Der Anhänger II

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MARIES POV:

Erst in diesem Moment realisierte ich wirklich, woran ich die letzten fünf Tage pausenlos gedacht hatte.  Wir waren wieder so weit voneinander entfernt, dass sich nur unsere Nasenspitzen berührten. Ich grinste.

"Danke", flüsterte ich zurück.

"Hast du nicht noch etwas anderes dazu zu sagen?", fragte Ju fast tonlos. Ich biss mir auf die Unterlippe.

"Hast du vor, mir noch was zu schenken?", war das einzige, was mir auf die Schnelle einfiel. Und es klang komplett scheiße.

"Reicht es nicht, dass ich hier bin?", erwiderte er. Ich grinste noch breiter und nickte leicht.

"Das ist besser als alles, was du mir je hättest schenken können", hauchte ich. Doch Ju unterbrach mich beim letzten Wort.

"Scht", machte er und legte einen Finger auf meine Oberlippe. "Übertreibe es nicht gleich so." Danach legte er vorsichtig seine Lippen auf meine und küsste mich, dieses Mal ganz sanft und weich. Genauso, wie ich es als Kind mir immer vorgestellt hatte. Damals,  als ich mir noch nicht mal im geringsten vorstellen konnte, wie es war, ein waren Verlangen nach jemandem zu spüren. Dieses kleine naive ich, dass sich von Grund auf verändert hatte und zu dem geworden war, was ich jetzt bin. Es war ein wahrer Geburtstagskuss, mein erster und ich fühlte mich, als wäre das auch mein erster richtiger Geburtstag. Ju löste seine Lippen von mir und es kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor, bis ich es schaffte, meine Augenlieder wieder aufzuschlagen. Die Leichtigkeit und doch die für mich unglaublich starke Bedeutung dieses Kusses hatte mir für einen Moment das Herz stehen lassen und mir die Kontrolle über meine Gliedmaßen geraubt. Doch als ich es endlich schaffte, seine Augen wieder zu finden, sah er mich nicht an. Sein Blick ruhte auf seinem Daumen, der langsam die Kontur meines rechten Wangenknochens nachzeichnete.

"Es tut mir leid, aber wenn ich dich berühre vergesse ich manchmal, was ich sagen wollte", erklärte er sich. "Wo waren wir stehen geblieben?" Ich musste selbst kurz überlegen.

"Irgendetwas mit Geburtstag und Geschenk glaube ic-" Er unterbrach mich.

"Ah ja, ich weiß!", sagte er und ließ seine Hand von mir ab. Er zog etwas aus seiner Hosentasche und reichte es mir. Es war ein kleiner relativ flacher Briefumschlag, als ich ihn schüttelte klimperte etwas darin. Ungeduldig machte ich ihn auf und ließ etwas silber blitzendes in meine Hand fallen. Es war ein Armband, ein feines Bettelarmband mit zwei Anhängern. Ich legte sie über meinen Handrücken und betrachtete sie genauer.

"Ein Steinbock und ein Schütze", erklärte Ju.

"Dein Sternzeichen", bemerkte ich und strich über den filigranen Mann mit gespanntem Bogen.

"Und dein", fügte Ju hinzu. Ich schaute zu ihm hoch und unsere Augen trafen sich. Unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf meinem Gesicht auf.

"Das ist wundervoll", gestand ich leise und hielt ihm das Schmuckstück hin. "Machst du es mir um?" Ju nahm es auf und schloss es genau in der richtigen Länge um mein rechtes Handgelenk. Ich drehte es und war noch immer erstaunt über die Emotionen, die dieser Gegenstand in meinem Inneren auslöste. Mich überkam das Gefühl, dass ich stärker mit Ju verbunden war denn je, als wäre das Armband mein Anker und Ju die Koralle, in der er sich verheddert hatte. Aber...

"Hey, ist das nicht meiner?", fragte ich und zeigte auf den Steinbock. "Der hing doch immer an meiner Tasche!" Ju griff nach meiner Hand und fuhr mit seinem Finger über meine Pulsader.

"Naja, ich sage es mal so. Wäre er jetzt nicht an dem Band, dann würde er vermutlich immer noch in Köln auf dem Bahnhof liegen", erklärte er im Plauderton.

"Oh", war das erste, was mir einfiel. "Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich den verloren habe."

"Aber jetzt hast du ihn ja wieder." Ich nickte und ließ meinen Blick wieder zu seinen Augen wandern.

"Danke", flüsterte ich.

"Es ist dein Geburtstag", sagte er nur darauf. Ich lächelte wieder und rutschte zu ihm heran, bis ich mich an seine weiche Strickjacke schmiegen konnte und die Augen schloss.

"Marie?", fragte er plötzlich.

"Mmh", machte ich.

"Ich weiß, das ist jetzt ziemlich typisch", begann er. Ich ahnte böses. "...aber du hast Gänsehaut und läufst hier in kurzärmligem Shirt rum."

"Ich sitze", argumentierte ich, viel zu faul, um auch nur ein Auge zu öffnen.

"Nein im Ernst jetzt. Ich will nicht dass du dich an deinem Geburtstag erkältest." Sein Ton war besorgt, aber trotzdem bestimmend. Ich hörte einen Reißverschluss, dann drückte Ju mich ein wenig von seiner Schulter weg, nur um knapp zwei Sekunden später wieder seinen Arm um mich zu legen. Dieses Mal jedoch ohne Strickjacke, denn der zweite Ärmel befand sich auf meiner freier Schulter. Ich steckte meine Arm hindurch und zog mich etwas näher an ihn heran, um mehr von der Jacke zu haben.

"Wie kann es sein, dass ich dich mehr vermisst habe, als während der Tests, obwohl die länger gedauert haben?", fragte er fast tonlos in die Stille um uns.

"Keine Ahnung", antwortete ich. "Vielleicht weil du schon so lange wusstest, dass ich gehen würde. Gedanken kann man nicht stoppen."

"Deine Erst recht nicht", witzelte er, worauf hin ich kurz auflachte. Erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich die Berührungen mit anderen Menschen in den letzten tagen gemieden hatte. Doch diese Berührungen heute waren alles gewesen, was ich gebraucht hatte. Ich hatte mich nach der Wärme seiner Haut gesehnt, nach seinen Lippen, seinem Haar und das undefinierbare Braun in seiner Iris. Dieser Geruch, oh dieser einzigartige Geruch war am überwältigsten gewesen, wie eigentlich immer. Doch er kam mir viel intensiver vor, wie ich jetzt halb in seiner Jacke steckte.

"Wo schläfst du eigentlich?", fragte ich interessiert und streckte meinen Kopf mit halb geöffneten Augen in seine Richtung. Jus Daumen begann, kleine Kreise über meinen Oberarm zu ziehen.

"Habe nichts gebucht. Ich wollte heute Nacht mit dem Zug zurück", antwortete er. Das war doch wohl nicht sein Ernst!

"Willst du mir gerade verklickern, dass du nur um mich, für gerade mal ein paar Stunden angemerkt, zu sehen wirklich zwei Stunden Zugfahrt hin und zwei Stunden zurück angedacht hast? Und das quasi direkt hintereinander?" meine Stimme klang etwas aufgebrachter, als ich es beabsichtigt hatte.

"Jap", bestätigte Ju in einem selbstsicheren Ton. Ich schüttelte den Kopf.

"Du bist doch verrückt!", sagte ich mit einer von Lachen unterlegter Stimme.

Wenn du alles aufgeben würdest... (Julien Bam FF FanFiction) (Zum Teil Apecrime)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt