10. Talentlose Spezialisten

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Meine Haken waren irgendwo schräg über mir im Baum verankert, weshalb ich glücklicherweise nicht noch hinunter kugelte. Stöhnend schälte ich mich von der Baumrinde und sah mich nach dem Schuldigen um. Um so zu kollidieren, war es unmöglich, dass ich aus Unaufmerksamkeit einfach gegen die Rinde klatschte wie ein Insekt auf eine Windschutzscheibe. Allerdings entdeckte ich niemanden, weshalb ich mich abtastete. Hm, schaut so aus als würde nur alles wehtun und nichts verletzt sein. „Ausweichen muss noch verbessert werden", kam plötzlich der Kommentar. Erschrocken zuckte ich zusammen und sah mit einer Hand am Herzen zu meiner Rechten. Dort stand Levi tiefenentspannt auf einem dicken Ast. Kaum entdeckte ich den schwarzhaarigen, verzog ich genervt mein Gesicht. Um Auszuweichen, müsste man erst einmal das Hindernis sehen.

Irgendwo hinter Levi konnte ich Ruby lautstark fluchen hören: „You, little bitch, you will be a dead, tiny man!" Levi schaute nur desinteressiert in Rubys Richtung und hatte, wenn ich mich nicht irrte, ein leicht verwirrtes Glitzern in den Augen. Zu Rubys Glück. Kurz verwundert, grummelte ich dann gegen den Baumstamm: „Wenn du so weiter machst, lass ich mir etwas Kreatives für deinen Schwarztee einfallen." Vielleicht haute ich ihm ein paar Löffel Gewürze hinein. Ja, ja, das war eine gute Idee.

„Also, das Ganze von vorne", wurden wir nun angehalten, bevor der Hauptgefreite auch schon wieder verschwand, dabei durchlöchert von unseren miesgelaunten Blicken. Bevor wir auch nur irgendwie seinen Anweisungen folgten, schwangen wir uns auf den Ast, auf dem der schwarzhaarige vorhin gestanden hatte, und rieben uns noch unsere wehen Stellen. „Irgendwann erschlag ich ihn", murrte ich und bekam ein „Ich helf' dir" zurückgeknurrt. Wir wechselten noch einen grimmigen Blick, ehe wir Levi wieder zur Plattform folgten. Dort bekamen wir eine Einleitung in unsere nächsten Stunden Training. Dabei hörte sich Ausweichen gar nicht so schlimm an.


Einige Stunden später – wohlgemerkt war früher Abend und wir hatten keine Pause gemacht, um Mittagessen zu gehen – waren wir eines Besseren belehrt worden. Ich fühlte mich wie von einem Titanen gekaut, geschluckt, ausgespuckt und nochmal gekaut. Wie hatte ich auch nur erwarten können einem Ackerman auszuweichen, sei einfach ... und schmerzlos.

Wir verstauten ungelenk die Ausrüstung in den Regalen des Lagerraums und schleppten uns in den Speisesaal, wo wir uns schnell unser Abendessen holten und uns durch die Massen zu unseren Freunden durchschlugen. Es ging schon fast automatisch, dass man auseinanderrückte und zwei Plätze frei machte. Umständlich stellten wir unsere Schüsseln auf den Tisch und stützten uns gegenseitig beim Versuch uns auf die Sitzbank zu setzen. Allerdings waren wir ziemlich fertig und von übernatürlicher Tollpatschigkeit beschenkt, weshalb wir fast auf den Tisch gefallen wären, wenn uns Eren und Mikasa nicht abgefangen hätten. Als wir wieder geradestanden, nutzten wir nun unsere zwei Retter zur Hilfe, um stocksteif irgendwie auf unsere Plätze zu kommen. Während ich umständlich über die Bank stieg und Mikasa zur Hilfe nahm, meinte ich gedrückt: „Ich fühl mich wie eine alte Frau." „Schön, dass du das einsiehst", kam sofort von der Pferdefresse, die sich grinsend einen Löffel seines Essens in den Mund schob. „So viel älter als du bin ich jetzt auch nicht", grummelte ich und plumpste mit voller Wucht auf meinen Platz. Ich war zu fertig, um mich mit dem Idioten zu streiten.

Neben mir krachte nun auch Ruby auf die Bank und deklarierte: „Ääääähh", und ließ somit ihren Kopf neben ihre Schüssel fallen. „Was hat man denn mit euch gemacht?", fragte nun Connie, der soeben mit Sasha an unserem Tisch ankam. Als sich die zwei Neuankömmlinge setzten, legte Ruby ihren Kopf auf ihre am Tisch liegenden Hände und schielte zu ihrem Freund. „Guess." Connie begann zu lachen und ich warf ihm einen giftigen Blick zu. „Was gibt's da zu lachen?", fragte ich energisch, „Werd' du doch mal von einem ein Meter sechzig großem Bündel an unterdrückten Gefühlen mit der Geschwindigkeit von einem Auto auf der Autobahn mitten in der Luft gerammt." Genervt schob ich mir einen Löffel meiner Pampe in den Mund. Sogleich verzog ich mein Gesicht minimal. Auch wenn es besser aussah und die Konsistenz bei Weitem besser war als gestern, hatte das Zeug noch immer ein gewaltiges Gewürzdefizit.

Am Tisch brach Gelächter aus und Connie erwiderte: „Was glaubst du denn, wie's wir gelernt haben?" Nun meldete sich auch Sasha gequält lächelnd zu Wort, die mir schräg gegenübersaß: „Die Blauen Flecken spüre ich heute noch." Beleidigt schwieg ich und löffelte weiter mein Brei-Etwas. Ein wenig Empathie hätte jetzt auch nicht geschadet.

Da keiner mehr etwas dazu zu sagen hatte und sie sich lieber über mich beleidigte Leberwurst amüsierten, schaufelte ich einfach stillschweigend und dumm in die Gegend schauend mein Essen in meinen Mund. Die Gespräche bekam ich nur am Rand mit. Als sich eine weitere Person zu unserer Runde dazugesellte, sah ich auf. Zu meiner wenigen Verwunderung,  saß Marlo nun neben Jean und sah uns mit einem skeptischen Blick an. Ich imitierte seine Mimik und auch Ruby sah augenbrauenhebend zu dem Jungen mit Topfhaarschnitt. „Was ist? Hast' keine Glotze daheim?", fragte Ruby genervt. Marlo zögerte einige Zeit. Na, wenn nichts mehr kommt, dann kann ich mich ja meinem gewürzlosem Zeug widmen.

Ich hatte mich schon wieder daran gemacht, mir den nächsten Löffel hinunter zu zwingen, da kam endlich die Frage von Marlo. „Stimmt es, dass ihr nichts könnt und trotzdem in der Spezialeinheit seid?" Ruby und ich hielten mitten in der Bewegung inne und starrten Marlo an. Wow, das war direkt. Es dauerte einige Sekunden, bis die Frage ganz durchgesickert war und unser Hirn beschloss doch noch einmal den Motor anzulassen. Meine Freundin und ich wechselten einen überraschten Blick, ehe wir synchron zurückgaben: „Jap." Und schon widmeten wir uns wieder unserem Essen, während Marlo uns noch immer perplex anschaute. „A-aber wie?", kam nun überfordert von ihm. Ruby antwortete ihm kauend: „Connections." Auf den verwirrten Blick hin, wollte ich schon übersetzen, allerdings kam mir da Connie zuvor und erklärte seinem Kameraden, dass wir ziemlich gute Beziehungen zu der Führungsebene des Aufklärungstrupps hatten. Hach, war das schön, wenn ich nicht alleine Wörterbuch spielen musste.

Dem schwarzhaarigen entgleisten die Gesichtszüge und er flüsterte: „Ihr habt was mit euren Vorgesetzten?" Während Jean das ziemlich amüsant fand, starrten alle anderen ihren Kollegen entgeistert an. Und Ruby und ich? Wir erstickten mal schön an unserem Essen. Als erstes fing sich Armin wieder und meinte: „Ach was. Das ist doch völliger Blödsinn. Der Kommandant hat schon seine Gründe, warum er die zwei in die Einheit des Hauptgefreiten steckt." „Wobei ihr den Hauptgefreiten am Anfang ganzschön angeschmachtet habt", warf nun Connie ein. Sobald Levis Titel gefallen war, versuchte man Connie durch wildes Gestikulieren zum Aufhören zu bewegen, allerdings erfolglos. Das wurde ja immer besser. Ruby und ich blickten entsetzt zu Connie. Innerhalb einer Millisekunde verwandelte sich dieser Ausdruck jedoch in einen wütenden und so schnell konnte ich gar nicht schauen, da flog auch schon Ruby Schüssel zielgerichtet auf Connie zu. Gerade so wich dieser aus. „Shut up!", schrie Ruby ihrem Freund entgegen. Alle anderen hatten wenigstens Taktgefühl, aber Connie? Connie war einfach nur dumm. Aber das war ja nichts neues.

Endlich schien er seinen Fehler bemerkt zu haben und lächelte verlegen, während er eine Entschuldigung nuschelte. Mir war der Appetit gerade irgendwie vergangen. Ich weiß nicht, so recht gut ging es mir auch nicht. Kaum gedacht begann mich ein Hustenanfall durchzuschütteln und wollte nicht aufhören. Erst nach einigen Minuten hatte ich mich soweit im Griff, dass ich ein Husten mit einem Räuspern ersticken konnte. Allerdings wurde ich nun angesehen als hätte ich die Pest. Ich verdrehte die Augen und meinte: „Bei allen Göttern, ich hab keine tödliche Krankheit." Als der Blick nicht wich, verdrehte ich die Augen erneut, erhob mich mit meiner Schüssel, wünschte den Herrschaften eine angenehme Nachtruhe und begann dabei erneut zu Husten. Oh, wie ich meinen Husten doch liebe.

Als ich die Kantine verließ, kroch mir sofort die Kälte in die Knochen und so schlurfte ich zitternd in mein Zimmer und kuschelte mich in die Decke.

Attack on Titan becomes reality 3 - We're back!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt