Sia
Ich setzte mich in meinem Bett auf und streckte mich. Dann sprang ich auf und lief zum Fenster, um den Sonnenaufgang über Imladris beobachten zu können. Das war meine liebste Zeit des Tages.
Die Elben grüßten mich freundlich, als ich mich auf den Weg zu dem Innenhof machte, von dem aus man durch geschwungene Pfeiler einen perfekten Blick auf die aufgehende Sonne hatte. Summend lief ich durch die Gänge und war froh, dass ich heute einen freien Tag hatte. In der letzten Zeit hatte Elrond es für nötig befunden, mir möglichst viel beizubringen und mich stundenlang Bücher lesen lassen, doch er hatte mir nicht den Grund für seine plötzliche Eile sagen wollen. Heute jedoch war er ausgeritten, um irgendetwas nachzuprüfen und somit hatte ich fürs erste meine Ruhe.
Das Wasser in dem Bach, der am Rande des Hofes floss, plätscherte beruhigend, als ich ankam. Hier verbrachte ich viel Zeit und hatte angefangen, mal wieder zu zeichnen. Elrond hatte den Zwillingen gesagt, dass sie mich hier in Ruhe lassen sollten. Der Hof war voller feinblättriger Pflanzen, die am Rande zwischen den wunderschönen Säulen wuchsen. In der Mitte befand sich ein kunstvoller Brunnen, aus dem Maul des Pferdes, das in der Mitte dargestellt war, sprudelte Wasser. Unter einem Bogen befand sich ein Tisch mit zwei Bänken, beides aus Stein.
Doch heute war der Tisch nicht leer. Dort saß eine Gestalt mit dem Rücken zu mir und betrachtete die Blätter, die ich gestern hier zurückgelassen hatte. Ich stockte und blieb stehen, als ich den Fremden musterte. Es war ein Mann mit einem dicken, felligen Mantel und von untersetzter Gestalt, doch etwas an ihm brachte die Härchen in meinem Nacken dazu, sich aufzurichten.
Wer ist das? Ich habe so jemanden hier in Imladris noch nie gesehen.
„Entschuldigt, aber darf ich fragen, wer Ihr seid?", ergriff ich zögerlich das Wort.
Der Mann drehte sich um. Ich sah direkt in sein Gesicht, sah jede Einzelheit und doch konnte ich mich an nichts davon erinnern. Sobald ich wegsah, löste sich die Erinnerung an sein Gesicht in Luft auf. Allein diese uralten, flammenden Augen voller Leben und Weisheit und in einer undefinierbaren Farbe brannten sich mir ein und verfolgten mich noch tagelang im Schlaf.
Er lächelte mich an, auch wenn ich mir das Aussehen seiner Lippen später nicht mehr ins Gedächtnis rufen konnte. Mit einem freundlichen Wink deutete er auf die Bank gegenüber von sich.
„Setzt Euch, mein Kind", sagte er mit tiefer Stimme, die ihren Widerhall in der Umgebung zu finden schien.
Unsicher und von einer seltsamen Ehrfurcht erfüllt trat ich vor ihn und ließ mich langsam auf der Bank nieder. Dieser Fremde verwirrte mich, aber etwas sagte mir, dass ich mich bei ihm sicher fühlen konnte, obwohl ich zugleich tiefen Respekt vor ihm empfand.
Wieso? Ich bin doch eigentlich nicht der Typ, der nur auf sein Bauchgefühl hört.
Mein Blick fiel auf die Blätter in seinen Händen und ich wurde rot, als ich sie als meine Zeichenversuche erkannte. Ich hatte die aufgehende Sonne hinter den schönen Säulen festhalten wollen, aber ich war mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden. Kassi hätte mich wahrscheinlich schief angesehen, schließlich war ich künstlerisch sehr begabt, aber ich selbst fand oft Fehler in meinen Werken, die ich gerne ausarbeiten würde.
„Oh, das sind nur ein paar einfache Versuche, ich habe mir nicht so viel Mühe gegeben. Ich wollte erstmal nur ein Gefühl für das Bild bekommen", sagte ich schnell.
Der Mann blätterte durch meine Skizzen und ein warmes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Immer mal wieder hielt er inne und betrachtete die Papiere genauer.
„Für einen einfachen Versuch sind diese Werke gut gelungen. Ihr habt ein Auge für die Beschaffenheit der Säulen und wie das Licht sich ausbreitet, wenn die Sonne sich über Mittelerde erhebt", lobte er meine Zeichnungen erfreut, als wäre er ein Lehrer, der die Hausaufgaben kontrollierte und dessen Erwartungen übertroffen worden waren.
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five •Hobbit FF•
FanfictionManchmal braucht eine Welt Helden, die sie nicht hat. Manchmal hat eine Welt Helden, die sie nicht braucht. Aber warum zum Teufel schmeißt man uns dann einfach in eine andere Welt?! -- So ergeht es fünf jungen Menschen, die alle ganz normale Freunde...