Briefe vom Mars

Brief 327

Guten Abend Ferner,

wie die Zeit doch vergeht, schon wieder ein Tag vorbei. Wir waren heute im Spital, Sie wollen Werner morgen aufwachen lassen. Richard freute sich über den Besuch von Noëlle, er drückte sie ganz fest, Michelle schaute distanziert zu. Noëlle hatte das LEGO Modell von dir dabei und machte damit eine Tour über das Bett von Richard. Es war - seltsam, so falsch und doch so richtig. Ich habe neben Werner gesessen, seine Hand gehalten, ihm erzählt was die Ärzte mir Erklärt haben. Ich - ich weinte auch, ich hoffte, Werner merke es nicht. Er hat nicht reagiert, lag einfach da, die Maschine neben ihm im Gleichtakt gepiepst, Tropfen fielen aus dem Infusionsbeutel, rhythmisch beruhigend, füllten den Schlauch, verschwanden durch die Nadel in seinem Arm. Er hat Verbände, die Schwester schickte mich heraus, als sie es wechselte. Es muss schlimm sein. Werner hat gelitten.

Ich will nicht, dass Werner leidet. Ich habe Angst. Ich merke das wieder. Ich mache mir Sorgen. Diese Schmerzen - wie kann er diese nur ausgehalten haben. Wie kam es, dass er sich entschied zu leben? Sein Körper ist so - zerstört worden. Die Ärzte haben mich vermutlich belogen. Mit Werner ist noch nichts in Ordnung. Scheisse. Ich sollte - ich darf nicht daran denken. Nein. Nein. Nein.

Michelle, Noëlle und ich waren nachher im Park, auf eine Parkbank hat Michelle mich in den Arm genommen, gab Noëlle eine Münze und schickte sie um etwas süsses zu holen. Wir sassen einfach da, ich an der Schulter von Michelle, mein Haar zerzaust, Tränen auf meinen Wangen, die Welt war am wanken, aber ich fühlte mich sicher. Es windete nicht, trotzdem fröstelte ich. Michelle drückte mich fester, hielt mich, hielt mich warm. Noëlle kehrte zurück, eine grosse Tüte voller Süssigkeiten, ein grösseres Grinsen im Gesicht. Sie hielt mir eine Gummischlange hin, gab Michelle ein paar Lakritzenstücke, umarmte mich, blieb kurz an meinem Bauch, rannte dann zu den anderen Kindern auf dem Spielplatz, die Tüte blieb bei uns.

Spüren Kinder eigentlich so etwas? Kann Noëlle wirklich schon verstehen, was los ist? Sie ist so - einfühlsam?

Ich muss an Werner denken. Seine Atemzüge, dein Herzschlag auf dem Monitor, all die Bandagen. Ich sehe ihn vor mir, liegend, in diesem Bett, liegend. Ich fühle ihn, wie er mich in den Arm nahm, auf dem Eiffelturm, auf dem Uetliberg, am Strand in Arles. Ich höre sein Lachen, seinen Atem, sein Herzschlag. Ich spüre ihn, aber er ist nicht da. Ich habe Angst, ich kann nicht schlafen. Ich kann - ich, er, ach. Werner füllt meinen Kopf. Ich hole mir ein Glas kaltes Wasser. Vielleicht hilft es ja?

Michelle bringt mir jetzt eine warme Honigmilch, sie wird - wir werden heute Nacht im gleichen Bett schlafen. Seltsam - aber ich bin froh darum. Ich fühle mich ein bisschen wie ein kleines Mädchen und gleichzeitig wie eine Studentin. Verwirrt bin ich. Aber auch froh. Wirklich.

Danke, dass du Michelle in mein Leben gebracht hast, dass du sie mir so wichtig gemacht hast. Danke dir, Peter, danke.

Und jetzt, gute Nacht - ich will es versuchen.Gute Nacht Richard, gute Nacht Werner, gute Nacht Noëlle, Gute Nacht allezusammen.