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Schon gleich bin ich bis auf die Knochen durchnässt. Immer wieder peitscht mir der Regen ins Gesicht, sodass es zunehmend schwerer wird mein Handy noch am Ohr halten zu können. Doch ich möchte jetzt nicht auflegen. Es fühlt sich an, als wäre das gerade die einzige Verbindung, die ich zu Noah habe. 
"Niklas, bist du jetzt bei dem Wetter rausgegangen?"
Noah klingt entsetzt. Als hätte er vor wenigen Momenten nicht selbst gesagt, dass er mich gerne bei sich hätte.
"Ich dachte das wolltest du?", antworte ich ebenso fragend wie er, weiß allerdings gar nicht, ob er meinen fast schon zu sarkastischen Unterton bei den Hintergrundgeräuschen  gehört hat. 
"Natürlich", fällt er mir schon beinahe ins Wort, scheint dann jedoch kurz über seine folgenden Worte nachzudenken, "aber dass du es wirklich tust... wegen mir."
Ich verstehe, was er damit sagen möchte und um ehrlich zu sein bin ich selbst von mir überrascht, dass ich nicht lange über diese Aktion nachgedacht habe und einfach gegangen bin. 
"Noah, ich liebe dich, denkst du da wäre es mir das nicht wert."
Ein Auto fährt zu nah am Bürgersteig vorbei und spritzt mich somit mit einer ganzen Fontäne an Pfützenwasser an. Am anderen Ende der Leitung ist es still. Ich habe auch gar keine Antwort erwartet. Erneut leuchten Scheinwerfer am Ende der Straße auf. Fast schon präventiv trete ich einen Schritt von der Straße weg. 
"Weißt du, Niklas; ich begreife dich nicht."
Das Auto flitzt an mir vorbei. Perplex starre ich ihm hinterher und muss mir ein sarkastisches Lachen unterdrücken. 
"Du begreifst mich nicht?", wiederhole ich deutlich betont und merke, wie die Sorge um ihn der Wut weicht. Am anderen Ende herrscht wieder Stille und ganz unbewusst passe ich meine Schritte meinem Herzschlag an und stapfe immer fester auf den nassen Boden, sodass ich mich bei jedem Schritt selbst nass spritze. 
"Zuerst diese Distanz, dann auf einmal nicht, jetzt sagst du einfach so beiläufig ich liebe dich", beginnt Noah aufzuzählen, wobei man anstatt Wut bei ihm eher Verzweiflung heraushören kann. Ohne wirklich zu wissen weshalb treibt er mich gerade in den Wahnsinn. Der Gedanke, dass er sich in die Opferrolle stellen möchte, schwebt mir auf einmal vor Augen und lässt mich nicht mehr los. Mein Blick wandert zu meinen Füßen, welche schon komplett durchnässt sind und sich immer mehr in Eiswürfel verwandeln. Wieso mache ich das gerade.
"Woher nimmst du diese Zuneigung?", fügt Noah schlussendlich hinzu und man merkt sehr, dass er händeringend nach Worten sucht. Mir ist durchaus bewusst, dass er bereits mit diesem Gedankengang angerufen hat und vielleicht überrumpelt es ihn gerade zu sehr, dass ich tatsächlich darauf eingehe. Aber sollte er sich darüber nicht davor Gedanken machen. Ich dachte immer Noah sei intelligent genug dafür und hätte sich über jede mögliche Ausgangssituation Gedanken gemacht, allerdings zweifle ich in diesem Moment tatsächlich daran. 
"Wieso kommst du jetzt auf diese Frage?", keife ich etwas zu aggressiv zurück. Wie es aussieht habe ich mich selbst in Rage gedacht. Das nächste Auto rast an mir vorbei und blendet mich so sehr, dass ich meine Augen verdecken muss. Das ohrenbetäubende Motorengeräusch hallt noch Sekunden danach in meinem Kopf nach. Von Noah erneut nur Stille. Die Regentropfen werden immer lästiger und auch der Wind nimmt stetig zu. Kurz tut es mir leid, dass ich ihn so angemacht habe und aus Angst presse ich das Handy noch näher an mein Ohr. Doch Noah bleibt weiter still. Der Weg gabelt und die nächsten Meter muss ich durch den bereits pechschwarzen Abend weitergehen, ohne jegliche Straßenlaterne. Der Park mit dem Ententeich ist nicht mehr weit entfernt und bei dem Gedanken daran schwindet meine Wut ein wenig. Für mich ist er immer noch voller Bedeutung und erinnert mich jedes Mal an Noah. Ein schwaches Grinsen huscht über meinen Mund. Schon komisch, dass ich zuvor an Sarah denken musste dabei. Ich atme tief aus und starre in die sich immer weiter ausbreitende Nacht um mich herum. 
"Bist du noch da?", frage ich nach einer weiteren qualvoll stillen Minute in den Hörer, bereits etwas ruhiger als vorhin. Doch erneut kommt nichts.
"Noah?", frage ich erneut nach, dieses Mal doch wieder etwas drückender. Aus Angst ihn zu überhören halte ich meinen Atem an. Doch ich vernehme nichts weiter als meine melodischen Schritte auf dem nassen Untergrund. In der Ferne kann ich bereits den Park ausmachen. Meine Augen fixieren ihn immer starrer, den Atem immer noch angehalten. 
"Niklas?", kommt es auf einmal halblaut aus meinem Handy, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Rauschen. 
"Noah? Hörst du mich?"
Innerlich verdrehe ich die Augen, was lediglich der schlechten Kommunikationsmöglichkeit durch einen Anruf gewidmet ist. 
"...wo bist du?...", kann ich erneut herausfiltern, erneut durch starke Störgeräusche. Seine Stimme klingt gebrochen, es ist fast nur ein Hauch.
"Beim Park, ich bin bald da", versuche ich ihn zu beruhigen. 
"Niklas, ich weiß nicht, was los ist, ich wollte nur...", beginnt Noah, zuerst gut hörbar, doch dann bricht die Verbindung ab. Das schrille Geräusch für das Ende des Telefonats schneidet wie ein Messer durch die stille Nacht und als ich auf mein Handy schaue, erklärt das fehlende Netz, weshalb das Gespräch so abrupt endete. 
"Mist", fluche ich leise und tippe wie wild auf den Zurückrufknopf. Doch natürlich kann keine Verbindung hergestellt werden. Unbewusst werden meine Schritte schneller, während meine Augen weiter meinen schwach leuchtenden Bildschirm fixieren, auf welchem ich versuche schnell eine Lösung dafür zu finden. Der Regen nimmt erneut zu und macht es beinahe unmöglich mein Handy zu bedienen. Notgedrungen wechsle ich den Winkel und halte es mit der Rückseite dem Himmel entgegen, sodass der Display vorne nicht weiter beregnet wird. Es muss bestimmt komisch aussehen, wie ich da so durch die Dunkelheit marschiere, meine Hände über dem Kopf und blinzelnd von den einfallenden Regentropfen. Wahrscheinlich dachte sich genau das der Fahrer des kommenden Autos, welches ich gekonnt ausgeblendet habe und erst bemerke, wie es immer näher auf mich zukommt, als die Scheinwerfer meine Sicht zu sehr blenden. Allerdings kam das Auto nicht normal auf der Straße neben mir angefahren, sondern schlitternd mit der Seite auf mich zugerast. Das letzte, woran ich mich erinnern kann, ist der geschockte Gesichtsausdruck des Fahrers, die silberne Farbe des Fahrzeugs und der Nachthimmel, welcher sich vor meinem inneren Auge immer noch weiterdreht, auch nachdem ich unsanft von dem Auto ergriffen wurde und mein Bewusstsein verliere.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt