gesicht "Aber klar doch. Also ab nach Hause und dann auf nach Münster.", zwinkerte ich ihr zu. "Danke, Mama." Ich spürte einen sanften Kuss auf meiner Wange. Genau das war es, wofür du als Mutter lebtest. Das war so ein schönes Gefühl, sein Kind glücklich gemacht zu haben.
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Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6
RomanceJasmin ist seit über 15 Jahren eigentlich glücklich verheiratet. Aber eben nur eigentlich. Und auch mit den drei Kindern läuft nicht alles wie es sollte. Dazu kommt noch jede Menge Arbeit in ihrer Agentur. Trotzdem ist ja doch alles ziemlich bequem...