Kapitel 439

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„Sagst du es ihr, oder muss ich das machen?", fragte ich Wincent, als wir am nächsten Morgen in der Küche standen. Shayenne war noch im Bad beschäftigt und ich deckte den Tisch, während Wincent für den Kaffee zuständig war. „Ich mach das schon, sie ist meine Schwester...", meinte er. Ihr wird es sicher nicht gefallen, dass es doch auch einen beruflichen Grund gab, warum wir in Berlin waren. Ich hätte ja von Vornherein mit offenen Karten gespielt, aber Wincent meinte, es reicht, wenn sie an diesem Tag schlechte Laune hatte und nicht schon vorher. Mochte ja auch etwas dran sein. „Das dauert ja nicht lange, ich scheuch sie danach einfach zum Shoppen, dann wird sies wohl überleben", redete Wincent sich selbst gut zu. „Hab ich hier ‚Shoppen' gehört?", ertönte Shayennes Stimme plötzlich hinter uns. Ich schaute zu Wincent rüber, der gerade tief durchschnaufte. „Ja, wenn du magst gehen wir shoppen, aber vorher hab ich noch nen Termin", sagte er und wurde zum Ende hin immer leiser. Ich schob Shayenne auf ihren Platz und Wincent setzte sich ihr gegenüber. „Was für nen Termin?", fragte sie nach. Sie tat mir fast ein bisschen leid, seit Jahren wurde sie ständig für Wincents berufliches Leben versetzt. „Nur nen Interview, geht ganz schnell, höchstens anderthalb Stunden oder so...Du kannst mitkommen", erklärte er ihr. Shayenne sah aus, als würde sie etwas sagen wollen, aber sie blieb stumm. Sie schmierte sich ihr Brötchen, trank ihren Kaffee und scrollte nebenbei durch ihr Handy. Wow, da kriegt man richtig Lust auf Kinder...wenn die alle mal so pubertieren. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so still war es, und ich wusste nicht, wie ich diese Situation retten könnte. Ich wollte mich da nicht einmischen, das sollten die Beiden mal alleine klären. „Mit wem ist das Interview?", fragte Shayenne, während ich den Tisch wieder abräumte. „Mit GQ", antwortete Wincent, „da gibts nen Podcast." Prüfend hob sie eine Augenbraue und musterte ihren Bruder. Sie hatte einfach die gleiche Mimik drauf wie Wincent. „GQ? Ist das nicht dieses komische Magazin für Männer in der Midlifecrisis? Meinst du nicht, du bist da etwas zu jung dafür?", fragte sie und ich konnte mir ein Schmunzeln kaum verkneifen. „Du, ey...der Podcast ist mit Janin Ullmann und is definitiv nicht nur was für verzweifelte Männer in den Vierzigern", verteidigte Wincent sich, „‚Nice am Stil' heißt der. Kannste ja mal reinhören", stichelte er weiter. Ich kriegte mich kaum mehr ein. Diese Beiden, echt. Shayenne zuckte nur mit den Schultern. „Dann muss ich mich aber wohl nochmal umziehen", meinte sie und verschwand wieder in ihr Zimmer. Ich schlang meine Arme um Wincents Schultern und legte meinen Kopf auf seinem ab. „Seid wann hat die eigentlich so ne große Klappe?", fragte er. „Woran DAS wohl liegt...", war mein einziger Kommentar dazu. Diese ganze Familie war so. Nachdem sich Shayenne bestimmt dreimal umgezogen hatte, konnten wir endlich los. Janin begrüßte uns recht herzlich mit Küsschen rechts, Küsschen links und ich hasste das, wenn Wincent das tat. Ich weiß er gehört zu mir, aber trotzdem kommt mir jedes Mal die Galle hoch. Wir hielten erst etwas Smalltalk, Janin war ganz angetan von Shayenne und diese paar Minuten ließen auch mich ein bisschen entspannter werden. „Können wir dann?", fragte Janin und blickte nacheinander in unsere Gesichter. Ich machte es mir mit Shayenne auf der Couch bequem, während Wincent seinen Platz am Mikrofon einnahm. Schon nach nichtmal fünf Minuten konnte ich innerlich nur mit den Augen rollen- dass man sich nicht bescheuert vorkommt einen Dialekt zu sprechen, den man eigentlich nicht kann. Ich bemühte mich meine aufkommende Abneigung runterzuschlucken und konzentrierte mich auf Wincent und Shayenne. Die wurde direkt knallrot, als ihr Bruder so von ihr schwärmte. Was Kochen und Haushalt anging, war da echt bei ihm Hopfen und Malz verloren. „Ich würde gern wieder mehr kochen", hörte ich ihn sagen und sah ihn mich hochgezogener Augenbraue an. Als ob. Ich hörte weiterhin aufmerksam zu, was die Beiden so redeten, aber als sie dann das leidigste Thema ever ansprach, dachte ich echt mich verhört zu haben. „Ich kenn das alles ganz genau so...ich bin auch ohne Vater aufgewachsen", meinte Janin. Ich kriegte beinahe ein Schleudertrauma vom vielen Kopfschütteln. Können sich die Leute nicht mal andere Themen überlegen? Und ich kriegte auch das Gefühl nicht los, dass sie sich immer wieder in den Mittelpunkt stellen wollte. Egal, was Wincent sagte, sie projizierte jede Antwort auf sich und gab ihr persönliches Empfinden dazu preis. Und merkte sie eigentlich nicht, dass Wincents Vater nicht sein Thema war? Ich war heilfroh, dass wir nach fast ner halben Stunde eine kurze Pause machten. Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, weil ich nicht wollte, dass Wincent sich um mich sorgte. Er sollte einfach seinen Job machen und fertig. Dass seine Interviewpartnerin oftmals so eindeutige Seitenhiebe austeilte und auf seine Frauengeschichten anspielte, merkte er wahrscheinlich nicht mal. „Alles gut, Babe?", fragte er mich, als ich vom Klo zurück kam. „Klar", lächelte ich schwach. Er musterte mich, aber für mehr Gespräch war eh keine Zeit, da ging es schon weiter. Ich fand das so unangenehm, wenn eine fremde Frau so offen mit meinem Mann über ihn, was er an Frauen mag und was für ihn Typisch-Mann war, sprach. Janin war so cool mit all diesen Themen und Wincent war ja bei Interviews noch nie auf den Mund gefallen, aber ich wäre am liebsten untergetaucht. Manche Themen wurden mir echt zu privat. Und warum musste sich Janin eigentlich minutenlang an Wincents Unterhosenpolitik aufhängen? Langsam aber sicher kamen wir zum Ende und ich war heilfroh darüber. Ich konnte mich nicht erinnern, dass ich mich jemals bei irgendeinem Interview so unwohl gefühlt hatte. Ich konnte nicht mal sagen, woran es genau lag, ob an ihr als Mensch, an dem Format, den Fragen, keine Ahnung; es war einfach nicht mein Tag und ich freute mich auf einen entspannten Nachmittag. „Streiten oder Schweigen?", fragte Janin und Wincent schmunzelte. „Ich glaub ich schweig zu viel. Ich würd gerne mehr streiten. Einfach mal zehn Minuten anschreien, Versöhnungssex und gut is", antwortete er und sah zu mir rüber. Ich spürte wie mir die Röte in die Wangen stieg, aber ich musste auch ein bisschen schmunzeln. „Und wenn das alles totgeschwiegen wird, dann zieht sich das Tage, Wochen und das ist anstrengend...", fügte er an. Wie schön, dass er das eigentlich wusste und trotzdem manchmal noch lieber schwieg anstatt zu reden. „Und Versöhnungssex is ja eh der beste Sex", meinte Janin abschließend und sah erst kurz zu mir und dann zu Wincent. Das lassen wir jetzt einfach mal so stehen, dachte ich.

Pläne oder Träume // Wincent Weiß FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt