Diese Wehen schafften mich wirklich. Wieso hatten Franzi und Jasi mir erzählt, das wäre gar nicht so schlimm? Momentan hatte ich das Gefühl mein ganzer Körper würde zerreißen. Das waren definitiv die schlimmsten Schmerzen, die ich jemals hatte. Da war mein akuter Blinddarm echt pillepalle gegen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sich alles gegen mich verschworen hatte. Wieso war eigentlich gerade heute die B54 total gesperrt. Mussten die Bauarbeiter sie wirklich auf einem Freitag Abend erneuern?
"Mensch Junge, nun fahr doch mal. Das Teil da unten rechts ist das Gaspedal. Außerdem kannst du nicht mein Kennzeichen lesen? Dickes B an der Spree. Wir sind nicht solche Schnarchgummis wie ihr aus UN. Fahr doch einfach wieder auf dein Dorf zurück.", meckerte Vicki lauthals neben mir, während ich schon wieder aufstöhnte. Wieviele Schlaglöcher gab es eigentlich auf dieser dämlichen Umleitung?
"Du hälst schön bis zum Krankenhaus die Beine zusammen. Ich bin nicht im geringsten geeignet als Hebamme. Du weißt, ich hasse Blut und diesen ganzen Schmutz, der dann nicht aus den Sitzen geht." Na, meine Schwester war ja mal wieder unglaublich mitfühlend und komisch.
"Wenn du hier weiter durch die Wallachei fährst, kann ich dir nichts versprechen." Ich spürte wie ein kleines Schweissrinsal an meiner Schläfe sich den Weg runter bahnte. Vicki betätigte leicht verstört die Hupe und Lichthupe, um unseren Vordermann zu ermutigen etwas schneller zu fahren. Scheinbar wirkte es wirklich, denn er fuhr in die nächstmögliche Parklücke und ließ uns kopfschüttelnd passieren. "Geht doch.", strahlte Vicki und trat ordentlich auf's Gas.
"Wie weit ist es noch?" Ich hatte im Moment wirklich keinen blassen Schimmer, wo wir waren und in meinem Unterleib drückte jemand ungemein. Ich hoffte, dass Vicki wenigstens einen Plan hatte, wo diese dämliche Umleitung lang ging.
"Das kann doch nicht die ihr Ernst sein, dass die uns durch Spielstraßen schicken. Scheiß auf Schritttempo. Kinder haben um die Zeit im Bett zu liegen.", war die geknurrte Antwort. "Hä, wieso ist da ein Ortsausgangsschild von Dortmund und ein Wegweiser nach Herdecke?" Die Selbstgespräche meiner Schwester waren alles andere als beruhigend und ich unterbrach es zu zählen. Ich hatte versucht mich damit abzulenken. Immerhin war ich schon bei 786 angekommen.
"Das ist jetzt nicht dein Ernst, dass du dich verfahren hast.", knurrte ich. Vicki schaute mich achselzuckend an "Könnte schon sein."
"Himmelarschundzwirnsfaden dann mache jetzt dieses verfickte Navi an oder ich raste gleich aus. Wie dämlich kann man eigentlich sein. Das wäre Erik niemals passiert." Das war der Moment in dem ich realisierte, dass ich meinen Sohn alleine auf die Welt bringen musste. Das würde ich niemals schaffen. Meine Tränen fingen an wie der Trevi Brunnen zu sprudeln. Vicki reichte mir eine Taschentuchpackung und tippte weiter am Navi und promptest ertönte die sonore Stimme von der Dame aus dem Navi. Ich schielte auf das Display Ankunftszeit in 20 Minuten. Na bravo. Das hielt ich niemals durch. Deprimiert fing ich also wieder an zu zählen 787, 788. 789, 790.3457, 3458, 3459 "Das Ziel befindet sich auf der rechten Seite." Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen. Noch nie hatte ich mich so über den Satz der Navistimme gefreut wie heute. Vicki stieg voll in die Klötzer und hielt genau vor der Notaufnahme. Noch ehe sie den Motor ausmachen konnte, wurde meine Tür aufgerissen.
"Engelchen, komm ich helfe dir." Ich schaute zu Erik, der meine Hand nahm und mir aus dem Auto half und mich ins Krankenhaus stützte. Wo kam er denn jetzt her? War meine Schwester allen ernstes vier Stunden mit mir im Kreis gefahren oder hatte er einen Hubschrauber genommen? Wieder suchte mich eine von diesen miesen Wehen heim. Ich blieb stehen und keuchte auf. Heilige Scheiße, tat das weh. Ehe ich mich versah, wurde ich angehoben und Erik trug mich auf seinen Armen ins Krankenhaus.
Er rannte auf einmal Richtung Fahrstuhl. Woher wusste er, wo wir hin müssen? Mein Blick fiel auf den Typen im Fahrstuhl, der den Knopf jetzt drückte. Ich stellte meine Augen scharf. Das war ja Dogan. Klar, er wollte ja Erik abholen. Kaum, dass sich die Fahrstuhltüren geöffnet hatten, sprintete Erik schon wieder mit mir los.
"Unser Kind kommt.", brüllte er der Schwester in diesem Glaskasten zu, die sofort aufsprang.
"Seit wann haben Sie Wehen und in welchem Abstand kommen die Wehen? Ist die Fruchtblase schon geplatzt?" War das hier ein Quiz? Saß ich vielleicht auf einer Uhr?
"Die Fruchtblase ist vor 45 Minuten geplatzt und die Wehen kommen alle drei Minuten." Wo kam Vicki denn jetzt her? Und wieso wusste die das?
"Dann folgen Sie mir. Es geht sofort in den Kreißsaal." Erik trug mich immer noch und folgte der Tante, während ich schon wieder stöhnend von so einer blöden Wehe heimgesucht wurde. Hinter mir hörte ich noch ein zweistimmiges "Viel Glück." Keine Minute später wurde ich vor so einer Mischung aus Bett und Gynäkologenstuhl abgestellt. Okay, vielleicht hätte ich doch die Geburtsabteilung vorher besichtigen sollen. Aber das hatte ich mir ja gespart, weil ich es ja von Jasi kannte. Aber hier sah das irgendwie anders aus.
"Dann ziehen Sie sich mal um und ich untersuche Sie dann gleich." Ich nickte. Erik reichte mir mein T-Shirt aus meiner Tasche und ich zog den Rest aus, ehe er mir auf das Bett half.
"Engelchen, wir schaffen das zusammen." Seine Hand strich mir sanft über die Wange. Sofort beruhigte sich mein Herzschlag. Ich war so glücklich, dass Erik jetzt bei mir war. Ich spürte, wie die nächste Wehe anrollte. Ich stöhnte kurz auf. Erik griff meine Hand und streichelte beruhigend über meinen Arm. "Engelchen, lass dir doch eine Betäubung geben, damit du dich nicht so quälen musst."
Die Hebamme untersuchte mich gerade. "Das können Sie vergessen. Dafür ist es schon zu spät. Der Muttermund ist schon komplett geöffnet." Schon wieder kam die nächste Wehe.
"Was soll das denn heißen?" Erik sprach meine Gedanken aus. Die Hebamme lächelte uns an "Naja, das Baby" ehe sie weitersprechen konnte, wurde sie von einer Person, die durch die Tür kam unterbrochen. "Hallo, ich bin Professor Brinkmann. Und wie ich das sehe, will da jemand ganz schnell auf die Welt." Ich hörte nur ganz schnell als ich schon wieder die nächste Wehe heranrollen spürte.
"Das ist schon die erste Presswehe. Sie können jetzt ganz fest pressen." Ich schaltete mein Hirn aus und folgte nur noch den Anweisungen der Hebamme. "So, das Köpfchen ist schon da. Jetzt noch einmal pressen und dann haben Sie es geschafft." Ich presste, was das Zeug hielt und plötzlich waren alle Schmerzen weg und ich hörte kurze Zeit später einen Babyschrei. Ich schaute zu Erik, der gebannt zur Hebamme schaute.
"Wollen Sie die Nabelschnur durchtrennen?" Ein wildes Nicken war seine Antwort. "So jetzt will der Kleine aber zu seiner Mama." Die Hebamme legte mir meinen kleinen Sohn auf meine Brust. Meinen Sohn. Wie sich das anhörte. Ich strich vorsichtig mit meinem Zeigefinger über das kleine Köpfchen und schaute zu Erik, der mich anlächelte. Eine kleine Träne lief ihm über die Wange als er sich zu mir beugte und mir einen Kuss auf die Stirn drückte.
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Zwei Schuss, ein Treffer ✔Teil 3
RomanceKatharina, von allen Kathi gerufen, hat einen festgefassten Lebensplan: als erstes erfolgreich das Studium abschließen, dann den Mann für's Leben finden und heiraten und dann zwei Kinder bekommen. Als sie in ihrer neuen Heimat Dortmund ihre alten Ju...