Brief 208

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Hallo Peter,

Ich habe das Tablet noch, Richard ist gerade eine Tablette für mich am Suchen. Jetzt kann er mal mit den Schwestern sprechen - die werden ihn sicher aufhalten. Ich höre sie lachen. Vermutlich schwärmen die für ihn - ich kann sie ja auch verstehen. Richard ist heiss, wirklich. Aber, er kommt nachher wieder zu mir zurück, jetzt muss ich mich vorsichtig raus schleichen, das Licht im Gang ist extrem hell, der Boden so klebrig glatt.

So, der Automat, die Chips - eine Orange Packung - wie in unserer Kindheit. Ich habe einige Münzen mitgenommen, lasse sie gerade rein. Klinglingling. Ich drücke die Nummer - wie wenig sich doch bei diesen Automaten geändert hat. Die Spiralen beginnen sich zu drehen. Ich höre Stimmen im Gang, verstecke mich an der Seite des Automaten. Räder Quietschen, jemand lacht, die Chips-Tüte fällt klatschend runter. Stille. Mist, nein, nein, nein, einfach nicht erwischen, bitte nicht. Es sind meine Chips, ich habe sie bezahlt, ich will sie, ich brauche sie! Die Schritte gehen weiter, ich höre das Schmatzen der Sohlen auf dem Boden, ich halte die Luft an, warte, warte, warte. Die Räder Quietschen kurz auf, knirschen, verstummen. Luft anhalten, still sein, warten. Die Schritte schmatzen weiter, ein knirschen, die Räder Quietschen wieder. Meine Beine lassen nach, ich gehe in die Hocke, presse mich an die kalte Wand, zittere. Ein Bett taucht auf, holpert über den Flur, Füsse folgen dem Bett, die Frauen lachen wieder. Luft anhalten, nur noch kurz, gleich ist es geschafft, gleich, nur noch kurz warten. Nur noch kurz, nur noch - ich kann nicht mehr aufstehen, Ich brauche nur eine kurze Pause, ganz kurz, nicht mehr, ein paar Minuten. Dann geht es gleich wieder. Dann holen wir die Chips Tüte aus dem Automaten und gehen zurück ins Zimmer, Die Chips Tüte und ich werden dort eine Party feiern. Ich werde sie aufreissen und vernaschen. Ich brauche nur noch ein paar Minuten, dann kann ich das Tablet wieder loslassen, mich aufstützen, losgehen. Ich werde nach dieser Tüte auch schlafen gehen, aber ich will sie noch heute öffnen, will den Inhalt kosten. Ich habe vergessen, wie Chips schmecken, aber ich weiss, dass ich welche will. Ich will sie nur kurz kosten, mich erinnern, erkennen, dass die Welt noch so ist, wie sie einst war.

Früher haben wir doch auch Chips gegessen, beim Grillieren im Park, oder damals auf der Anhöhe, als wir die ganze Stadt sehen konnten. Oder zusammen vor dem Fernseher, eine grosse Schüssel voll. Aber ich habe den Geschmack vergessen - kann man überhaupt einen Geschmack vergessen?

Das Licht im Gang erlischt, nur der Automat wirft einen schummrigen Schein, lockt die Hungrigen an. Ich sitze hier, gleich nebenan, spüre das vibrieren der Pumpen, die Struktur der Wand. Ich zittere nicht mehr, ich werde eins mit der Wand, werde Wand, bin Wand, steif, unscheinbar.

Ich habe Lust auf Chips - kannst du mir eine Tüte öffnen?

Peter? Kannst du mir eine öffnen und mir die Chips reichen?

Vielleicht sind sie noch kalt, weil der Automat gekühlt ist, ich weiss es nicht, du kannst ja auch ein paar Chips probieren wenn du willst. Mach sie auf, komm schon Peter, reiss es auf!

Grüsse, deine Wand.

Briefe vom MarsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt