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"Was soll das Ganze?"
Meine Stimme versagt, während ich den Mann unglaubwürdig anstarre. Meine Augen dürften mittlerweile größer als mein geöffneter Mund sein. Er seufzt. Laut und tief. Sein Blick wandert zuerst über den Tisch und dann weiter zum Fenster. Ich meine sogar etwas hilfesuchendes in seinen Augen zu erkennen, als wüsste er nicht, wie es jetzt weiter geht."
"Normalerweise ist das gegen die Vorschriften und erst recht kontraproduktiv für die Behandlung", beginnt er und macht dann eine kurze Pause, "Doch aufgrund der ebigen Ereignisse bin ich schon fast dazu gezwungen, dir zur Antwort zu stehen."
Keinen Wimpernschlag lange lasse ich ihn aus den Augen, wie er mich erneut mit seinem kräftigen Blick fesselt und ich den Blick kaum standhalten kann.
"Was sollen diese Unterlagen?", frage ich dann ganz sachte und vor allem auch mit viel Respekt.
"Ich sage es mal für dich verständlich."
Er macht eine bedeutende Pause, schaut wieder auf den Tisch und sagt leise etwas, was ich nicht ganz verstehe.
"Du warst schon einmal bei mir in Behandlung. Vor zwei Jahren um genau zu sein. Undzwar aus genau dem gleichen Grund."
Ich verstehe nicht recht und ziehe meine Augenbrauen zusammen, woraufhin ich ein erneutes Seufzen ernte.
"Der Tod deiner Lehrerin konntest du nicht verkraften, es war wie eine Lebenswendung. Du hast mehrere psychische Störungen entwickelt. Deine Eltern wussten selber nicht, was mit dir geschiet. Wir hatten sehr viele Sitzungen und haben viel in ihnen geredet. Wie es dir bei dem ganzen erging, was für Schmerzen du hast und vor allem wie du dir selber die Schuld dafür gegeben hast."
Gebannt lausche ich den Worten, doch sie zerfallen in meinem Kopf wieder. Ich kann sie nicht bei mir halten und es ist, als wäre es gerade totenstill.
"Doch als du das letzte mal zu mir gekommen bist, es war eine ganz normale Stunde, warst du wie ausgewechselt. Du konntest dich an das Meiste nicht mehr erinnern, als wäre alles aus deinem Kopf verschwunden. Natürlich haben wir weiter deine Entwicklung beobachtet und es schien, als wäre nie etwas passiert. Du hast von ganz alleine die Geschehnisse vergessen, als müsstest du sie unterdrücken. Von da an warst du wie zuvor."
Er macht eine kurze Pause, schaut mich durchdringlich an, um sicherzustellen, dass ich überhaupt noch zuhöre.
"Wie auch immer, vor kurzer Zeit kamen wieder Anzeichen von damals, laut deiner Mutter. Es schien, als würden deine Erinnerungen zurückkommen. Als wäre nun die Zeit gekommen, zu der du dich wieder erinnern musst. Natürlich kamen damit auch die Schmerzen, die Trauer und vor allem dein Schuldgefühl, dass sich wohl immer noch nicht geändert hat. Es sah auf den ersten Blick aus, als hättest du alles noch einmal erlebt. Es ist wie das erste Mal. Die Anzeichen, die Verhaltensweise."
Mit seinen Händen zählt der Mann noch weiter Dinge auf, die ich allerdings nicht wirklich mitbekomme. Ich bin schon wieder in meiner eigenen Welt, in meinen Gedanken. In welchen ich das erst einmal verarbeiten muss. Auf einmal scheint mir alles hier so bekannt, als wäre es mein eigenes Zuhause. Die Bücher im Regal wirken so bekannt auf mich, als hätte ich sie bereits alle gelesen, auch die komische Farbe der Wand ist auf einmal bekannt. Ich meine sogar mich an eine kleine Delle in der Wand zu erinnern und als ich an die Stelle schaue ist da tatsächlich eine Delle. Total überfordert sitze ich auf dem Stuhl, nicht wissend wohin ich mit meinen Gedanken soll.
"An sich eigentlich ein sehr interssanter Fall... Nur deine Einbildung einer zwischenmenschlichen Beziehung zu deiner Lehrerin hast du wohl immer noch nicht überwunden."
Der Mann, den ich nun eindeutig als meinen damaligen Psychologen identifiziere, lehnt sich etwas weiter in seinem Stuhl zurück. Er scheint wohl fertig zu sein mit seiner Erzählung.
"Ich muss das erst einmal verarbeiten."
Mit diesen Worten stehe ich auf, lasse mir aber extra ein wenig Zeit, ich wollte wissen, ob er mich aufhalten würde, doch das passiert nicht, weshalb ich den Türgriff ergreife und im nächsten Moment bereits im geräumigen Flur der Anstalt stehe. Ich blicke nach rechts und nach links. Alles ist mir plötzlich so bekannt. Die Wände, das Licht, ja sogar der Geruch. In meinem inneren Auge sehe ich sogar wie die Flure weiter verlaufen, wie sie in den zweiten Stock führen. In meinem Kopf gehe ich den Weg entlang, begegne dabei sogar mehreren Menschen, die ich alle beim Name kenne. Warum fällt mir das alles jetzt erst ein. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht und im nächsten Augenblick wird mir schwarz vor Augen.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt