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Ich schlafe die Nacht durch und steige am nächsten Morgen ohne zu zögern in das Auto meiner Mutter und gemeinsam fahren wir wieder zu der Praxis, die ich absolut nicht leiden kann. Allerdings ist gerade alles besser als in die Schule zu gehen, Noahs leeren Platz zu sehen und daran denken zu müssen, was ich die letzten zwei Tage so erfahren habe. Dieses Mal gehe ich alleine rein, während meine Mutter im Auto zurückbleibt. Ich weiß ja eh, dass sie jetzt mit Noahs Eltern redet. Die Frau beim Empfang erkennt mich natürlich sofort, begrüßt mich mit Namen und bittet mich platz zu nehmen, bis ich dran bin. Es dauert vielleicht fünf Minuten, bis der Doktor selber auf mich zu kommt und mich in sein Zimmer bittet. Diese bekannte Stille mag ich immer noch nicht, während er sich setzt, irgendetwas in seinem Tisch nachschaut und sich dann mir zuwendet.
"Erzähl doch mal, wie geht es dir so?"
Ich schaue zur Seite. Was sollte ich ihm schon erzählen. Vermutlich steckt er mit meiner Mutter auch noch unter einer Decke, hat ihr gesagt, dass sie Noah von mir fernhalten soll. Es ist wie eine Verschwörung, von der ich selber nichts mitbekommen soll. 
"Was hast du denn die letzten Tage gemacht?", fragt er weiter, nachdem ich ihm nicht antworte. Ich zucke nur mit den Schultern. Ich habe nicht einmal Lust darüber nachzudenken, was ich die letzten Tage gemacht habe. Und ich wüsste auch nicht, wieso ich ihm davon erzählen sollte. 
"Wie geht es denn Noah?"
Ich zucke zusammen und ohne es zu wollen schaue ich ihm direkt in die Augen. 
"Was tut das zur Sache?"
Er schaut mich kurz genervt an, doch dann räuspert er sich kurz, wendet den Blick ab und fokusiert sich stattdessen auf seine Hände: "Wir wissen beide, dass Noah in direkten Bezug zu deinem Befinden steht."
Ich schaue gewollt zur Seite. Was erlaubt er sich schon wieder. Erst hinter meinem Rücken etwas planen und dann so so stumpf und unwissend fragen, wie es ihm wohl ergehe. Was bringt denn mein Reden, wenn er eh schon alles weiß. 

"Ich weiß nicht, fragen sie ihn doch selber."
Ich verschränke die Arme, blicke ihm wieder direkt in die Augen, in der Hoffnung, dass er dabei meinen Hass und meine Verachtung sieht. Er erwidert meinen Blick, schaut mich ebenfalls verachtend an. Ich würde gerne wissen, was gerade in seinem Kopf abgeht. 

"Noah geht hier nicht in Behandlung", meint er bestimmt und flüstert dann noch ganz leise "leider". Ich muss mir ein mitleidendes Lachen unterdrücken. 
"Ich habe da nichts hinzuzufügen", sage ich ebenso bestimmt und verschärfe meinen Blick noch einmal. Wir kommunizieren ohne Worte und als wir eine Zeit lang uns gegenseitig angestarrt haben, löst er seinen Blick und schaut auf seinen Schreibtisch: "Ich sehe schon, das hat heute keinen Sinn, wir sollten dieses Gespräch auf später verschieben."
Er kritzelt einige unverständliche Worte auf ein Blatt Papier und steckt es dann in eine seiner Schubladen. Ich nutze die Situation und stehe auf, um aus dem Zimmer zu gehen.
"Achja, vielleicht solltest du mal mit Tim reden."
Ich halte kurz inne, doch dann ergreife ich den Türgriff und drücke so fest zu, dass ich schon angst habe, ihn gleich abzureißen. Direkt vor der Türe bleibe ich stehen und muss kurz durchatmen. Tim. Tim. Tim. Diesen Namen habe ich schon lange nicht mehr gehört. Wollte ich auch nicht. Doch jetzt muss ich wieder an ihn denken. Das macht er doch mit Absicht. Vom ganzen Denken werde ich mit einem Mal schwach und merke nur noch, wie ich zu Boden sinke.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt