JUS POV:
Andre war der einzige, der noch am Fuße der Bahnhofstreffen stand und auf mich wartete. Ich stolperte die Treppen weiter mit dem Klingeln der Gegenstände in meiner Tasche hinab und auf ihn zu. Er hatte seine dunkelste Sonnenbrille auf und die Crime-Mütze verkehrt herum tief ins Gesicht gezogen.
"Wo sind die anderen?", fragte ich.
"Schon vor gefahren", murmelte Andre. Er spuckte neben sich auf den Boden, drehte sich auf dem Absatz um und marschierte vorwärts. Ich kämpfte mich durch die Menschenmassen hinterher. Andre hatte so etwas seltsames an sich. Etwas, dass alle Menschen vor ihm zurück weichen ließ. So konnte er ungehindert durch die größten Massen verschwinden, ohne auch nur ein Wort zu sagen, oder einen Ellenbogen einsetzen zu müssen. Leider besaß ich diese Gene nicht. Es dauerte also nur wenige Sekunden, bis ich Andre auf dem überfüllten Bahnhof aus den Augen verlor, während ich mich, die Ellenbogen ausgefahren wie ein Mähdreschen, durch die Menschenmassen arbeitete und darum kämpfte, überhaupt noch Luft zu bekommen und nicht zwischen all' den schwitzenden Körpern zerquetscht zu werden. Als ich dann schließlich doch, nach zahlreichen verachtenden Blicken und empörten Rufen verstand sich, wieder einen Blick auf Andres Hinterkopf werfen konnte, war er nur ein paar Armlängen entfernt. Er schien genau zu wissen, wo er hin wollte, schnitt scharf links ein und auf die Starbucks-Filiale zu, die mich mit ihrem leuchtend grünen Schild an Maries und meine erste Begegnung erinnerte. Vor meinen Augen blitzen kurz die Bilder des grauen Himmels und dem einzigen farbigen Fleck, Marie unter der Laterne, auf. Ich blinzelte und schickte sie zurück in mein Unterbewusstsein. Dann kämpfte ich mich erneut, dieses mal quer, durch den zum Ausgang fließenden Menschenstrom, wobei ich leicht von meinem Kurs abkam. Irgendwie schaffte ich es trotzdem bis zu Andre in die Filiale, wo er, den Blick gesenkt, auf mich wartete. Wir stellten uns in die Schlange. Ich wartete darauf, dass er irgendetwas zu mir sagte, doch von Andre kam kein Wort. Also wartete ich stattdessen darauf, dass wir an der Reihe mit dem Bestellen waren. Was er bestellte, bekam ich nicht mit. Ich bekam überhaupt nicht mit, dass die Zeit voran geschritten war, bis Andre mir gegen die Schulter boxte.
"Vanilla-Frappuccion mit Kaffee", murmelte ich aus dem Gedächtnis heraus. Andre kicherte.
"Was?", fragte ich etwas genervt. Andre schüttelte den Kopf, wir zahlten und gingen zum Ausgabetresen. Mir fiel auf, dass man uns hier nicht nach unseren Namen gefragt hatte. Vor meinen AUgen erschien die Szene, in der Maries perfekt geformte Lippen ihren eigenen Namen beschrieben, ihre Augen mich fesselten und diese zwei unheimlich süßen Silben an mein Ohr drangen, wie der Gesang einer Sirene. Das Bild verblasste schlagartig, als ich etwas eisig kaltes an meinen FIngern spürte. Ich griff mein Getränk an folgte wieder Andre, der sich an einen freien Zweiertisch setzte. Er beäugte mich durchgehen, während ich ihm gegenüber Platz nahm, mein Handy auf Nachrichten checkte und einen Schluck von dem Vanille-Aroma in mich aufsog, das mich wieder zurück zu dem Moment zog, in dem ich mit Marie, den Arm um ihre Schulter, um sie zu stützen, die Straße entlang gegangen war. Bis hin zu dem Punkt, wo sie mich weg von sich stieß, ich zurück zu Starbucks rannte und ihren Körper dann fand. Reglos, von Blut umgeben, der aufgesplatzte Becher neben ihr, die Eiswürfel auf dem Ausphalt verteilt. Mir wurde schlecht und ich spuckte das bisschen Vanille-Kaffee, das ich gerade im Mund hatte, wieder zurück in den Becher.
"Wie lange willst du noch spielen?", fragte Andre plötzlich. Ich sah auf. Da er die Augen immernoch hinter der Sonnenbrille verbarg, konnte ich nicht genau erkennen, welche Absicht er wirklich verfolgte.
"Was spielen?", stellte ich mich dumm. Wirklich große Lust, darüber zu reden, hatte ich nicht. Selbst mit Andre nicht und das durfte etwas heißen.
"Seit wann kommt etwas gegen deinen unverwechselbaren Früchte-Mix an, den du sonst trinkst? Seit wann regt es dich nicht auf, dass die anderen einfach so losgefahren sind? Seit wann bist du alle fünf Sekunden plötzlich woanders?", versuchte er, sich genauer zu erklären. Ich starrte Andre an und zuckte dann langsam mit den Schultern.
"Du hast sie dazu überredet, oder?", sagte Andre vorsichtig. Ich verharrte in meiner Position, die Augen auf die Tischplatte gesenkt, die rechte Hand am Becher, mit dem Gefühl, dass sie bald abfrohr.
"Denkst du wirklich, es wird anders, nur weil der Druck auf sie nicht so groß ist?", hackte er nach. Ich spürte, wie ich die Hand fester um den Becher legte und die Eiswürfel aneinander drückte.
"Es ist anders!" Ich hatte Mühe, meine Stimme unter Kontrolle zu halten. "Es war ihre Entscheidung und wir müssen beide irgendwie damit leben. Aber dieses Mal ist es lange nicht so schlimm. Ich bin nicht gezwungen, ihr irgendwelche Nachrichten zu schreiben, die die mental aus dem Gleichgewicht bringen, noch irgendwelche Videos zu produzieren, um ihr Druck und Stress zu machen. Dieses Mal ist es von Grund auf anders. Wir werden und regelmäßig sehen, wir können uns jederzeit schreiben."
"Ich denke nicht, dass sie immer dafür Zeit hat", wendete Andre ein. "Und selbst wenn, sechs Tage wärt ihr mindestens getrennt. Marie war nur vier Tage in den Laboren. Danach wart ihr beide mehr oder weniger... komplett zerstört. Glaubst du wirklich, dass wird nächste Woche irgendwie anders sein?" Der erste Eiswürfel im Becher zersplitterte unter dem Druck meiner Hand. Ich zuckte am ganzen Körper zusammen und spürte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief. Doch ich schüttelte den Kopf.
"Es ist anders", beharrte ich.
"Es sind verdammt nochmal über 150 Kilometer zwischen euch!", sagte Andre. Ich sprang ruckartig auf, griff mir mein Getränk und marschierte in Richtung Ausgang des Bahnhofes.Sobald ich durch die Glastür gekommen war, warf ich den Vanilla-Frappuccino in den Mülleimer, damit ich nicht auch nur noch einen Schluck davon trinken, geschweige denn ihn riechen musste. Ich hörte, wie er im Mülleimer zerplatze. Dunkler, grauer Himmel, Eiswürfel auf dem Asphalt, ein bewegungsloser Körper, in Blut getränkt, die Glieder in unnatürliche Richtungen verdreht. Ich blinzelte. Ich musste weg. Weg von den Gedanken, die sich um Marie drehten. Darum, was mit ihr passiert war. Weg von diesem Laden, den ich mir schwor, nie wieder zu betreten. Weg von den Gedanken über die Person, deren Namen keiner von uns ausgesprochen hatte. Die wir immer nur 'sie' genannt hatten. Nicht etwa bei dem Namen, der mir im Herz stach, wenn ich ihn hörte, allein, weil sie nicht mehr da war. Weil ich Marie jetzt nicht in den Arm nehmen konnnte und immernoch kein einziges Lebenszeichen auf meinem Handy von ihr aufgetaucht war.
Badumm Leserchens,
sorry, dass gestern nichts kam. War gestern Abend in einer unglaublich tollen Lesung von Axel Hacke. Er hat aus seinem neuen Buch "Das kolumnistische Manifest" und auch ein paar andere Kolummnen vorgelesen, ich habe Lachtränen geweint. Wenn ihr irgendwann mal die Möglichkeit habt, Axel Hacke live zu hören, oder eines seiner Bücher zu lesen... TUT ES! Ihr werdet es nicht bereuen. Ich hoffe wie immer, dass euch auch dies' Kapitel gefallen hat! Voten und Kommentieren... <3
LG Kaeferchen
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Wenn du alles aufgeben würdest... (Julien Bam FF FanFiction) (Zum Teil Apecrime)
FanfictionWenn man es genau nimmt, ist Marie so gut wie tot. Doch sie zeigt es nicht. Ihre Panik verschwindet in der Nacht und den leeren Gassen, in denen man ihre Schreie nicht hören würde. Aber plötzlich ist Marie in der Nacht nicht mehr allein. Ihr halbtot...