Tut mir leid

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MARIES POV:

Als es immer wieder laut über uns wurde, bekam ich Angst, doch nie wurde der Gullideckel angehoben. Aylin schien Wort zu halten, Dan wusste wirklich nichts von diesem "Ausgang". Doch die Fragen waren eher: Warum wusste SIE davon? Und warum hatten wir den Ausgang nicht schon früher benutzt? Aylin hatte mir befohlen zu schweigen, damit sie uns nicht doch noch entdeckten. Und nun stand ich im wadenhohen Brackwasser und fror mir die Füße ab. Ich hielt mir die Ohren zu, denn immer wieder durchbrachen Dans wütende Schreie die Luft und ließ mich um mein Trommelfell fürchten.

Bis noch weitere Stimmen dazu kamen.

Und diese riefen: "Polizei! Auf den Boden!" Ruhe.

Endlich! Sie hatten uns gefunden! Ich wollte ihnen entgegenrufen, dass wir hier unten waren und kletterte auf die erste Sprosse des Gullis. Dan brüllte. Jemand packte jemand am Unterarm. Von oben hörte man hallende Schritte und dann einen Schuss. Mein kompletter Körper erzitterte. Ein Schrei. Dans Schrei. Ich atmete. Ein. Aus. War er tot? Ich wollte nach den Polizisten rufen doch Aylins Hand legte sich auf meinem Mund und zog mich zurück. Sie löste sich nicht, selbst, als ich aufgehörte hatte, zu versuchen, meine Zähne in ihre Finger zu rammen und somit zeigte, dass ich verstanden hatte, dass ich ruhig sein sollte.

"Nehmt ihn mit", befahl jemand. Kurz drauf brüllte Dan, man solle ihn loslassen. "Bringt ihn in den Wagen, wir reden mit dem anderen. Und dann suchen wir die Mädchen." In dem Moment, als die schwere Tür unserer Gefängnisses zufiel, ließ Aylin ihre Hand von meinem Mund sinken.

"Was zur Hölle ist denn los mit dir?", schrie ich sie an.

"Scht!", machte sie sofort.

"Verdammt, was geht hier ab?" Ich dachte noch nicht einmal daran, meine Lautstärke zu dämpfen.

"Mann, die suchen mich auch! Ich habe fast ein Mädel gekidnappt, um sie Dan vorzuwerfen!", zischte sie.

"Was? Wieso?" Aylin hatte jemanden beinahe entführt? Das passte alles nicht zusammen!

"Ist egal, wir müssen jetzt erstmal weg, bevor die Polizisten zurückkommen!" Im selben Moment zog sie mich am Arm und wir stolperten und rannten durch das Brackwasser der Kanalisation.

"Wo willst du eigentlich hin?", fragte ich schon nach wenigen Metern.

"Ist egal, irgendwo wird es ja wieder raus gehen...", keuchte sie und ich fragte nicht weiter nach. Während wir uns an den Wänden vorwärts tasteten, wurde das Wasser immer höher und wir fanden nichts, woran mach hochklettern konnte. Keinen anderen Gulli, keine Sprossen, absolut nichts. Kurz dachte ich darüber nach, wieso die Kanalisation überhaupt so große Durchgänge hatte. Mir fiel ein, dass wir uns ja in einem Industriegebiet befanden. Als ich dann jedoch darauf stieß, welche giftigen Chemikalien sich eventuell gerade durch meine Haut und Kleidung fressen konnten, beendete ich abrupt meinen Gedankenfluss und öffnete lieber meinen Mund, um mich abzulenken.

"Aylin warte doch mal!" Das Plätschern vor mir stoppte und ich suchte über die Wand mit meiner Hand nach ihrem Arm, um sie nicht zu verlieren in dieser Dunkelheit.

"Was ist?", fragte sie.

"Selbst, wenn wir wüssten, wo wir hoch kommen würden, ich glaube, die Gullis sind normalerweise abgeriegelt. Und du hast mir meine Frage immer noch nicht beantwortet", warf ich ihr vor.

"Welche Frage?"

"Was ist hier los? Warum hast du uns nicht schon früher hier rein gescheucht, wenn du davon wusstest?" Aylin schwieg eine ganze Weile.

"Meinst du, die Polizisten könnten uns noch hören?", fragte sie schließlich.

"Gegenfrage: Kannst du sie hören?"

"Nein."

"Reicht das als Antwort?"

Aylin schnaubte. "Ich habe darüber nachgedacht, ob du wirklich so Schuld am Tod meines Bruders sein könntest. Schließlich bist du nur geflohen. Und es kam mir nicht richtig vor, einen anderen Menschen mit in den Abgrund zu ziehen, nur weil mein Bruder da gelandet ist. Also dachte ich, dass ich ihnen die andere Marie auftische, behaupte, dass ich dachte, sie hätte das alles ausgelöst und dann aus dem Deal aussteige, weil ich dich keine Rache mehr will, zumindest nicht an einer Person, die das nicht absichtlich gemacht hat. Aber das hat alles nicht funktioniert und als Dan dann rausbekommen hat, dass nach mir gefahndet wurde, dachte er, dass ich ihn mit reinziehen würde, wenn die andere Marie mich wiedererkennen würde, schließlich hat die mich ja gesehen. Und dann hat er mich mir dir zusammen hier her gebracht."

Ich verstand die Welt kaum noch. "Aber wie wusstest du das mit dem Gulli nun?", hakte ich nach.

"Entspann dich, dazu komme ich ja noch", sagte sie.

"Entspannen?", fuhr ich ihr fast dazwischen. "Ich stehe im eiskalten Brackwasser und soll mich entspannen? Sag mal tickst du noch irgendwie ganz richtig?" Meine Stimme wurde, zugegebenermaßen mehr als geplant, ziemlich laut und ich konnte an ihrem Arm deutlich spüren, wie sie zusammen zuckte.

"Tut mir leid." Drei Worte. Drei verdammte Worte, die ich niemals aus Aylins Mund erwartet hatte reichten aus, um mich zum Schweigen zu bringen. Drei Worte und ich ordnete mich neu, um mich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Aylin hatte sich soeben bei mir entschuldigt. Und ich konnte nicht anders. Atmete ein.

"Schon okay." Atmete aus.

"Der andere. Der dich hierher gebracht hat", begann sie.

"Ja?"

"Das ist mein ehemaliger Klassenkamerad. Und mein Ex von vor fünf Jahren." Wenn es nicht stockduster wäre, dann hätte Aylin jetzt in ein komplett geschocktes Gesicht geblickt. Erst die Entschuldigung und jetzt das.

"Bitte was?"

"Dan hatte es erst mir überlassen wollen, dich hierher zu bringen. Wahrscheinlich wollte er sich nicht die Finger schmutzig machen. Und da habe ich ein paar Mal mit ihm gesprochen. Ruben hat mich immer gut verstanden und wir sind nicht im Streit auseinander gegangen. Mir war nicht bewusst, wie gefährlich Dan ist und Ruben hat mir das verklickert und wir haben uns zusammen eine Lösung überlegt. Er meinte, wenn irgendetwas mit meinem Plan schief geht, wird Dan mich da unten einsperren, wie er es von Anfang an mit dir vorhatte. Ruben hat die ganzen Kisten mit Wasser und so in den Raum getragen und da hat er mir erzählt, dass es einen Gulli gibt. Und er hat den Deckel kaputt gemacht, damit ich in irgendeinem Notfall so verschwinden konnte. Dan ist so verdammt gefährlich, er hätte uns umgebracht-"

"Ich weiß", unterbrach ich Aylin. "Ich habe zwei Jahr fast jeden Tag für ein paar Stunden mit ihm in einem Zimmer gehockt."

"Ja stimmt, da war was..."

"Hast Recht, da war meine komplette Vergangenheit, danke für dein Einfühlungsvermögen", zischte ich sie an.

"Tut mir leid." Da waren sie schon wieder. Diese drei Worte, die mich, insofern sie aus Aylins Mund kamen, zum schweigen und vergessen meiner Gefühle brachten. Auf das Wesentliche reduzierten. Meine Fragen.

"Und warum sind wir nicht gleich abgehauen?" Mir war klar, dass ich immer tiefer bohrte, aber ich konnte ihr noch nicht vertrauen und ich wollte wirklich alles wissen.

"Ruben meinte, er würde sich der Polizei stellen und versuchen, uns da so rauszuhauen. Weil, ich habe nämlich keinen Plan, wo es hier eigentlich langgeht und das ist eine ziemlich unpraktische Hauptfluchtmöglichkeit", beendete Aylin ihre Erzählung.

"Ist es."

"Sag ich ja."

"Ich weiß, ich wollt's nur nochmal bestätigen."

"Okay." Langes Schweigen zwischen uns. Doch Aylin drehte sich nicht um und ging weiter, als schien sie zu spüren, dass ich mir noch nicht alles komplett erschließen konnte. Ich traute mich kaum, es auszusprechen, aus Angst vor der Reaktion. Aber ich musste es tun. Wenigstens für meine Neugierde:

"Eine Frage wäre da noch", fing ich an.

"Und die wäre?"

...

"Wieso hast du so getan, als wüsstest du nicht, wer am Tod deines Bruders Schuld ist?"

Wenn du alles aufgeben würdest... (Julien Bam FF FanFiction) (Zum Teil Apecrime)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt