Der Morgen graut

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Sia

Beim Verlassen des Zeltes fiel die Anspannung von mir ab und machte einer tiefen Erschöpfung Platz. Am liebsten hätte ich mich sofort schlafen gelegt, aber ich wusste, dass ich dafür noch keine Zeit hatte. Ich hatte Verantwortung, als Ärztin ebenso wie als eine der Fünf.

Gandalf blieb kurz vor dem Zelt stehen und drehte sich zu uns um. Bilbo, Finn und ich standen vor ihm, abgekämpft und unruhig. Bestimmt hatte er uns nicht so erwartet, als er aufgebrochen war.

„Es bleibt leider keine Zeit, um über alles zu sprechen, was euch widerfahren ist", bemerkte Gandalf, „ihr müsst schlafen. Morgen wird ein schwieriger Tag und es wird so oder so zur Schlacht kommen, wenn Azog seine Armee herbringt."

Azog hat eine Armee? Was genau haben wir verpasst?

Aber ich fragte nicht nach und auch Finn zuckte nur kurz überrascht mit den Schnurrhaaren. Bilbo öffnete den Mund, schloss ihn dann aber wieder und schüttelte kurz den Kopf. Deprimiert ließ ich die Schultern sinken. Als wäre ein Drache nicht genug gewesen! Jetzt war Thorin wahnsinnig und sein Erzfeind marschierte scheinbar mit einer Armee heran. Offensichtlich war uns keine Pause vergönnt.

„Bilbo, lass uns einen Schlafplatz für dich suchen", bestimmte Gandalf.

Finn stand auf und streckte die Vorderbeine, wobei er Bilbo einen warnenden Blick zuwarf, als der zum protestieren ansetzte. „Ich komme auch mit. Ein Bett wäre mal eine nette Abwechslung."

„Ich nicht, ich muss zurück in die Halle. Mithrandir, es ist gut zu wissen, dass du wieder da bist", verabschiedete ich mich schnell und lächelte den Istari offen an, der mit einem warmen Blick den Kopf neigte.

Kurz hob ich die Hand, dann machte ich mich flott auf den Weg zur Halle. Zwar würde ich mich am liebsten ins Bett legen, aber ich könnte nicht mit mir leben, wenn ich nach dem Aufwachen wieder jemanden beerdigen musste. Mir graute jetzt schon davor, was am Morgen geschehen würde.

„Anastasia", ertönte da Bards Stimme hinter mir und ich drehte mich erstaunt um.

Er war mir gefolgt und schloss nun zu mir auf. Er trug zwar noch immer seinen mitgenommenen Mantel, aber seine Haare waren gepflegt und er hielt sich wie ein Anführer. Ich blieb stehen und wartete, bis er zu mir aufgeschlossen war. Gemeinsam setzten wir unseren Weg fort.

„Das war riskant, den Elbenkönig so zur Rede zu stellen. Er ist ein stolzer Mann", bemerkte er und warf mir einen amüsierten Blick zu.

Schnell versteckte ich mein Lächeln in der Dunkelheit. „Ich habe gegen einen Drachen gekämpft. Was kann mir da ein einzelner Elb anhaben? Außerdem habe ich genug davon, von niemandem ernstgenommen zu werden."

Bard betrachtete mich nachdenklich von der Seite und sagte leise: „Ihr übernehmt Euch. Morgen ist ein harter Tag, Ihr solltet schlafen. Die Mädchen haben viel von Euch gelernt, sie werden über Nacht ohne Euch zurechtkommen."

„Ich bin die Einzige, die eine umfassende medizinische Ausbildung hatte, auch wenn ich sie nicht beenden konnte", widersprach ich, „und auch wenn ich den Hippokratischen Eid nicht geleistet habe, fühle ich mich trotzdem daran gebunden. Schließlich hätte ich ihn geleistet, wenn ich mein Studium hätte beenden können. Damit bin ich in der Verantwortung."

„Hippokratischer Eid? Wieso ist ein Eid so bedeutend, wenn es um die Versorgung von Verletzten und Kranken geht?", fragte Bard verwirrt.

Unwillkürlich musste ich lachen und wurde etwas langsamer. Die meisten Menschen schliefen bereits und es herrschte eine friedliche Stimmung.

„Das ist eine Art ärztlicher Eid, den man leistet, wenn man seine Ausbildung beendet hat und als Arzt arbeitet", erklärte ich, „er stammt ursprünglicher aus dem Griechischen - das ist eine sehr alte Sprache - und gebietet einem Arzt, alles für das Wohl seines Patienten zu tun, nicht mit Dritten über persönliche Daten zu sprechen, nicht die Verfassung des Patienten auszunutzen und solche Sachen. Er würde mir auch verbieten, anderen Schaden zuzufügen, deshalb bin ich nicht sonderlich scharf darauf, irgendeinen Krieg zuzulassen. Aber wenn wirklich ein Heer von Orks angreift, werde ich mein Bestes geben, um gegen sie zu kämpfen."

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