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Noahs Zimmer ist wie der Resst des Hauses. Leer. Weiß. Karg. Verlassen. Als wäre nie jemand eingezogen. Als wären sie erst vor einer Woche eingezogen. Wirklich viele Erwartungen nach diesem Eingang hatte ich allerdings eh nicht. Mir ist auf einmal so vieles fremd, dabei kannte ich alles besser als meine Jackentasche.
"Setz dich doch", lädt mich Noah ein und zeigt auf sein weißes Bett, auf welches er sich gerade selber setzt. Außer einem Stuhl ist es auch die einzige Sitzgelegenheit hier im Raum. Langsam und etwas unbeholfen lasse ich mich auf das Bett fallen. Es ist unerwartet weich und ich habe das Gefühl, gleich darin zu versinken.
"Wie kamst du eigentlich auf das Schreiben?", kommt es mir auf einmal in den Sinn. Noah scheint diese Frage etwas zu überraschen und schaut unbeholfen in seinem Zimmer auf und ab.
"Ehrlich gesagt weiß ich es gar nicht mehr wirklich. Nachdem Sarah gestorben ist habe ich angefangen meine Gefühle aufzuschreiben. Meine Wut und meine Trauer. Mit der Zeit hat es mir so gut gefallen und vor allem auch gut getan, dass ich anfing Geschichten zu erfinden. Ich merkte relativ schnell, dass es unglaublich befreiend ist, wenn man Menschen ein Leben geben kann, welches man selber bestimmt. Dass man alle Ereignisse in ihrem Leben selber bestimmen kann, dass ihnen kein schlimmes Schicksal widerfahren muss wie mir. Deshalb schreibe ich. Um meiner Realität zu entkommen und anderen eine bessere zu geben."
Erneut bekomme ich einen ganz anderen Blick auf Noah. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht was Autoren zum Schreiben anregt aber Noahs Antwort gefällt mir besonders. Er schreibt aus Leidenschaft und weil er einen wirklichen Grund dazu hat, ich hatte nicht einmal erwartet, dass er eine Antwort auf meine Frage hätte. Von der Seite muss ich wieder zu Noah schauen, wie er etwas schüchtern auf seine Hände starrt und wohl gerade selber von seiner ausführlichen Antwort überrascht ist. Wir schweigen eine Zeit lang. Erneut weiß ich nicht recht, was ich sagen oder fragen soll und Noah geht es da vermutlich ähnlich. Durch das Fenster erkenne ich, dass es angefangen hat zu regnen. Das Wetter schlägt auf meine Stimmung und ich fühle mich auf einmal unglaublich demotiviert. Ich habe es gar nicht wirklich mitbekommen, wie Noah aufsteht und zu seinem Schreibtisch geht, doch auf einmal ruft er mich zu sich und zeigt auf seinen aufgeschlagenen Laptop: "Ich habe bereits angefangen das nächste Kapitel zu schreiben, möchtest du es schon einmal durchlesen?"
Meine Augen funkeln auf, ein neues Kapitel vor der Veröffentlichung lesen. Früher hätte ich dafür getötet, doch heute weiß ich nicht einmal mehr, ob ich es weiter lesen möchte. Unsicher fahre ich mit dem Finger über das Mousepad und will gerade die Datei aufrufen, welche Noah schon auf den Bildschirm gezogen hat, da öffnet sich ganz leise und langsam die Türe. Noah und ich blicken beide gleichzeitig zu ihr und erkennen seine Mutter, welche sich im Türrahmen aufhält: "Das Essen wäre fertig, möchte dein Freund vielleicht mit essen?"
Das 'dein Freund' hat sie dabei besonders betont. Noah schaut mich erwartungsvoll an, doch ich verstehe die Frage erst gar nicht. Ich fühle mich nicht angesprochen.
"Ja, ich glaube schon", antwortet Noah in meinem Namen, als er bemerkt, wie verwirrt ich gerade bin. Seine Mutter nickt kurz und scheint auch erneut leicht zu lächeln, bevor sie dann wieder aus der Tür verschwindet. Noch immer starre ich auf die nun geschlossene Türe. Ich fühle mich hier so fremd wie noch nie zuvor.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt