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Meine Mutter steigt ohne ein weiteres Wort zu sagen ins Auto. Wir reden nicht. Sie blickt einfach nur schweigend auf die Straße, ich tue es ihr gleich. Wissen würde ich gerne, was sie mit den Lehrerinnen gesprochen hat, fragen werde ich sie nicht. 
Zuhause angekommen gehe ich direkt auf mein Zimmer. Meinen Koffer darf meine Mutter auspacken, sie hat ihn ja auch bepackt. Erleichtert werfe ich mich auf mein Bett, froh, dass ich wieder zuhause bin und zücke mein Handy. Meine Freude hüpft ein wenig nach oben als ich sehe, dass es ein neues Kapitel gibt und tippe natürlich sofort darauf. Nach dem ersten Satz bemerke ich allerdings, was ich da gerade lese. Noahs Geschichte. Noahs Geschichte, wie er uns verkuppelt. Wie ich angeblich schon immer in ihn verliebt war und deshalb mit Sarah zusammen gekommen bin. Das Kapitel wurde schon vor vier Tagen veröffentlicht und eigentlich würde ich mir meine Zunge abbeißen, dass ich es jetzt erst lesen kann. Doch heute ist mir das vollkommen egal. Ich will dieses Buch nicht mehr lesen. Es ruiniert mich, meine Stimmung und vor allem mein Gedächtnis. Noah zerstört es. Meine Gedanken fliegen wieder zu Sarah. Wie gerne ich sie jetzt neben mir hätte. Ich habe wirklich noch nie für einen anderen Menschen so viel empfungen wie für sie. Sie war einfach mein Lebensinhalt und meine erste und auch für immer einzige Liebe. Wie konnte ich es überhaupt die letzte Zeit ohne sie aushalten? Wie konnte ich nicht einmal an sie denken? Ich verfluche mich selber dafür und würde mich am liebsten sogar selbst dafür bestrafen. Voller Wut beiße ich mir auf die Zunge. Sie ist keine Person, die man einfach mal so vergisst, niemanden, den man übersieht und erst recht nicht jemand, an den man über ein Jahr keinen Gedanken verliert. Ich spüre, wie die ganzen Gefühle auf einmal wieder hochkommen. Ich könnte schreien, bis meine Stimmbänder reißen, aber auch gleichzeitig weinen, bis ich meine Augen sich nicht mehr öffnen lassen und so gequollen sind. Verzweifelt stehe ich vom Bett auf, lasse mich aber ebenso schnell wieder auf den Boden fallen, die Tränen rennen bereits aus meinen Augen und schießen in meinen grünen Teppich, den ich damals unbedingt wollte, ihn mittlerweile aber recht deprimierend finde. So eine helle und auffrischende Farbe passt einfach nicht zu meiner momentanen Stimmung. Meine Wut kocht über und ich hämmere nur so mit meinen Fäusten gegen den Boden, während ich auch noch mit meinen Beinen strampele und aus vollem Herzen schniefe. Warum. Warum sie. Warum ich. Warum wir beide. Sie hat etwas besseres verdient. Etwas besseres als mich. Hätte ich das nur damals bereits gewusst. Ich hätte sie retten können. Retten vor mir. Meine Tränen stoppen abrupt, ebenso wie mein Tobanfall. So gut es geht stütze ich mich mit meinen Armen vom Boden auf und wische mir mit meinem Handrücken erst einmal über die Augen. Ich verspüre unglaubliche Sehensucht nach ihr. Mein Herz trieft förmlich von den Schmerzen und ich habe Angst, dass ich gleich an einem Herzinfakt erleide. Schnell schlüpfe ich erneut in meine Schuhe, die ich zuvor achtlos auf den Boden geworfen habe. Im Spiegel huscht mein Blick schnell über mein Gesicht. Bereits von diesem kurzen Weinen sehe ich schrecklich aus. Allerdings ist es mir auch gerade ziemlich egal und als ich meiner Mutter bescheid gebe, dass ich schnell wo hin gehe und aus der Tür trete, laufe ich in die Gefahr, gleich wieder loszuheulen. Doch das werde ich nicht. Zumindest nicht auf dem Weg. Bis ich erneut bei ihr bin.

Das Leuchten des Mondes (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt