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Recht gut gelaunt lege ich mein Handy auf die Seite und lausche dem melodischen Klang des immer noch fallenden Regens. Es dauert nicht lange, bis ich die Augen, getrieben von der ruhigen Atmosphäre, schließe und auf dem Sofa einschlafe. 

Ich träume von der Schule, wie Noah in meine Klasse kommt. Es war sein erster Schultag in der Klasse und keinen hat es so wirklich interessiert, dass sich gerade ein neuer Schüler vorstellt. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass er sich freiwillig an einen der unauffälligsten Plätze setzt. Niemand beachtet ihn, nicht einmal die Lehrerin, welche sich auf einmal in Sarah verwandelt. Sie fährt verführerisch durch ihr langes Haar und klimpert mit den Augen in meine Richtung. Doch mein Blick liegt nur auf Noah, wie er gelangweilt aus dem Fenster schaut und den Blättern zuschaut wie sie vom Baum fallen und langsam zur Erde segeln. Ich bin so darin vertieft, dass ich gar nicht wirklich bemerke, dass mir ein Zettel zugeworfen wird. Die ganze Klasse beginnt zu tuscheln und zu lachen. Komplett verwirrt öffne ich den Zettel und sehe mit der gleichen Schrift die gleichen Worte welche mir vor kurzem zugeworfen wurden stehen. Ganz ruhig falte ich ihn sauber zusammen und werfe ihn, wie von einer inneren Macht bestimmt, Noah zu. Sein Blick wendet sich vom Fenster zu dem Zettel. Niemand außer uns beiden hat bemerkt, dass ich ihm die Nachricht zugeworfen habe. Langsam zupft er das Blatt Papier auseinander, scheint den Inhalt zu lesen und ohne mit der Wimper zu zucken steht er auf, öffnet das Fenster und springt. 

Mein Traum wird von meinem klingelnden Handy unterbrochen. Ich brauche einen Moment um zu realisieren, was Wirklichkeit ist und was nicht. Verschlafen hebe ich ab und schaue nicht einmal, wer gerade anruft: "Ja?"
Draußen scheint es bereits zu dämmern und das spärliche Licht reicht nicht einmal aus um die Uhr an der Wand lesen zu können. 
"Niklas, ich....", kommt es aus dem Handy und natürlich weiß ich sofort, dass Noah am anderen Ende ist. Normalerweise würde ich mich freuen, doch durch meinen gerade erst geträumten Traum finde ich die Tatsache, dass er genau jetzt anruft eher unheimlich.
"Ich hätte dich gerne bei mir", bringt er schlussendlich seinen Satz zu ende. Verwirrt starre ich weiter in den dunklen Raum und brauche wohl etwas lange um zu antworten. 
"Wir haben uns doch heute gesehen", meine ich nur und lasse meinen Kopf wieder auf das Sofakissen fallen, von welchem ich mich aufgerichtet hatte. Langes Schweigen am anderen Ende. Draußen prasselt weiter fröhlich Regen vor sich her. Ein leises Seufzen dringt an meine Ohren, allerdings kann ich nicht versichern, ob es tatsächlich von ihm kam oder ich es mir nur eingebildet habe.
"Ja, aber ich möchte dich jetzt sehen. Ich muss...", sagt er nach Längerem doch und klingt schon beinahe verzweifelt, allerdings kann ich keine Zusammenhänge erkennen und erst recht nicht kombinieren. Ich zögere. Meine Gedanken lassen sich nur schwer sortieren. 
"Meine Mutter kommt später noch, geht das nicht wann anders?", frage ich halbherzig nach und schließe meine Augen wieder. Ich muss echt aufpassen nicht gleich wieder einzuschlafen.
"Nein, ich... mir geht es gerade echt beschissen, okay?", klagt er weiter und weckt damit doch meine Aufmerksamkeit. 
"Was ist denn passiert?", frage ich vorsichtig nach, nicht sicher, wie ich reagieren soll. Mein Herz beschleunigt die Schläge und während ich auf eine Antwort warte wird das Pochen immer lauter.
"Nichts bestimmtes, es ist nur... es ist einfach alles so viel."
Ich möchte ihm Zeit geben zu antworten. Die Richtung in die das Gespräch geht gefällt mir allerdings überhaupt nicht. Kann ich ihm in dieser Situation überhaupt helfen? Gedanklich gehe ich die letzten Tage durch, in der Hoffnung ich komme selber darauf, weshalb ihm genau jetzt alles zu viel wird. 
"Die ganze Zeit... ich weiß mittlerweile nicht mehr, wie ich das aushalten soll", stammelt er halblaut, es klingt sogar, als wäre er den Tränen nahe. Doch dadurch verwirren sich meine Gedanken nur noch mehr. Das Bild wie er im Klassenzimmer aus dem Fenster springt drängt sich immer weiter in den Vordergrund. 
"Ich kann dir nicht ganz folgen", versuche ich es langsam. Der Regen draußen ist auf einmal so laut wie ein startendes Flugzeug und ich bekomme Angst, dass ich seine Worte nicht verstehen würde. Intuitiv halte ich den Atem an und zähle meine Herzschläge bis zu seiner Antwort.
"Man, ich verstehe mich doch selber nicht...", beginnt er und wird mit jedem Wort lauter, "es hätte mich treffen sollen anstatt Sarah."
Der Regen verschmilzt mit meinem rasenden Herzschlag zu einem einzigen lauten Dröhnen, sodass ich mich selber kaum höre als ich frage, wo er gerade ist. Adrenalin schießt durch meinen Körper und das einzige woran ich denken kann ist Noah wie er auf dem Schulhof liegt, die Glieder komisch vom Körper abgeknickt, das Gesicht auf dem Boden, umgeben von einer immer größer werdenden roten Pfütze. Bei dem Gedanken alleine durchfährt es mich eiskalt. Ohne groß zu überlegen habe ich auch bereits meine Schuhe und Jacke angelegt und eile aus der Haustüre. 

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt