Kapitel 70

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Im Radio lief gerade der neueste Sommerhit und verbreitete gute Laune. Die konnte ich auch gut gebrauchen, denn irgendwie war ich ziemlich niedergeschlagen. Was eigentlich total töricht war, denn eigentlich sollte ich mich lieber freuen. Tat ich ja eigentlich auch, aber " Was ist, Mausi? Du vermisst Leo jetzt schon, stimmt's?" Ich nickte kleinlaut. Wir hatten Leo gerade, genau wie Mika zum Flughafen gebracht und der eine war auf dem Weg nach Mallorca und die andere auf dem Weg nach Ibiza. Ich musste daran denken wie glücklich Leo gestrahlt hatte, als sie mich zum Abschied umarmte. "Ach Mausi, das sind doch nur drei Wochen und dann sind wir auch auf Ibiza." Das stimmte und irgendwie freute ich mich schon riesig auf Palmen, Sonne und Meer. "Mama, wie lange sind drei Wochen?" Ich drehte mich zu Dani um. Der Zwerg wollte das mittlerweile immer ausgerechnet haben "Das sind 21 Tage." Ich könnte ihn ja mal necken "Wie viele Stunden?" "504 Stunden." Natürlich ging das Spiel weiter bis ich endlich 1.814.400 Sekunden antwortete. Zufrieden lehnte er sich wieder in seinem Kindersitz zurück, ehe er sich stöhnend die Hand vor den Mund schlug "Aber Mama, das ist ja ohneendlich." Seine Stirn war sorgenvoll in Falten gelegt. "Bestimmt erkennt uns Leo dann gar nicht mehr." Obwohl ich innerlich grinsen musste, blieb ich ganz ernst "Leo würde uns immer erkennen, weil sie uns lieb hat. Und wenn du möchtest können wir ja mit ihr skypen." Dani nickte wild  "Auja." Plötzlich schaute er mich wieder nachdenklich an "Was ist skypen?" Schnell versuchte ich ihm das zu erklären. "Was haltet ihr davon, wenn wir heute bei dem schönen Wetter noch an den Badesee fahren?" Das war eine super Idee Zweifacher Jubel im hinteren Bereich des Autos brach aus und auch ich grinste meinen besten Freund neben mir an. "Wir können ja einen Picknick-Korb mitnehmen.", schlug ich also auch schnell vor und der Jubel wurde dreistimmig. "Wir brauchen doch ein bisschen Urlaubsfeeling, wenn wir noch ohneendlich warten müssen bis es für uns auch in den Urlaub geht." Marvin zwinkerte mir zu und ich musste lachen. Ja, drei Wochen waren definitiv ohnenedlich, denn es würden drei sehr arbeitsintensive Wochen werden. Glücklicherweise hatten wir ja Andi. Er machte sich wirklich gut und war in der kurzen Zeit schon kaum entbehrlich. Die Ruhe und Fröhlichkeit, die er immer austrahlte schafften einfach ein tolles Arbeitsklima. "Was macht denn Romans Auto hier?" Marvin riss mich aus meinen Gedanken und sofort schrillten sämtliche Alarmglocken "Wie Romans Auto?" Marvin deutete auf unsere Einfahrt auf den Platz, wo jetzt eigentlich sein Auto einparken sollte. Was hatte das zu bedeuten? Ich hatte doch gestern Abend noch mit Karin telefoniert. Sie hatte mir nur erzählt, dass Delphie auch gerade Ferien bekommen hatte und dass ihr Zeugnis so mittelmässig war. Naja, so ein Wechsel mitten im Schuljahr war ja auch nicht einfach wegzustecken. Warum hatte sie mir nicht gesagt, dass Roman nach Dortmund kam. Und viel wichtiger war die Frage, was wollte er hier? Marvin hatte sich quer vor mein Auto gestellt und den Motor ausgemacht. Er schaute mich auch ziemlich alarmiert an. "Ihr wartet im Auto. Wir holen nur die Badesachen.", gab er seiner Tochter die Anweisung während wir beide gleichzeitig die Tür öffneten und ausstiegen.  Schnellen Schrittes liefen wir zur Eingangstür an der Roman wild herumfluchte und plötzlich auf die Klingel einprüggelte. Immer noch schossen irgendwelche Worte aus seinem Mund, besonders nachdem er scheinbar einen Blick auf das Namensschild erhascht hatte. Na, wie gut, dass ich sein blödes Schweizerdeutsch nicht verstand, sonst müsste ich mich nachher noch aufregen. Sauer drehte er sich in unsere Richtung "Ach schau mal einer an. Da kommt ja die Schlampe mit ihrem Hofnarren." Was ging denn bei dem ab? Marvin strich mir mit seiner Hand beruhigend über meinen Rücken. Ja, er hatte recht. Ich musste ruhig bleiben. Eine weiter Eskalation brachte niemanden etwas. Ich musste ja auch an Dani denken, der noch im Auto saß. Er musste ja nicht schon wieder eine Auseinanderstzung zwischen seinen Eltern mitbekommen. "Was fällt euch eigentlich ein die Schlösser ohne mein Wissen in meinem Haus auszutauschen?" Roman starrte uns wütend an. "Das ist immer noch mein Haus und bleibt mein Haus." Ja, klar wir hatten ja die Schlösser gewechselt als Leo der Schlüssel geklaut worden war. Egal, das machte keinen Sinn ihm das zu erklären, so sauer wie er war. Ganz ruhig lief ich also an ihm vorbei, dicht gefolgt von Marvin, der sich wie ein Schutzschild zwischen uns schob, und schloss die Tür auf.  "Und sein Name steht auch schon an der Tür. Da habt ihr ja keine Zeit verschwendet." Wieder war ein wütendes Schnaufen zu hören. "Und wie fühlt es sich so an, wenn man sich im Haus eines anderen einnistet, weil man sich kein eigenens leisten kann und die Schlampe im Ehebett vögelt?" Okay, so langsam ging er zu weit. Ich spürte Wut in mir aufsteigen. "Pass mal auf...", platzte es aus mir heraus "Ach ganz gut.", unterbrach mich Marvin ganz ruhig und schüttelte leicht mit dem Kopf. Damit wollte er mir wohl ein Zeichen geben. Okay, ich sollte nicht darauf einsteigen. Ich versuchte meine Wut herunter zu schlucken. "Wie sieht das hier überhaupt aus?" Roman war uns ins Wohnzimmer gefolgt. "Das sieht ja aus wie bei Sozialempfängern. Hat er seine billig Möbel gleich mitgebracht? Wo sind meine Möbel?" Seine Augen funkelten mich wütend an "Im Storage. Du kannst sie jederzeit haben." Ich beschränkte mich auf das nötigste. Wie gut, dass ich sie eingelagert und nicht entsorgt hatte. Wieder schnaubte er wütend. So langsam würde mich aber interessieren,  warum er hier überhaupt so ohne Ankündigung aufschlug. "Was willst du hier?" Schon wieder dieses Schnauben. Der erinnerte ja an einen wilden Stier. "Meine Tochter abholen, was sonst. Da ich aie telefonisch ja nicht erreichen konnte, musste ich ja herkommen." Wieso konn er Leo nicht erreichen? Ihr neues Handy funktionierte doch perfekt. Ja, klar. Sie hatte ja einen neue Nummer, weil das altte Handy ja mit ihren Schlüsseln gestohlen worden war. Hatte sie ihrem Vater ihre neue Nummer nicht mitgeteilt? Verübeln konnte ich es ihr nicht. Plötzlich brüllte Roman los "Leo, packe deine Sachen." Wie bitte? Ich hatte mich doch wohl verhört. Mein Herz fing an zu pumpen. Was sollte ich machen, wenn er auf einmal Dani mitnehmen wollte? Erschrocken schaute ich zu Marvin. Der mir wieder ein Zeichen mit seinen Augen gab ruhig zu bleiben. Ein Glück, dass er hier war und ich Roman nicht alleine gegnüber stand. "Leo ist gerade im Flugzeug in den Urlaub." Ich musste mich zusammenreißen, damit er meine Angst nicht mitbekam. "Was fällt euch ein." Mein Exmann trat empört gegen den Couchtisch. Lautscheppernd flog die Dekokerze, die darauf stand auf die Erde. "Ich habe Anspruch auf Zeit mit meiner Tochter. Und wenn ich es will, dann hat sie mit in die Schweiz zu kommen. Ich werde euch verklagen." "Pass' mal auf Kumpel," ich schaute verwundert zu Marvin. Wenn er so anfing, war er auch ziemlich sauer "Deine Tochter ist fünfzehn Jahre und kann frei entscheiden wann und wo und  bei wem sie sein will. Wir sind hier in Deutschland und nicht in einer Bananenrepublik. Das kannst du gerne vor Gericht klären. Der Richter wird dir das dann auch erklären, aber vielleicht reicht es ja auch, wenn du deinen Anwalt fragst. Dann wird es nicht so teuer, schließlich wissen wir doch beide, dass das Geld bei dir ziemlich knapp ist, wenn du schon eine Frau auf Unterhalt verklagen willst." Okay, das war ziemlich provozierend, aber im Grunde hatte er recht. Und der letzte Satz schmeckte Roman garantiert nicht, so altmodisch wie er eingestellt war. Ich wartete erst einaml die Reaktion ab "Dann ist die kleine Schlampe also wieder mit dem Bengel auf Ibiza. Oder hat sie schon einen neuen?" Wie hatte er gerade seine Tochter tituliert? Jetzt reichte es wirklich. "Raus.", brüllte ich ihn an und deutete mit meiner Hand zu der noch offenstehenden Haustür. "Maaamaa.", hörte ich auf einmal Danis Stimme. Panisch rannte ich nach draußen. Ich musste verhindern, dass er etwas von dem Ganzen mitbekam oder noch viel schlimmer, dass Roman ihn mitnahm, nur um mir eins auszuwischen. Dani stand vor Romans Auto und neben ihm stand Delphie. Ich traute meinen Augen nicht. Meine Tochter war auch hier. Ich rannte zu ihr und wollte sie in meine Arme nehmen. Kurz vor ihr blieb ich stehen. Sie hatte die Belle in der Hand, die ich ihr in Paris gekauft hatte. "Das Mistding kannst du behalten." Ehe ich mich versah, hatte sie die Figur auf die Erde vor mir geworfen. Das war wie ein Messer, das sie mir in den Bauch gerammt hatte, besonders das wütende hasserfüllte Funkeln in ihren Augen. Was hatte ich gemacht, dass meine Tochter mich so hasste? "Roman-Schatz, hast du jetzt endlich alles geklärt? Mein Make up verläuft sonst bei der Hitze im Auto.", hörte ich eine Stimme aus dem Autoinneren. Wie jetzt? Mich machte er rund, dass Marvin bei mir wohnte, was ja nur auf rein freundschaftlicher Basis war und er hatte aber schon eine neue Freundin? Ich glaubte ja wohl es hackte. Also mir war egal, ob er eine oder zehn Freundinnen hatte, aber er sollte gefälligst akzeptieren, dass ihn mein Leben so überhaupt nichts mehr anging und sollte gefälligst seine unangebrachten Vorwürfe lassen, noch dazu, wenn er selbst im Glashaus saß. Ich hörte Schritte neben mir und hob meinen Blick von Belle, die immer noch auf dem Boden lag. Marvin stand direkt neben mir und Roman neben Delphie. Sein Blick ging zu Dani. Oh nein, mir musste sofort etwas einfallen. Er durfte meinen kleinen Schatz auf keinen Fall mitnehmen. Ich versetzte meine Hirn in Hochbetrieb und schluckte den fetten Kloß herunter, den ich seit Delphies Ansprache immer noch in meinem Hals hatte. "Papa, der böse Mann soll weggehen." Dani krallte sich an Marvins Beine. Mein Sohn schaute wütend seinen Vater an. Roman schnappte nach Luft "Also weiß es der kleine Bastard schon." Ich schüttelte nur meinen Kopf und spürte unendliche Wut in mir. Warum konnte er sich nicht wie ein normaler Vater verhalten? Ein vernünftiger Vater würde solche Sprüche weder vor einem Vierjährigen noch vor einer Achtjährigen ablassen. "Prinzessin, steige bitte wieder in das Auto ein.", wandte er sich glücklicherweise wenigstens freundlich an Delphie. Ja, seine Prinzessin halt, die auch sofort seiner Aufforderung folgte, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen. Roman kam auf mich zumarschiert "Das werdet ihr alles noch bitter bereuen.", funkelte er mich an und schubste mich beiseite. Ich knallte gegen den Kofferraum von Marvins Auto. Ein spitzer Schmerz durchzog meinen linken Unterarm. Der war aber nichts gegen den Schmerz, den ich spürte als Roman ausparkte und ich einen letzten Blick in das hasserfüllte Gesicht meiner jüngsten Tochter werfen konnte. Dann hörte ich nur noch die quietschenden Reifen und schaute dem davonrauschenden Auto hinterher. Ich spürte dieses fiese Kribbeln an meiner Nasenwurzel. Nein , ich durfte jetzt nicht auch noch vor Dani anfangen zu heulen. Marvin kam zu mir und zog mich in seine Arme. Okay, ich hatte den Kampf verloren. Die ersten Tränen liefen über meine Wangen und ein heftiges Schluchzen brach sich Bahn. "Mausi, alles wird gut. Er kann euch nichts tun. Ich bin da und passe auf euch auf.", redete Marvin tröstend auf mich ein. Das fühlte sich gut an. Ja, er hatte recht. Roman konnte uns nichts tun. Marvin wäre immer da. Auf ihn konnte ich mich verlassen. Und ich durfte Roman keine Möglichkeit geben sich in unser Leben zu mischen und es zu zerstören. Er hatte in unserem Alltag nichts mehr zu suchen. Genau. Unser Alltag. Ich schluckte schnell meine Tränen herunter "Los, lasst uns schnell Badesachen holen und dann zum Badesee." "Ja, Badesee.", jubelten Dani und Ella sofort. Marvin schaute mich prüfend an, nickte aber nur. "Na, dann los." Die Kinder rannten vor zum Haus. "Wir sprechen später.", raunte er mir zu, während er mir sanft über meinen linken Arm strich "Aua.", entfuhr mir ein spitzer Aufschrei. Verflucht tat das weh.

Ein Schuss und Treffer im Freundschaftsspiel ✔Teil 6Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt