Kapitel 48

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Die Woche war irrsinnig schnell vergangen. Dank Marvins Unterstützung konnte ich mir nicht nur das Wochenende frei nehmen, sondern auch noch den heutigen Tag. Deshalb waren wir auch gestern abend schon nach Berlin gefahren. "Mama, fahren wir heute noch auf diesen Turm?", Leo grinste mich über den Frühstückstisch hinweg an. Es hatte sich wirklich gut gefügt, dass sie und Max heute auch wegen einer Lehrerkonferenz frei hatten. Meine Tochter war total neugierig auf Berlin. Gestern als wir durch die Stadt zu Marvins alter Wohnung gefahren waren, hatte sie die ganze Zeit mit großen Kulleraugen aus dem Fenster gestarrt und ständig Fragen gestellt. "Mal schauen. Jetzt vormittags müssen wir erst einmal in die Schule und Ella und Mika ummelden.", gab ich zu bedenken. "Wir sollten uns beeilen, ihr wisst doch Freitag ab eins macht jeder seins.", lachte auch Marvin, während Mika neben ihm schon wieder ziemlich klein auf seinem Stuhl geworden war. Ich konnte das gut verstehen nach allem, was er mir erzählt hatte. Leider musste ich ihm versprechen seinem Vater nichts davon zu sagen. Das fiel mir nicht wirklich leicht, aber ich hatte es ihm versprochen, so lange mich Marvin nicht danach fragte. Aber das war auch einer der Gründe, warum ich mit in die Schule gehen wollte, um ihn moralisch zu unterstützen. "Mm, dann bleiben wir hier bei Ella und Dani zu Hause bis ihr wieder da seid." Leo sah ein wenig enttäuscht aus. "Wieso? Ihr könnt euch doch schon ein wenig Berlin anschauen." Meine Tochter riss ihre Augen auf "Echt?" Ich nickte "Klar, ihr seid ja wohl alt genug." Sie schaute zu ihrem Freund "Los, Max. Iss schneller, damit wir los können.", trieb sie ihn an. "Was wollen wir denn machen? Wo sollen wir am besten als erstes hin? Was wollen wir uns denn zusammen angucken? Also nicht, dass wir dann schon alles gesehen haben.", sprudelte es nur so aus ihr heraus. "Keine Angst, Berlin hat garantiert genug zu bieten, dass wir mehr als zwei Tage beschäftigt sind.", beruhigte ich sie schmunzelnd. In Berlin konnte man Wochen oder Monate verbringen und hatte noch nicht alles gesehen. "Ähm, naja, ich würde auch gerne noch zu meiner Oma und meinem Opa.", druckste Max herum. "Na, los dann Hoppi.", Leo sprang von ihrem Stuhl auf  "Dann lasse uns jetzt sofort zu ihnen. Vielleicht können sie uns ja auch etwas von der Stadt zeigen. Auf alle Fälle müssen wir auch ins Olympiastadion. " Max schluckte schnell noch seinen letzten Happen herunter und folgte ihr. "Deine Tochter hat ihn aber gut in Zug.", grinste Marvin und schaute den beiden hinterher "Wenn wir das gleich mit der Schule erledigen, dann können wir nachher noch alles für die Spedition vorbereiten und haben morgen wirklich den ganzen Tag frei. Was meint ihr, wollen wir los?" Er schaute zu seinen Kindern. Ella sprang sofort auf, nur Mika ließ sich etwas mehr Zeit. "Komm, wir packen das zusammen." Ich strich ihm aufmunternd über die Schulter und erntete ein dankbares Lächeln....
"Ach, der werte Herr Plattenhardt mit seinem Sohn.", wurden wir zynisch im Sekretariat von der Schulleiterin begrüßt "Und das ist dann wohl ihre neue Lebenspartnerin. Naja, Patchworkfamilien sind ja im Trend.", fügte sie nach einem Blick auf mich und Dani, der ganz artig an Ellas Hand da stand, hinzu. Ich kannte die Tante zwar nicht, aber unsympathisch war sie mir auch so auf Anhieb. "Sie müssten sich allerdings noch zehn Minuten gedulden bis zur großen Pause, damit wir dann ein Gespräch mit dem Klassenlehrer führen können über das weitere Vorgehen. Mika wird weiter erst einmal unter Beobachtung stehen nach seinen Verfehlungen." Ich fragte mich, ob diese Frau echt Pädagogik studiert hatte. "Das wird nicht nötig sein, da wir aus Berlin wegziehen und ich eigentlich nur hier bin, um meinen Sohn umzumelden." Ich bewunderte Marvin gerade für sein höfliches Auftreten unendlich. "Oh.", sie schaute verwundert, ehe sie mit einem verkniffenen Seitenblick zu mir schaute "Das ist natürlich auch eine Lösung. Wir werden aber nicht umhinkommen die neue Schule auch über den Vorfall zu informieren." Ich drehte mich zu Mika, der total verspannt aussah und schnitt ein paar Grimassen und äffte die Tante lautlos nach. Wenigstens verirrte sich ein klitzekleines Lächeln in das Gesicht des Jungen. Ob die Alte wohl den Besenstiel jeden morgen neu in ihren Hintern einführte oder ob der fest implantiert war, schoss es mir durch den Kopf, als die Tür aufging und ein Typ im karierten Sakko hereinkam. "Ach, der Herr Hase.", wurde er sofort freundlich begrüßt. Aus welchem Jahrzehnt des letzten Jahrtausends war der denn hierher gebeamt worden? So wie der aussah, müsste der doch schon seit mindestens einem Jahrzehnt in Rente sein. Aber Hase, war doch der Klassenlehrer von dem Mika mir erzählt hatte. "Guten Tag, Herr Plattenhardt.", reichte er Marvin die Hand "Sie werden sicher verstehen, dass wir bei Ihren Sohn auch auf Grund Ihres ehemaligen Promistatus nicht von weiteren Sanktionen absehen können. Es kann ja nicht sein , dass er deshalb den anderen Schülern gegenüber bevorzugt wird. Wir sind hier schließlich als Pädagogen gefordert die anderen Schüler zu schützen. Gewalt hat an einer Schule nichts zu suchen. Aber das ist ja immer so, wenn den Kindern keine Grenzen gesetzt werden. Diese Wohlstandsverwahrlosung nimmt in diesem Fall Formen an und wir Pädagogen müssen dann das retten, was die Eltern versäumt haben. Wie gesagt, Gewalt ....." Als er das Wort Gewalt erneut nach dieser ganzen Tirade in den Mund nahm, konnte ich mich nicht mehr bremsen "Ich bin der Meinung, dass auch Schmähungen und Mobbing an einer Schule nichts zu suchen haben. Haben Sie mit Ihrem ganzen pädagogischen Wissen überhaupt einmal hinterfragt, warum ein so sanftmütiger und ruhiger Junge so reagiert?" Ich spürte alle Blicke auf mir "Wenn Sie eine wirklich gutausgebildete pädagogische Fachkraft wären, dann hätten Sie ja vielleicht bemerkt, dass Mika bereits seit längerer Zeit von einigen Mitschülern gemobbt und geschmäht wurde. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen ihn davor zu schützen. Aber scheinbar passt das unerzogene Promikid ja besser in ihr Weltbild. Ich frage mich wie Sie reagiert hätten, wenn ihr Vater und ihre Schwester auf das übelste beleidigt worden wären. Oder wenn Sie ständig von Ihren Mitschüler drangsaliert worden wären und Ihr Eigentum beschädigt worden wäre? Ja, Mika hat diesen Jungen eine Ohrfeige gegeben. Was Sie aber mit Ihrem pädagogisch geschulten Blick völlig übersehen haben, ist das, was dem Ganzen voraus gegangen ist." Ich griff in meine Tasche und holte eine kleine Papierzettel heraus "Dein Vater ist ein Hurensohn.", las ich vor und nahm den nächsten Zettel "Morgen nehmen wir uns deine Schwester vor." Ich zog den nächsten Zettel hervor "Soll ich weiter vorlesen? An dem Tag hat dann dieser Schüler Mika erst verbal angegriffen und ihn dann mehrfach gegen die Wand geschubst" Ich schaute zu dem Jungen, der knallrote Wangen hatte "Ist es da nicht sein gutes Recht sich zu wehren? Ich kann Ihnen gerne auch noch Fotos von Blutergüssen an seinem Rücken zeigen." Mein Blick fiel zu Marvin, der mich schockiert anschaute. "Wie bitte? Warum hast du mir das nicht gleich gesagt, Mika." "Weil er sich geschämt hat und nicht wollte, dass du dich sorgst.", antwortete ich für den Jungen. Marvin ging zu seinem Sohn und zog ihn in seine Arme. "Papa, ich woll....wollte doch kei...keeine Pro..Probleme mach...machen.", schluchzte er. Marvin drückte ihn und strich ihm beruhigend über den Rücken. "Mache dir keine Sorgen." Er schaute mich an und gab mir ein Zeichen mit den Kindern rauszugehen  "Ich kläre das hier noch schnell. Ich bin dann gleich bei euch." Ich legte Mika wieder meinen Arm um die Schulter und führte ihn hinaus. Ella und Dani folgten uns. "Die sind voll böse ", grummelte mein Sohn und tätschelte Mikas Arm. Ja, da hatte er absolut recht. "Danke, dass du dich für mich eingesetzt hast.", kam es ganz leise von dem Jungen. Ich zog ihn sofort wieder in meine Arme und drückte ihm einen Kuss auf sein Haar. "Du kannst immer, wenn etwas ist zu mir kommen." "Bestimmt ist Papa jetzt sauer auf mich." Man, schaute der Kerl bedrückt. "Dein Vater ist garantiert nicht sauer.", versuchte ich ihn zu beruhigen. Ich wusste genau, dass Marvin niemals wegen so etwas sauer auf seine Kinder wäre. Sie standen für ihn immer an erster Stelle. Wenn war er höchstens sauer auf mich, dass ich ihm nichts gesagt hatte, dachte ich mit einem mulmigen Gefühl.  Hinter der geschlossenen Tür hörte ich ziemlich laut die Stimme meines besten Freundes. Ich hörte Worte wie Schulaufsicht, dienstliche Unterlassung und pädagogisches Unvermögen. Kurze Zeit später öffnete sich die Tür und Marvin trat heraus. Sein Gesicht war immer noch vor Erregung gerötet. "So, der Vermerk mit der Suspendierung wurde aus der Schulakte entfernt. Aber das nächste Mal, sagst du mir gleich, was los ist." Er boxte Mika ganz sanft an die Schulter. "Wir sind doch ein Team, egal was passiert." Er hielt seinem Sohn die Hand hin. Ich sah, wie Mika erleichtert zu grinsen begann, als sie miteinander eingeschlagen hatten. "Danke, noch einmal.", umarmte er mich überschwänglich. Ich schaute zu Marvin, der mich mit seinem Blick fixiert hatte "Und du sagst mir das nächste Mal auch sofort Bescheid, Mausi. Klar?" Er hielt mir auch seine Hand hin "Ein Team", lachte ich und schlug nickend ein. Sofort kamen auch Ella und Dani an "Ich auch Team.", grinste der Zwerg und hielt Marvin seine Hand hin. Wir waren vielleicht keine Familie, aber das war auch nicht wichtig. Viel wichtiger war, dass wir auch so für einander einstanden. Ja, wir waren definitiv ein Team - ein Dreamteam.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt