Kapitel 158

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"Mm, das ist voll lecker." Dani biss in den mit Schokolade überzogenen Marshmallow, den ihm Delphie gereicht hatte. Ja, das Schokofondue war ein voller Erfolg. "Marshmallows sind aber total ungesund. Sie bestehen aus purem Zucker und haben überhaupt keine Vitamine." Manchmal fragte ich mich wirklich, wo Ella das alles her wusste. Sie reichte Dani ein Stück Grapefruit mit Schokoglasur "Das ist viel gesünder, da ist Vitamin C drin, damit bekommt man keine Erkältung." Delphie verzog ihr Gesicht, genau wie Dani als er in die Frucht biss "Ist aber nicht so lecker.", maulte mein Sohn und Delphie streckte Ella grinsend die Zunge raus. War das gerade ein Fortschritt? Ich schaute zu Marvin, der mir zuzwinkerte. Scheinbar sah er das genauso wie ich. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung. "So Kinners, jetzt machen wir aber erst einmal Bleigießen." Mein Vater kam mit den ganzen Utensilien an und stellte sie auf den Tisch. Man, wie lange hatte ich das schon nicht mehr gemacht. Meine Kinder schauten auch total neugierig. Klar, sie kannten das ja nicht. Wieder einmal wurde mir klar, dass  viel zu selten diese ganz normalen Sachen, die Familien normalerweise machten, bei uns stattgefunden hatten. "Ich mag die Glocke haben.", strahlte Dani, "Und ich den Stern.", freute sich Ella, nachdem Max dieses Mal den Erklärbären gegeben hatte. "Und du Delphie?" Sie zuckte mit den Schultern "Mir doch egal. Ich will gar nicht wissen, was passiert.", brummte sie. Es schien fast als hätte sie Angst vor der Zukunft. Na ja, ihre Welt hatte sich im letzten Jahr auch komplett verändert, wen wunderte es da, dass sie sich vor noch mehr Veränderungen fürchtete. "Die Dinger reichen für alle Kinder und wir Erwachsenen müssen uns eens teilen. Dit heißt wir machen zusammen. Alles Klärchen?" Mein Vater schaute in die Runde. "Der Kleenste fängt an." Dani hielt den Löffel ganz vorsichtig über die Kerzenflamme. Mit viel Schwung schubste er das flüssige Blei in die Schüssel. Das typische Zischen und Knacken, ließ ihn kurz erschrocken aufquietschen, ehe er mit seiner Hand in der Schüssel fischte. Ja, und dann ging das große Deuten und Rätseln los. Ich hielt das Teil, das Marvin und ich gegossen hatten in der Hand gegen das Licht. "Das sieht aus wie...." ich strich mir mit meiner Hand über das Kinn. "Wie ein kleiner Affe.", lachte Leo, die über meine Schulter lunste. "Boah, nich noch mehr Viechzeug.", stöhnte mein Papa auf. "Wir bekommen einen Affen.", jubelte Dani und riss seine Ärmchen in die Luft. Ich schaute zu Marvin, der schmunzelte. Wahrscheinlich würde er auch mit dem Haustier keine Probleme haben. "Und was hast du?" Leo beugte sich zu Delphie, die ihren Bleiklumpen vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Sie zuckte mit den Schultern. "Das sieht aus wie ein Tütü." Leo griff den Klumpen und drehte ihn in der Hand. "Ja, eindeutig." Sofort schnappte Delphie danach und betrachtete ihn auch. Ihre Augen fingen an zu strahlen. "Bestimmt bekommst du eine ganz tolle Rolle bei eurem nächsten Auftritt. Und ich komme zuschauen", mischte ich mich ein.  "Ich auch.", lachte Leo "Ehrlich?" Delphie schaute ihre Schwester ganz verwundert an. "Klar. Ich muss doch sehen, wie du alle an die Wand tanzt.", nickte Leo. "Apropos tanzen. Lasst uns mal een bisschen dit Tanzbeen schwingen.", mein Vater trommelte auffordernd mit seinen Händen auf dem Tisch. "Heute is Silvester. Da wird jeschwooft."  "Du mal wieder, Chris." Meine Mutter schüttelte grinsend den Kopf "Und morgen kann ich dir wieder alle Knochen einbalsamieren. Los, haut ab. Ich räume hier noch schnell auf." Das war wohl das Startsignal, denn alle sprangen auf und liefen ins Wohnzimmer. Mika schloss sein Handy an die Musikanlage und sofort dröhnte düsterer Rap aus den Lautsprechern.  "Eh, Kamerad. Jibt et uff dem Ding och tanzbarere Musik für uns Grufties?" Mein Vater tippste ihm auf die Schulter. "Lass mich mal machen." Leo schob sich an den beiden vorbei und kurze Zeit später ertönte ruhige Musik. "Darf ich bitten?" Marvin verbeugte sich vor mir und zog mich ehe ich überhaupt antworten konnte fest in seine Arme. Ich musste an letztes Jahr Silvester denken. Da hatten wir beide auch getanzt, nachdem Roman mich hatte abblitzen lassen, obwohl ich ihn fast um einen Tanz angebettelt hatte. Irgendwie war da schon der Wurm drin. Und dann der riesige Streit um Mitternacht. "Was grübbelst du denn schon wieder, Mausi?" Wieso hatte Marvin eigentlich so eine gute Antenne für mich und meine Gefühlslagen? "Ich musste an letztes Jahr Silvester denken. Sagt man nicht, so wie das alte Jahr aufhört, wird das neue? Also bei mir hat es zugetroffen." Er schaute mich nachdenklich an "Du meinst der Streit und dann die Scheidung?" Ich nickte. "Dann sorgen wir dafür, dass es nächstes Jahr auch wieder zutrifft. Ich werde dich die ganze Zeit küssen und nächstes Jahr heiraten wir dann." Um mir seine Absichten zu verdeutlichen senkte er seine Lippen auf meine. Ja, der Plan gefiel mir. "Du musst deine Hände so nach außen drehen. Dann sieht das viel eleganter aus. Und kleine Schritte, mehr auf den Zehenspitzen. Nicht so trampeln.", hörte ich Delphie neben uns. Ich löste meine Lippen von Marvin und schaute mich um. Was ich da sah, freute mich richtig. Meine Tochter stand lächelnd vor Ella und zeigte ihr ein paar Tanzschritte. Das sah bei ihr wirklich richtig elegant und leichtfüssig aus. Ja, sie hatte wirklich Talent. Das war unbestreitbar. Genau wie die Freude, die ihr das Tanzen machte. Ella pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht "Man, das ist echt schwierig und ganz schön anstrengend." Ich fand es schön, dass die beiden Mädels mal etwas gemeinsam machten. Schließlich waren sie im gleichen Alter und könnten Freundinnen sein und nicht nur verhasste Stiefschwestern. Vielleicht würde ja doch noch alles gut. Komisch immer an Silvester hatte ich so eine melancholische Stimmung. Eigentlich war das doch Blödsinn, denn es änderte sich ja nur die Jahreszahl, was war da der große Unterschied zum Monatswechsel? Trotzdem machte ich irgendwie jedes Jahr seelische Inventur und meist hatte ich Angst, dass sich etwas änderte. Dieses Ungewisse, was kommen würde und was von dem alten Jahr übrig blieb.  Dieses Jahr freute ich mich aber unbändig auf die neuen Sachen die da kommen würden. Ich würde heiraten. Damit hätte ich in tausend Jahren nicht gerechnet, dass ich noch einmal vor den Traualtar schritt. Und auch wenn ich morgen Abend meine kleine Tochter wieder verlor, wusste ich doch, dass eine kleine Basis zwischen uns entstanden war. Im neuen Jahr hieß es nur diese auszubauen. Und wenn das Jahr nicht dafür reichen würde, dann eben auch in den kommenden Jahren. Egal wie viele es brauchte. Ich drückte wieder meine Lippen auf Marvins. Ja, wir würden dafür sorgen, dass das nächste Jahr ein außergewöhnliches voller Glück wurde.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt