Kapitel 86: Ein weiteres Grauen

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Am nächsten Mittag hängt uns der Magen in den Kniekehlen, aber immerhin geben Klara und ich uns den Halt, den wir brauchen.

Ohne Klara wäre ich sicher schon durchgedreht und sie ohne mich auch. Wahrscheinlich wird sie lange Angst im Dunkeln haben, wenn das hier vorbei ist. Wenn es das jemals sein wird, weil am Morgen das Geräusch von eingeleitetem Gas, gefolgt von einem Geruch nach Kräutern und Wald zu hören war. Und dann fühlte sich die Verbindung zu Viktor wieder besonders taub an.

Sicher dreht er völlig durch und ich will nicht wissen, was Rouven so alles anstellt.

Klara und ich füllen unsere Bäuche nun wieder mit einer Portion Wasser aus dem Klo, aber das befriedigt nichts.

Leise höre ich dann wieder Schritte und informiere Klara kurz über Gebärde darüber. Ihre Anspannung steigt sofort, was ich voll und ganz verstehen kann. Meine auch.

„Bah, wie seht ihr denn aus? Wascht euch mal!", ertönt Timons Stimme.

Nicht auch noch der!

Aber er hat Recht, eine Dusche wäre eine Wohltat, nur gibt es in unseren Zellen keine.

Dann greift Timon in die Tasche, die er dabei hat und holt zwei Scheiben Weißbrot hervor. Ich finde das richtig widerlich und abartig, nehme das aber direkt dankend an.

Zumindest würde ich das, wenn er es nicht genau mittig zwischen unsere Zellen legen würde.

Lachend geht er dann davon und lässt es so da liegen.

Klara streckt sich nun krampfhaft zwischen den Stäben hindurch, aber so kommt sie nicht im Ansatz heran. Ich habe aber eine ganz eigene Idee.

„Warte!", gebäre ich, als ihre Augen schon wieder feucht werden.

Ich nehme das Leinentuch und werfe ein Ende davon in die Richtung der Brote. Das mache ich sieben Mal, bis ich es treffe und dann versuche zu mir zu ziehen.

Das entwickelt sich dann zu einem Akt von einer halben Stunde, glaube ich, ich habe keine Uhr, aber dann komme ich endlich in die Nähe davon.

Ich ergreife das Weißbrot, was nun schon dreckig ist und werfe Klara ihre Scheibe rüber. Auch sie krallt sich das, beißt hinein und kaut dann sichtlich angewidert darauf herum. Es ist alt, trocken und schmeckt nach dem Boden eines Kellerverlieses.

Überraschung.

Danach genehmigen wir uns einen ordentlichen Schluck aus den Toilettenschüsseln, um den Geschmack los zu werden. Kurz darauf hocken wir wieder an den Gitterstäben und sind wortlos füreinander da.

„Ich habe immer noch das Gefühl, als habe ich Sand an den Zähnen", gebärde ich dann.

Klara nickt mit einem leichten Schmunzeln, schaut dann aber wieder in die Leere vor sich.

Eine weitere Weile vergeht dann so, ehe es allmählich dunkel wird.

„Ich halte es nicht aus. Nicht nochmal die Stille und die Dunkelheit", gebärdet Klara unter Zittern.

„Ich bin hier, sprich, wenn du das Gefühl hast sprechen zu müssen. Ich höre zu", versuche ich wieder gut zuzureden.

Es fällt mir gerade aber sehr schwer, weil mein seelisches Ich und auch mein Herz selbst blutet.

„Ich kann das nicht, Leni. Es wird dunkel! Leni! Es wird dunkel!", gebärdet sie und beginnt wirklich heftig zu zittern und zu weinen.

Jetzt blute ich innerlich noch mehr, als sowieso schon.

Dann nehme ich das Leinentuch, zerreiße ein Stück davon und mache dann fünf Knoten da rein, damit es aussieht wie eine Puppe. Zumindest im entfernten Sinne.

Verbunden mit einem VampirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt