Kapitel 56

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•Wincent•

~Tag 10 seit der Entführung~

„Endlich!!" murmelte ich, als ich den unscheinbaren Umschlag in den Fingern hielt. Sofort zog ich mich in mein Büro zurück und riss den Umschlag auf. Ich zog ein paar Dokumente hervor und sah mir alles an. Ich hatte Fotos und Berichte vor mir liegen und sah mir erst mal alles eher hastig an. Ich war so aufgeregt und konnte kaum glauben, was dieser Typ für Arbeit geleistet hatte. Mia war mit Leon bei meiner Mutter, ich konnte mich also ungestört im Büro verschanzen und mit diesen Dokumenten widmen. Ich war völlig aufgeregt und nach dem ersten Sichten des Materials versuchte ich mich dann zu beruhigen und atmete tief durch. Dann griff ich nochmals nach den Fotos und sah sie mir an. Darauf war Steffi zu sehen. Mia's Stalkerin. Man sah, wie sie alltägliche Dinge tat. Wie sie am einkaufen war, in einem Café oder einfach beim Spaziergang. Ich untersuchte jedes Bild genau und als ich nichts fand, legte ich die Fotos weg und zog die Berichte zu mir. Ich las mir jeden einzelnen genau durch. Aber auch da stand nichts auffälliges drin und vor allem keine Hinweise zu Emilia. Nichts. Rein gar nichts. Frustriert schob ich die Sachen von mir weg und stütze meinen Kopf auf meinen Händen auf und seufzte. „Scheisse... Da muss doch etwas sein." Murmelte ich leise und lehnte mich dann wieder im Bürostuhl zurück und starrte an die Decke. Nochmals sah ich mir die Bilder an, untersuchte den Hintergrund und die direkte Umgebung die man sehen konnte. Las die Berichte ein 3. Mal durch und hoffte doch etwas zu finden. Doch sie hatte eine scheinbar reine Weste.

Frustriert, liess ich dann alles liegen und ging kurz an die frische Luft. Ich stellte mich in den Garten, schloss meine Augen und atmete die kalte Januarluft einmal tief in meine Lunge. Es fühlte sich irgendwie befreiend an, aber sobald ich meine Augen wieder öffnete, schien alles blass und trostlos. Ich zog dann mein Handy hervor und checkte die Nachrichten ab. Die Nachrichten von meinen engsten Freunden oder der Familie beantwortete ich, den Rest liess ich ungelesen. Ich hatte nicht die Kraft und Lust mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ich war doch länger als gedacht auf der Terrasse, denn irgendwann hörte ich hinter mir das quietschen meines Sohnes, der mich draussen entdeckt hatte. Erschrocken drehte ich mich um. Scheisse, Mia war mir Leon schon wieder zurück. Ich hatte im Büro alles liegen lassen und Mias erster Gang war immer zu mir ins Büro, wenn sie mich nicht gerade sonst wo entdeckt hatte. Fuck! Sie durfte davon nichts wissen! Schnell ging ich rein. Hob meinen Sohn hoch und setzte ihn dann ins Laufgitter. Ich hastete also dahin und blieb abgehetzt in der Tür stehen, als ich Mia sah, die an meinem Bürotisch stand und die Fotos von Steffi ansah und einen Bericht in den Fingern hielt. „Mia!!" sagte ich sofort und ging zu ihr. Sie drehte ihren Kopf zu mir und ihr Blick sprach Bände. „Was ist das hier?!" fragte sie mich angespannt. Ich schwieg, ich war nicht auf diesen Moment vorbereitet. „Wincent!!! Was ist das?!" sagte sie laut. „Nichts!!" sagte ich und schob sie weg und suchte alles zusammen. „Du hast nicht im Ernst diese Frau beschatten lassen!!!" sagte Mia und ich hörte die Wut die sich in ihr aufbaute. „Doch..." sagte ich dann und da platze es aus ihr raus.

„Hast du sie noch alle?! Warum mischst du dich da ein? Das ist nicht unsere Aufgabe!!! Lass die Leute das machen, die wissen was sie tun!!" schrie mich meine Frau an. Auch in mir begann es zu brodeln und ich schmiss die Dokumente auf meinen Bürotisch und starrte meine Frau an. „Die Leute machen lassen, die wissen was sie tun?!" fragte ich ruhig, aber angespannt. „Würden die wissen, was sie tun dann hätten wir längst Infos gekriegt!!!" brach es dann auch laut aus mir raus. „Ich will nicht mehr warten!! Ich kann nicht mehr! Ich will meine Tochter zurück und wenn ich sie selbst suchen muss!" schrie ich Mia an. „Denkst du ich nicht?! Ich würd alles dafür geben, damit Emilia wieder hier wäre!!!" kam es postwendend von Mia zurück. Das Wortgefecht ging noch eine Weile weiter und irgendwann sprach nur noch die Verzweiflung aus uns. Irgendwann rannte Mia weinend aus dem Büro und liess mich stehen, während sie die Tür knallen liess. Ich sah ihr hinterher und starrte die geschlossene Tür an. Ich spürte die Wut und Verzweiflung in mir und wusste einfach nicht mehr wohin damit. Es fühlte sich alles so schwer an, es tat weh und ich hatte das Gefühl einfach nur noch die Hülle meiner Selbst zu sein. Ich baute Mauern ohne Fenster um mich rum. Seitdem meine Tochter weg war, war es hässlich und alles in mir verstummte. Das Einzige was mir zeigte, dass ich noch lebte waren die Gefühlsausbrüche die ich hatte, seit Emilia weg war. Ich ballte meine Fäuste. Schlug sie mir gegen den Kopf und vergrub dann meine Finger in meinen Haaren. Ich spürte den Klos in meinem Hals und wie sich meine Augen mit Tränen füllten. Aber wie immer liess ich es nicht zu. Diesen Gefühlsausbruch verhinderte ich jedes Mal, entweder ich lief davon oder unterdrückte ihn aber heute gings in eine komplett andere Richtung.

„VERDAMMTE SCHEISSE!!!" brüllte ich, kickte mit aller Kraft gegen den Bürostuhl, welcher gegen das Regal knallte und dieses zum kippen brachte. Mir kam alles entgegen, aber ich blieb einfach stehen und ging nicht weg. Mit einem lauten Rums, lag alles auf dem Boden und ich wurde von einzelnen Büchern und Ordnern an den Beinen getroffen. Durch den Windstoss den es gab, flogen auch die davor weggeschmissenen Dokumente durch den Raum und ich stand in mitten eines Schlachtfeldes. Mit hängenden Schultern stand ich einfach nur da und sah mir an, was ich da nun wieder fabriziert hab. Ich liess dann einfach alles achtlos liegen und verliess das Büro. Ich hörte wie Leon weinte und hörte Mia's Stimme die versuchte unseren Sohn zu beruhigen. Sie weinte immer noch und das liess auch Leon weiter schreien. Ich ging zu Mia ins Wohnzimmer und sah wie sie mit Leon auf und abging und versuchte ihn zu beruhigen. „Kann ich dir helfen?" fragte ich dann leise und da drehte sich Mia zu mir. Schweigend reichte sie mir Leon, der sich sofort an mich kuschelte. Mia wollte sich gerade wegdrehen, als ich sie am Arm festhielt und zu mir zog. „Komm her." Sagte ich leise und zog sie in meine Arme. Mia klammerte sich direkt an mir fest und drückte ihr Gesicht an meine Brust. „Es tut mir leid." Sagte ich leise, strich ihr sanft über die Schulter und drückte sie an mich. Ich hauchte ihr einen Kuss auf den Kopf und legte meinen dann auf ihrem ab. Mia sagte nichts, hob aber langsam ihren Kopf an, sah kurz zu Leon der an meiner Schulter hing und sah mich dann an. Wir hatten kurzen Blickkontakt und da beugte ich mich zu ihr und legte meine Lippen auf ihre und gab ihr einen längst überfälligen Kuss.

Leon war dann tatsächlich eingeschlafen und ich brachte ihn ins Bett. Als ich runterkam, gingen Mia und ich gleichzeitig in die Richtung des Büros. Mia blieb in der Tür stehen und sah sich diese Unordnung an. Wir begannen dann beide schweigend aufzuräumen und stellten wieder alles an seinen Platz. Das Schweigen war irgendwie angenehm. Nicht so eine quälende Stille, die es sonst war. Ich schob gerade die letzten Ordner wieder ins Regal, als Mia wieder die Dokumente in den Fingern hielt. Ich beobachtete sie einen kurzen Moment, ehe sie ihren Blick zu mir wandte. Ich seufzte leise, ging zu Mia und nahm ihr die Dokumente ab. Dann griff ich nach ihrer Hand und zog meine Frau hinter mit her ins Wohnzimmer. Da setzten wir uns aufs Sofa und ich erzählte ihr alles, was ich seit Tagen heimlich geplant hatte. Wir sahen uns beide die Fotos an, lasen die Berichte durch und ich sagte ihr, dass ich nach Berlin fahren wollte um selbst nach Steffi zu suchen. Sie zur Rede zu stellen und vielleicht so etwas rauszufinden. Mia fand das alles nicht gerade toll und wir diskutierten anständig miteinander. Dann sahen wir uns einfach einen Moment schweigend an bis Mia die Stille durchbrach. „Ich kann dich nicht umstimmen oder?" fragte Mia und ich schüttelte den Kopf und liess meinen Blick sinken und griff nach ihrer Hand. „Nein. Ich werd morgen fahren." Sagte ich und strich ihr sanft mit dem Daumen über den Handrücken. „Na dann." Sagte Mia leise und legte ihre andere Hand auf unsere und beobachtete mich einfach schweigend.

Wir beide bleibenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt