Kapitel 134 - Der Schmerz und die Hoffnung

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Die Familien Christen und Bergmann existierten irgendwie weiter.
Zu leben hatten sie aufgehört.

Tom schleppte sich in den Dienst, versuchte diese verdammte Überlagerung, gab bald auf.
Es gab nichts, was den bodenlosen Schmerz hätte überlagern können.
Er versah seine Arbeit fehlerlos, machte Zusatzschichten, trainierte sinnloser Weise wie ein Verrückter im Fitnessraum der Klinik, nur um nicht nach Hause zu müssen.

Nach Hause zu diesem Roboter, zu dem seine geliebte Frau geworden war.
Zu diesem Ding aus Stahl, das immer wieder irgendwelche Knöpfe drücken konnte, um mit den Kindern zu lachen, sie zu baden, Anziehsachen für sie zu kaufen, mit ihnen zu spielen.
Dieses Ding aus Eisen, das aber niemals den Knopf fand, um mit ihm zu reden, sich von ihm tröstend berühren zu lassen, ihn tröstend zu berühren.

Er war Luft für sie, er hatte aufgehört, für sie zu existieren.
Sie antwortete nicht auf seine Fragen, auf sein Flehen, auf seine Tränen.
Eine Weile hielt er es aus, in einem Bett mit dem Roboter zu schlafen, dann hatte er Angst, neben diesem kalten Etwas zu erfrieren und zog in sein Nachtdienst-Zimmer. Dort schlief er zwar auch kaum, aber er fror nicht so fürchterlich.
Er bemühte sich, weiter ein guter Vater zu sein, schaffte es manchmal, manchmal auch nicht.

Sina war tot und starb doch jeden Tag wieder.
Verzweifelt stellte sie an jedem Morgen aufs Neue fest, dass sie immer noch atmete, dass dieser Stein in ihrem Inneren, der einmal ihr Herz gewesen war, immer noch schlug.
Sie drückte den Knopf für aufstehen, duschen, die Kinder küssen, anlächeln, essen, trinken.

Dann saß sie stundenlang vor dem Computer, sah die Bilder der Zwillinge an, sprach mit ihnen, flehte sie an, zurückzukommen.

Sie ertrug Tom nicht mehr, er erinnerte sie zu sehr an die Tage, als sie beschlossen hatten, ein Kind zu bekommen, aus dem zwei wunderschöne Kinder geworden waren, die sie jetzt verloren hatte.
„Wenn er keine Kinder gewollt hätte, wäre das alles nicht passiert!" dachte sie. „Wenn er damals auf diesem Berg das Thema nicht angesprochen hätte, wäre mir dieser Verlust erspart geblieben!"

Als sie erfuhr, dass ihr Verdacht gegen Susanne sich bestätigt hatte, bekam sie einen hysterischen Anfall.
„Wenn mir jemand geglaubt hätte, hätte man meine beiden Engel retten können!" schrie sie den Kommissar an.

Sie sprach nicht mit Sybille, die anfangs täglich vorbeikam, es dann aber aufgab.
Sie sprach nicht mit Patrick und Marie, weil die ihre Kinder hatten behalten dürfen.
Sie sprach auch nicht mit ihren Eltern, weil die diese Tochter in die Welt gesetzt hatten.
Sie sprach nicht mit Freunden, weil es sinnlos war, Freunde zu haben, wenn man seine Babys verloren hatte.
Sie funktionierte, aber ihr Leben war vorbei.

Die Kinder verbrachten viel Zeit bei Marie und Patrick, dort waren Menschen, und nicht wie zu Hause, ein Roboter und ein gebrochener Vater.
So verging Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat.

Sie glaubte, an ihrem Schmerz zu ersticken.
Er fürchtete, zu Hause zu erfrieren.
Sie erinnerte sich nicht mehr, wie es gewesen war, einen Mann zu lieben, ihren Mann zu lieben.
Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie es war, als sie ihn geliebt hatte.
Sie hätte für immer so dahin vegetiert.
Er wusste nicht, wie lange er dieses Leben noch aushalten konnte.


Kurz vor Toms 41. Geburtstag musste Phillip handeln. Er war selbst vom Schmerz über den Verlust seiner Geschwister zerfressen, aber der mittlerweile 13jährige konnte das Elend seiner einst so glücklichen Familie nicht mehr länger untätig ertragen!
Zwei waren gestorben, das war furchtbar, unfassbar furchtbar!
Aber sechs Menschen waren noch am Leben, noch!

Er legte sich am Morgen neben Sina ins Bett.
Sie drehte ihm den Kopf zu, schaltete ihr Roboterlächeln ein, das er schon lange nicht mehr erwidern konnte.
„Hat sie doch noch gewonnen!" sagte er ganz ruhig.

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt