Kapitel 19 - Montag, 8.8.

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Nach dem Frühstück stellte Dr. Gruber fest, dass es Sina erstaunlich gut ging. Ihre Stimme klang noch wie nach einer durchzechten Nacht, aber ansonsten war alles in Ordnung.
„Wenn du gut auf sie aufpasst, kannst du sie eigentlich mit nach Hause nehmen!" schlug er Tom vor.
„Das kannst du annehmen, dass ich gut auf sie aufpasse!"

In der Wohnung nahm er sie erst einmal in die Arme. „Meinst du, dass wir jetzt mal in Ruhe unser gemeinsames Leben genießen können?" fragte er, hatte wieder einmal feuchte Augen.
Sie drückte sich nur an ihn, genoss seine Nähe, die starken Arme, die sie hielten.
„Es tut mir leid, dass ich so ein Problemfall bin!" flüsterte sie.
„Süße! Bitte! Noch einmal! Ich möchte das nicht hören! Du kannst für gar nichts etwas!" Er behandelte sie den ganzen Vormittag wie ein rohes Ei.

Sie saßen auf der Terrasse im Schatten, hörten auf die Stimmen, die heraufdrangen, bestellten Essen, waren glücklich, zusammen zu sein.
Plötzlich fiel Sina ein, dass ihre Familie noch nichts von dem ganzen Drama wusste, das sich abgespielt hatte.

„Ich muss mal Patrick anrufen!" Sie suchte ihr Handy. „Oh, das wird noch da, da im Haus liegen!" Sie bekam einen Schweißausbruch, begann zu zittern. Die Erinnerung an das, was ihr dort passiert war, überschwemmte sie. Tom hielt sie fest.
„Mäuschen, du musst da nicht mehr hin! Ich trommle ein paar Freunde zusammen, wir holen alles, was du brauchst!" Er gab ihr sein Telefon. „Ruf jetzt Patrick an!"
„Kannst du das machen?" bat sie, immer noch zitternd.
„Natürlich!"

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Patrick sah die fremde Nummer, wunderte sich, nahm das Gespräch aber an.
Marie beobachtete ihn, sah, wie er kalkweiß wurde, sich auf einen Stuhl fallen ließ, zu weinen begann. „Können wir sie sehen? Können wir vorbeikommen?" fragte er gepresst.
„Natürlich! Jederzeit!" Tom gab Sinas Bruder seine Adresse durch.
Patrick erzählte Marie, was er gerade erfahren hatte.

„Gut, dass er tot ist!" sagte die nur, packte das Notwendigste, gab Patrick die Autoschlüssel. Der küsste sie, dankbar, dass sie ihn wieder einmal ohne Worte verstand.
Nicht viele Menschen begriffen, was er für Marie empfand.

Alle seine Klassenkameraden hatten sie stets als graue Maus gesehen, keiner sah die Schönheit ihres Herzens. Aber keiner konnte ja auch sehen, wie sie lächelte, wenn er sie liebte, wie sie ihn anstrahlte, wenn sie aufwachte, keiner sah ja die Liebe in ihren Augen, die sie schöner für ihn machte als all die Upper-Class-Girls oder die Discomiezen!

Anfangs hatte sie nicht so recht daran geglaubt, dass er sie liebte. Dann kam die Phase, dass sie dankbar für seine Liebe war. Doch das hatte er nicht gewollt! Mittlerweile vertraute sie ihrem Glück wie er, war selbstbewusst durch seine Liebe geworden, trug den Kopf hoch
Mit ihrem Intellekt ließ sie die aufgetakelten, eingebildeten Mädchen stets klein und unscheinbar wirken. Ihre Arbeit erfüllte sie, auch wenn sie schlecht bezahlt war. Aber sie wusste um ihren Wert, hatte ihren Platz gefunden.

Patrick erhielt von seinen Eltern eine großzügige monatliche Zuwendung, die Hälfte davon hatte er für Sina auf ein Sperrkonto gelegt für den Fall, dass sie sich endlich von Max trennte, der ihr Leben zerstörte!
Er verkaufte hin und wieder ein paar Bilder, hatte sich auch als Porträtmaler schon einen gewissen Namen gemacht. Sie kamen zurecht, bewohnten eine Zwei-Zimmer-Wohnung in einem noch nicht sanierten Altbau, die Miete war bezahlbar.

Das Auto, das ihm seine Eltern zum Abitur geschenkt hatten, hatte kaum Kilometer auf dem Tacho, würde noch ein paar Jahre laufen.
Sie fuhren zügig auf die Autobahn, kamen eineinhalb Stunden später in der Innenstadt Regensburgs an.
Patrick riss Sina in seine Arme, heulte sich die Seele aus dem Leib! Er strich über ihre dicke Wange, schüttelte ungläubig den Kopf darüber, wie ein Mann so etwas seiner Schwester hatte antun können.

Dann ging Tom mit Patrick ins Arbeitszimmer, erzählte ihm Einzelheiten, erfuhr Einzelheiten von Sinas Beziehung, erzählte seinerseits von Susannes Verhalten in der Vergangenheit.
Sie unterhielten sich eine Stunde. Danach hatte Tom das Gefühl, doch noch einen Bruder bekommen zu haben. Ein ähnliches Gefühl hatte Patrick.
Marie saß mit Sina auf der Dachterrasse, hielt ihre Hand. Sie war als Einzelkind groß geworden, hatte die hübsche Sina immer irgendwie verehrt, hatte aber auch nie verstanden, warum sie sich so an Max fesseln ließ.

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt