Ich starrte auf die Fahrstuhltür, als sich das Teil in Bewegung setzte. Jetzt nur noch drei Etagen hoch und ich war schon so gut wie vor dem Gerichtssaaal, in dem die Verhandlung stattfand. Ob das wirklich ein Saal war oder eher nur ein größeres Zimmer? In meinem Kopf tauchten die Bilder von den Gerichtssälen im Fernsehen auf und mir wurde etwas mulmig. Egal, ich war ja nicht ganz alleine, ich hatte ja meinen Anwalt an meiner Seite, der bestimmt schon auf mich wartete, so wie ich darauf wartete, dass endlich der Fahrstuhl wieder anhielt und dieses Ping ertönte, wenn die Türen sich öffneten. Wie langsam gondelte das Teil denn? War das auch verbeamtet? Fehlte nur noch, dass es seine Arbeit komplett einstellte, weil es erst einmal eine kurze Kaffeepause brauchte. "Ich habe heute einen wirklich schlechten Tag. Ich würde mich gleich besser fühlen, wenn eine bezaubernde Frau mich anlächeln würde. Würdest Sie für mich lächeln?", ertönte hinter mir anstelle des ersehnten Pings. Diese Stimme kannte ich. Sie hatte sich kein bisscheen verändert, nur der schweizer Akzent war stärker geworden. Ich reflektierte noch einmal kurz das Gesagte. Der Kerl hatte mich gesiezt, also hatte er mich angebaggert, weil er mich nicht erkannt hatte. Na super. Der flirtete mit einer Unbekannten direkt im Gerichtsgebäude kurz vor der Scheidung. Das nannte ich ja mal dreist. Ich drehte mich zu meinem glücklicherweise bald Ex-Ehemann um und zog meine Mütze vom Kopf. "Ja....Jasmin.", stotterte er auf einmal und sein ziemlich dummes Gesicht entschädigte mich für seine Dreistigkeit. Ich schaute ihn von oben bis unten an. Hatte ich mir echt Gedanken darüber gemacht, was ich anziehen sollte? Roman sah aus wie ein auf jung getrimmter alter Mann. In seinen total hippen Klamotten hätten wahrscheinlich sogar Max oder Phil albern ausgesehen, aber seine dazu schwarz gefärbten Haare, die trendy verwuschelt wie aus dem Bettgekommen aussahen, toppten alles. Man, sah der dämlich aus. Sofort musste ich an Marvin denken, der dagegen wie ein Model aussah. Egal, ich drehte mich einfach wieder um, während ich mir einmal mit meinen Händen durch meine Haare fuhr, damit sie von der Mütze nicht mehr total platt gedrückt waren. "Willst du mich damit etwa verführen? Dafür müsstest du aber erst einmal wieder zum Friseur und das Unkraut auf deinem Kopf in Schuss bringen. Du siehst ja aus wie eine alte Frau." Hatte der einen Totalknall? Der hatte doch wohl meine lockigen Haare nicht Unkraut genannt? Klar, er mochte es ja nicht, wenn sie länger waren. Ich schon.....und Marvin auch. Deshalb ließ ich sie auch endlich einmal wieder wachsen, genau wie Leo es getan hatte. Ehe ich mich noch über die alte Frau aufregte, atmete ich einmal tief durch. Nein, ich blieb hier ganz ruhig und reagierte gar nicht auf seinen Spruch, schließlich waren wir hier beide alleine im Fahrstuhl. Bei dem Gedanken war mir schon ziemlich mulmig seit ich wusste zu was der Mann durchaus in der Lage war. Schnell schluckte ich meine provozierende Antwort wieder herunter. Diese Fahrstuhlfahrt konnte ja auch nicht ewig dauern, sehnte ich den Stop herbei. "Dein Stecher ist dir doch bestimmt schon zu langweilig. Wenn du ganz nett bist, könnte ich dich von der Langenweile befreien und dir zeigen, wie erfüllend Sex seien kann.", lachte der Idiot schon wieder. Für wen hielt der sich eigentlich? Ich hatte zwar mit Marvin noch keinen Sex. Leider! Aber eines war ich mir sicher, wenn er das nur halb so gut drauf hatte wie das Küssen, dann .... bei dem Dedanken alleine wurde mir schon ganz warm. "Das hast du in siebzehn Jahren nicht geschafft, also bezweifele ich, dass ein paar Nachhilfestunden im Kindergarten dich weitergebracht haben.", rutschte es mir dann doch heraus. Verflucht. Hoffentlich rastete er jetzt nicht aus. Ich musste an Leos Hand und meinen Arm denken und eine fette Gänsehaut breitete sich auf meinem Körper aus. "Was bildest du dir..." Ein harter Ruck ging durch die Kabine und stoppte Roman, der sich gerade auf mich zubewegt hatte. "Was war das?" Unsicher schaute er sich um als auch noch das Licht ausging. Na bravo. Das konnte doch nicht wahr sein. Was hatte ich eigentlich dem Schicksal getan? "Wir sind stecken geblieben.", stöhnte ich genervt als das Licht wieder zu flackern begann und dann etliche Nuancen dunkler als vorher leuchtete. Puh, wenigstens eine Notbeleuchtung. Bei dem Gedanken mit dem Kerl in diesem dunklen Käfig gefangen zu sein, war mir das Herz ganz schön in die Kniekehlen gerutscht. Also nicht, das ich mich jetzt wohler fühlte, aber so konnte ich ihn wenigstens im Blick behalten. Wie lange konnte es wohl dauern, bis man uns hier rausholte? Roman sprang zu dem Knopfpanel und drückte und hämmerte wie wild auf den Rufknopf. Sofort ertönte ein lauter Alarmton. Gut, dann wurde man mit Sicherheit schnell auf uns aufmerksam und befreite uns aus dem Ding. Ich zog mein Handy aus der Tasche und schaute auf die Uhr. Pünktlich zur Verhandlung schafften wir es garantiert nicht mehr. Warum hatte ich Idiot eigentlich den Fahrstuhl genommen? Jeder wusste doch, dass man den weder bei Feuer noch wenn man es eilig hatte nahm. Gut, die Erleuchtung nutze mir jetzt aber auch nichts mehr, wo ich hier festsaß. Ich schaute zu Roman, der immer noch wie wild auf den Knopf hämmerte und das Teil fast zerlegte, während sein Kopf schon knallrot war. Ich tippte schnell eine Nachricht an Marvin, damit er wusste, in welch bescheidener Situation ich mich befand und mir zur Hilfe kommen konnte. Wie von alleine tippten meine Finger am Ende ein 'Ich liebe dich' . Wenn ich ihn vielleicht nie mehr wiedersehen sollte, weil ich in einem Gerichtsfahrstuhl erstickte oder von meinem Ex-Ehemann am Tag meiner Scheidung gemeuchelt wurde, dann sollte er das wenigstens wissen. Ersteres war laut meines umfangreichen Wissens beruhend auf diversen Hollywoodfilmen jedenfalls zu erwarten, denn die Lüftung fiel doch auch mit aus, wenn der Fahrstuhl stecken blieb. Warum fingen sonst die Schauspieler in solch einer Situation zu schwitzen an und bekamen kaum noch Luft, ehe sie aus der Luke an der Decke in den Schacht kletterten? Mein Blick ging nach oben. Da war gar keine Luke. 'Und sage den Kindern auch, dass ich sie liebe.', tippte ich weiter und drückte auf senden. Mist, warum machte das Teil denn nichts? Na super, kein Empfang. Ich war verloren. Verzweifelt ließ ich mich an der Wand runter auf den Boden rutschen und starrte auf mein Handy. Wir saßen hier schon unendliche 180 Sekunden fest. Wie lange sollte das denn noch dauern. Ich schaute zu Roman, der mittlerweile mit seinen Fäuste gegen die Fahrstuhltür hämmerte, die bedrohlich schepperte. "Wie geht es eigentlich Delphie?", hörte ich mich auf einmal sagen.
DU LIEST GERADE
Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6
RomanceJasmin ist seit über 15 Jahren eigentlich glücklich verheiratet. Aber eben nur eigentlich. Und auch mit den drei Kindern läuft nicht alles wie es sollte. Dazu kommt noch jede Menge Arbeit in ihrer Agentur. Trotzdem ist ja doch alles ziemlich bequem...