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Am nächsten Tag fühle ich mich irgendwie komisch. Zwar schaffe ich es, mich für die Schule fertig zu machen, so wirklich Lust darauf habe ich aber dennoch nicht. Nicht etwa, weil ich zu faul bin, sondern weil ich so ein merkwürdiges Gefühl im Bauch habe. Yannick und Alex kennen Tim nicht. Oder eher nicht dass ich wüsste. Sie waren nie auf der gleichen Schule. Auch ich habe nach dem Vorfall die Schule gewechselt. Meine eigene Entscheidung war das damals nicht. Eines Tages hieß es, ich gehe jetzt wo anders hin. Und seit dem bin ich mit Alex und Yannick in einer Klasse. Noah, welcher zuvor auf meiner Schule war, kannte dann auch niemand. Dazu muss man jedoch sagen, dass ich ihn selber ja auch nicht kannte. Also nicht wirklich. Es würde also genau gar nichts bewirken, wenn ich ihnen jetzt von Tim erzähle. Dann müsste ich erst einmal ausschweifen. Und darauf habe ich gerade gar keine Lust. Ich beschließe also einfach ruhig zu sein. Und irgendwie scheinen es mir Alex und Yannick gleichzutun. Als ich in die Klasse komme verstummen die beiden auf einmal, grüßen mich und schauen sich mal wieder so geheimnisvoll an. Wissen sie, dass ich das Gespräch vor kurzem mitgehört habe? Ich gehe einfach mal davon aus, dass sie es nicht wissen und grüße sie ebenso normal wie immer. Allerdings wars das dann auch schon wieder und sie würdigen mir keinen Blick, während ich ihnen fragende Blicke zuwerfe. So wirklich übel nehmen kann ich es ihnen natürlich nicht. Ich bin sicher ein sehr komischer und aufwändiger Freund. Fast aus Gewohnheit blicke ich nach hinten. Zu Noahs Platz, welcher, überraschenderweise, leer ist. Ein ungewolltes Seufzen verlässt meinen Mund, wobei ich hoffe, dass dies niemand vernommen hat. In diesem Moment betritt unsere Lehrerin den Klassenraum und startet kurz darauf den Unterricht.
Zum ersten Mal seit langem bin ich im Unterricht wieder voll dabei, was vor allem meiner Lehrerin positiv auffällt. Jedes Mal wenn ich mich melde lächelt sie mich freundlich an und ruft mich mit einem noch breiteren Lächeln auf. Nach der Stunde muss ich sogar sagen, dass mir der Unterricht spaß gemacht hat. Auch der restliche Vormittag verläuft besser als gedacht. Zwar reden Alex und Yannick immer noch nicht mit mir. Nach dem Unterricht gehe ich alleine nach draußen, warte alleine auf den Bus und steige alleine ein. Normalerweise rede ich immer mit Alex und Yannick währenddessen, doch sie sind irgendwie direkt verschwunden. Ich versuche das komische Verhalten irgendwie zu ignorieren. Stattdessen setzt sich überraschenderweise Julia neben mich im Bus.
"Hey, schon lange nichts mehr gehört", begrüßt sie mich mit einem riesen Lächeln. Ich versuche so freundlich wie nur möglich zurück zu lächeln, dabei habe ich gerade nicht so wirklich Lust auf sie.
"Wie geht es dir denn so? Du warst heute so aktiv im Unterricht", bemerkt sie und stupft mich aus Spaß mit dem Ellenbogen in die Seite. Dass es tatsächlich weh tat verrate ich ihr lieber nicht.
"Ich hatte heute einfach das Gefühl, dass ich mal wieder etwas mitmachen sollte."
Julia nickt stürmisch und ehe ich noch etwas hinzufügen kann, bombadiert sie mich direkt weiter mit Fragen. Was ich heute noch so mache, wo ich die letzten Tage war, wieso es mir nicht gut ging und noch viel mehr. Vermutlich bemerkt sie nicht einmal selber, dass sie über das Ziel hinausschießt. Oder sie ist einfach naiv und weiß nicht, was man andere fragen kann und was nicht.
"Ich feier nächsten Freitag wieder eine Party, möchtest du kommen?", beendet sie ihren Fragefluss und schafft es erneut, dass ich mich bei ihrer Frage sichtlich unwohl fühle. Ich möchte nicht auf noch eine Party von ihr. Die letzte war schon in meinen Augen schlimm genug.
"Ich muss erstmal schauen, ob ich Zeit habe", lüge ich und schaue auf die Anzeige der Haltestellen im Bus, "Ich muss jetzt raus."
Mit diesen Worten klettere ich über sie und stürze aus dem Bus. Ihre Rufe, dass das hier nicht meine Haltstelle sei, überhöre ich dabei absichtlich. Leicht mit dem Kopf schüttelnd schaue ich dem davonfahrenden Bus hinterher. Julia los zu werden ist mir sogar so viel wert, dass ich jetzt durch die halbe Stadt laufen darf. So wirklich weiß ich nicht einmal, wo ich bin. Ich versuche mich zu orientieren. Ich bin nicht einmal so weit von Tims Haus entfernt, aber bevor ich zu ihm gehe steige ich lieber wieder in den Bus. Dennoch kann ich es mir nicht nehmen wenigstens in seiner Straße vorbei zu laufen. Vor allem da dieser Weg auch noch der kürzeste ist.
Ich biege sogar gerade erst in die Straße ein, da sehe ich bereits Tims Haus. Es liegt so still zwischen den anderen und sieht auf seine eigene Weise einladend aus. Als ich näher komme höre ich allerdings Stimmen. Sie werden von den anderen Häusern zurück geworfen und es entsteht eine Art Echo. Schon damals, als ich noch mit Tim befreundet war, hat mich dieses Echo gestört. Jedes Mal wenn wir draußen waren haben sich irgendwelche Nachbarn beschwert, es sei so laut. Dabei macht als Kind doch alles viel mehr Spaß, wenn man rumschreit. Die Stimmen werden mit jedem Schritt lauter und ehe ich mich versehe, stehe ich bereits vor Tims Haus, welcher in der Türe steht und sich lautstark mit jemandem unterhält. Dabei ähneld das Gespräch eher einem Streit als einer sachlichen Diskussion. Unwillkürlich bleibe ich stehen und bemerke, wie Tims Blick von seinem gegenüber auf mich rutscht. Mein Herz bekommt einen kurzen Aussetzter und ebenso scheint es bei Tim zu sein, der mit einem Mal kreidebleich wird. Die Person vor ihm habe ich noch gar nicht wirklich beachtet, doch als Tim verstummt und so entsetzt auf mich starrt, dreht sie sich um und lässt mein Herz direkt noch einmal aussetzen. Offenbar wurde mit mir nicht gerechnet und so erblasst auch Noah auf einen Schlag. Wir blicken uns alle an, ohne ein Wort zu sagen. Die Stille wird immer lauter, bis sie nicht mehr zu ertragen ist.
"Was machst du hier?", frage ich in die Runde, wobei sie eher an Noah gerichtet ist. Dieser macht jedoch nicht den Anschein, als würde er irgendetwas zu seiner Verteidigung sagen. Stattdessen drückt er seine Lippen nur weiter aufeinander. Mein Blick wandert zu Tim, der mich immer noch versteinert mustert.
"Und was machst du hier?", fragt er mich, wobei er offensichtlich seine Stimme verloren hat und es sich eher wie ein Flüstern anhört. Für eine kurze Zeit überlege ich, ob ich das alles erzählen soll, was heute passiert ist. Dass Alex und Yannick nicht mit mir geredet haben, auf einmal verschwunden sind und dann plötzlich Julia neben mir saß, ich nicht mit ihr reden wollte und deshalb viel zu früh ausgestiegen bin. Ich weiß nicht, ob er mir das glauben würde, denn es klingt irgendwie schon ein wenig erfunden.
"Ich weiß es nicht", sage ich stattdessen und schüttele sanft meinen Kopf. Was für ein Zufall ist es denn auch gerade, dass ich die beiden hier antreffe. Gemeinsam und mitten im Gespräch. Ich kann es nicht einmal in Worte fassen.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt