"Lass' mich runter. Roman, ich kann noch alleine laufen.", zickte Jasi. Denn kaum, dass ich vor dem Krankenhaus gehalten hatte und sie aus dem Auto gestiegen war, hatte Roman sie wieder auf seine Arme genommen. "Das ist doch total albern. Wie sieht das denn aus? Die Leute gucken schon alle."
"Du läufst nicht, mei Sunneschii, das ist viel zu gefährlich. Wenn die Fruchtblase geplatzt ist, besteht sonst die Gefahr, dass sich das Kind mit der Nabelschnur stranguliert." Er machte nicht die geringsten Anstalten seine Frau herunter zu lassen und fuhr in seinem Vortrag betreffs der nahenden Entbindung fort. Der mussste wirklich sämtliche Ratgeber auswendig gelernt haben. Ich lief also hinter den beiden hinterher und trug die Tasche. Das hörte sich ja fast wie in Dirty dancing an, von wegen ich habe eine Melone getragen.
"Unsere Fruchtblase ist geplatzt. Wir müssen dringend in den Kreißsaal", überfiel Roman die Dame an der Anmeldung, die ihn nur angrinste.
"Sie haben eine Fruchtblase, Herr Bürki. Das ist ja mal interessant."
Jasi stöhnte wieder auf. "Unsere Wehen kommen regelmässig alle drei Minuten. Ich habe das gestoppt.", gab Roman schon wieder zum besten. Irgendwie hatte er gerade etwas von einem Musterschüler.
"Ach, jetzt haben Sie auch noch Wehen, Herr Bürki.", grinste diese Tussi wieder.
"Jetzt halt deine Klappe, Bürki! Und Sie sorgen dafür, dass ich in den Kreißsaal komme und hören auf meinen Mann zu verarschen, sonst werfe ich hier gleich auf ihrem Schreibtisch.", giftete Jasi. Okay, sie war wirklich absolut unter Strom. Wenn sie so war, sollte man ihr lieber nicht dumm kommen. Das endete sonst garantiert nicht gut für einen. Die Tussi verzog nur das Gesicht und griff mit ihren wohlmanikürten und in Schalkeblau lackierten Fingern nach dem Telefonhörer.
"Sie können sofort in die Entbindungsstation. Es ist schon alles vorbereitet für Sie, Frau Bürki." Dabei blinzelte sie mit ihren falschen Wimpern.
"Na geht doch.", knurrte Jasi als Roman auch schon mit ihr losstürmte. Ich kam mächtig ins schnaufen. Das war doch unfair. Wie sollte ich mit meinen kurzen Stummelbeinchen an einem Spitzensportler, der über 30 Zentimeter gröser als ich war und eine entsprechende Schrittlänge hatte, dran bleiben. Irgendwie gelang es mir aber doch, nachdem ich einfach meine High Heels ausgezogen hatte.
Kurze Zeit später standen wir dann in einem gemütlich eingerichteten Raum in dessen Mitte ein Bett stand. Das Ding sah zwar irgendwie komisch aus, aber es sollte ja auch für eine Entbindung herhalten. Ich ließ meinen Blick weiter schweifen. In der Ecke lag ein riesiger Gymnastikball und an den Wänden waren hübsche Bilder von Monet. Ich liebte diese Seerosenbilder. Ich hatte ja noch nie vorher so einen Kreißsaal gesehen, aber irgendwie hatte ich mir das viel steriler und OP mässiger vorgestellt.
"So, dann viel Glück. Du schaffst das schon.", umarmte ich Jasi und wollte verschwinden. So eine Geburt ist ja doch ein ziemlich intimer Moment für ein Paar. Da hatte ich einfach nichts zu suchen. Gerade als ich mich löste, stöhnte Jasi wieder auf und zerquetschte mir fast meine Hand.
"Du bleibst hier.", schnaufte sie. Ach du liebe Wehe. Ich im Kreißsaal. Da war ich doch überhaupt nicht drauf vorbereitet.
"Jasi, du musst atmen.", kam es von Roman.
"Bürki, du Idiot. Meinst du ich halte gerade die Luft an.", keifte Jasi zurück. "Du darfst mich auf keinen Fall mit dem alleine lassen, sonst mache ich mich selber zur Witwe.", brummelte sie mir zu.
"Frau Bürki, Sie schleudern das Baby ja durch den Geburtskanal. Das geht alles viel zu schnell.", kam es von der Hebamme.
"Soll ich es vielleicht wieder hochziehen und ausspucken. Was ist das denn für eine Knalltüte. Glaubt die ich mache das mit Absicht.", regte sich Jasi auf. Ich fragte mich auch, was die damit meinte. Ich bezweifelte, dass Jasi Einfluss auf das Tempo der Wehen hatte. Ich fragte mich auch, ob diese Tante eigentlich Ahnung von dem hatte, was sie da tat.
"Versuchen Sie doch einmal den Vierfüsserstand. Vielleicht hilft das." Was sollte das bitte schön sein? Vierfüsserstand hatte ich ja noch nie gehört.
Jasi scheinbar auch nicht, denn sie schaute fragend. Roman war da wohl weniger unterbelichtet als wir, denn er fing sofort wieder an zu erklären, was Jasi machen sollte und welche Vorteile der Vierfüsserstand hatte.
"Roman, jetzt halte endlich die Klappe. Und ich werde hier garantiert nicht anfangen igendwelche Turnübungen zu machen.", empörte sich die werdende Mutter als gerade eine weitere Hebamme oder Krankenschwester in den Raum gestürzt kam.
"Da bin ich ja noch rechtzeitig hier. Ihre kleine hat es wohl ziemlich eilig." "Hallo Tanja, ein Glück, dass Sie endlich da sind. Kathi, das ist unsere Hebamme, die uns auch nachher zu Hause betreut.", stellte mir Jasi den Neuankömmling vor. Diese Tanja machte irgendwie auch einen viel netteren Eindruck als die andere Hebamme.
"Frau Bürki, Sie machen das perfekt. Der Muttermund ist auch schon fast komplett geöffnet. Es dauert nicht mehr lange, dann ist das Baby da.", kam es von Tanja, während Roman die ganze Zeit irgendwelche eigenartigen zischenden Atemgeräusche neben Jasi machte und ihre Hand hielt. Jasi stöhnte wieder.
"Perfekt, das sind die ersten Presswehen. Sie können bei der nächsten Wehe anfangen zu pressen."
"Sunneschii, du musst den Kopf an die Brust drücken und dann zischend ausatmen." Roman hatte schon einen hochroten Kopf.
"Wenn du alles besser weißt, kannst du ja das nächste Kind bekommen, du Idiot.", zickte Jasi ihn sofort an. Im nächsten Moment fing sie an zu pressen und folgte den Anweisungen der Hebamme. Ich konnte da gar nicht mehr mit hinschauen. Das sah wirklich mega anstrengend und schmerzhaft aus. Plötzlich hörte ich ein Rumpsen. Ehe ich schauen konnte, was das war, ertönte auch schon ein Babyschrei. Ich schaute also nach dem Baby, dass die Hebamme strahlend hochhielt und Jasi auf die Brust legte. Die strahlte wie die Sonne und der Mond zusammen. Meine Blick fiel zur anderen Seite des Bettes. Wo war den der stolze Vater hin? Gerade rappelte sich Roman wieder auf und schüttelte desorientiert seinen Kopf als er sich wieder auf den Stuhl gesetzt hatte.
"Na, Herr Bürki. Sind Sie wieder da?", fragte diese Tanja besorgt und klopfte Roman leicht auf die Wangen und schaute ihn besorgt an. Der war doch jetzt nicht wirklich abgeklappt und hatte die Geburt verpasst.
"Was ist passiert? Sunneschii, du musst jetzt pressen.", stotterte er. Der war wirklich weg gewesen und hatte einen leichten Filmriss.
"Herr Bürki, Ihre Frau hat Ihre Tochter schon im Arm." Roman riss seine Augen auf und schaute zu Jasi als ihm auch schon die Tränen in die Augen schossen. Man, der war ja total durch.
"Die Männer kippen immer um, wenn sie mitatmen, weil sie total hyperventilieren. Und die durchtrainierten sind immer die schlimmsten.", grinste mich die Hebamme an. Ich schaute zu Jasi und Roman. Er drückte ihr einen Kuss nach dem andern auf die Stirn und spielte an den kleinen Fingern seiner Tochter herum. Die beiden strahlten jetzt um die Wette. Und ich stand hier und spürte wie mir auch die Tränen über die Wangen liefen. So hatte ich mir das auch mit meinem Marco vorgestellt und stattdessen würde er in einem halben Jahr genau diesen Moment mit einer anderen Frau erleben. Mein Magen verknotete sich wieder und mir war speiübel.
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Zwei Schuss, ein Treffer ✔Teil 3
RomanceKatharina, von allen Kathi gerufen, hat einen festgefassten Lebensplan: als erstes erfolgreich das Studium abschließen, dann den Mann für's Leben finden und heiraten und dann zwei Kinder bekommen. Als sie in ihrer neuen Heimat Dortmund ihre alten Ju...