Kapitel 6 - Dienstag, 2.8. (*4*)

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Tom war gleich zum Dienst gefahren, der verzögerte Abschied hatte ihm keine Zeit mehr gelassen, zuerst nach Hause zu fahren.
Sein Team freute sich über den kostenlosen Imbiss.
„Gibt's was zu feiern, Tom?" fragte Bastian, der Jüngste in der Truppe, der seinen Chef verehrte.
„Vielleicht?" Mehr verriet er nicht. Eine neue Liebe vielleicht? dachte er. Nein, keine neue Liebe, die erste Liebe meines Lebens!

Er überlegte, ja, das stimmte. Nach Simone war er verrückt gewesen, aber da war er ein relativ unerfahrener 20jähriger. Und als er merkte, dass ihre Gefühlefür ihn, ihre Leidenschaft, nie echt gewesen waren, sondern durch einen Drogenrausch ausgelöst worden waren, hatte die Erinnerung an das, was er mit ihr erlebt hatte, nur noch Abscheu in ihm erweckt.

Nach der Trennung hatte er erst einmal seinen Frust an den Frauen ausgelassen. Im Anschluss an diese Phase hatte erschon wieder begonnen, etwas Festes zu suchen, aber nichts gefunden. Die Frauen hatten es ihm stets leicht gemacht, fürs Bett hatte er immer eine rumgekriegt, aber nur ganz selten hatte er den Wunsch verspürt, sie wiederzusehen. Länger als eine Woche hatte er es nie ausgehalten, bald war ihm immer die Nähe einer Frau zu viel geworden, alles zu eng, hatte ihn nicht mehr interessiert.

Und jetzt, mit fast 30 Jahren, kam da dieses Mädchen in seine Stamm-Disco, das sein Herz im Sturm erobert hatte, mit dem er drei Stunden nur geredet hatte, das er begehrte, dass ihm oft die Luft wegblieb, das er aber erst lieben würde, wenn genug Zeit war, ihr alles zu geben, was er konnte!

Dann ging auch schon der Alarm los, der erste Einsatz seiner 12-Stunden-Schicht. Sie stürmten zum Heli aufs Dach. Der Einsatz lief wie am Schnürchen, seine Sinne waren geschärft, durch die Adrenalindosis, die er im Blut hatte. Er erkannte die inneren Verletzungen des Unfallopfers, gab klare Anweisungen.

Dr. Mertens, der junge Notarzt, der erst seit ein paar Wochen bei ihnen war, war froh, den erfahrenen Teamleiter der Sanitäter an seiner Seite zuhaben. Schon einige Male war ihm das Talent des Kollegen aufgefallen, innerhalb von Minuten sichere Diagnosen zu stellen und richtig zu handeln. Ein paar Mal hatte er ihn, den Arzt, auch schon davor bewahrt, einen Fehler zu machen.
Nach dieser Schicht würde er es in seinem Bericht erwähnen, welch großartige Leistungen der Sanitäter erbrachte. Er wäre ein guter Arzt, dachte er.

Um neun waren alle wieder im Bereitschaftsraum, schrieben ihre Einsatzberichte. Tom holte danach sein Handy heraus, wollte Sinas Bild anschauen, ein bisschen träumen.
Sein Kollege Fabian sah ihm über die Schulter. „Wow! Hübsch! Oder mit Fotoshop bearbeitet?"
Tom boxte ihn. „Spinner! Das ist um drei Uhr morgens in der Tiefgarage aufgenommen! Das zeigt nicht die Hälfte davon, wie hübsch sie ist!" Zum Beispiel die Augen! dachte er.

Solche Augen gab es eigentlich gar nicht!
Die braunen Locken, weich, duftend! Und die purpurroten Lippen!

Das kam alles auf dem Foto gar nicht rüber!
„Wie lange hältst du es dieses Mal aus?" zog Fabian ihn auf.
„Lang!"
Der Kollege lachte. „Was bei dir halt lang heißt! Meinst du, du schaffst die Woche mal?" Er selbst war glücklich verheiratet, seit kurzem Vater einer entzückenden Tochter. Er hatte schon oft versucht, Tom mit einer der Freundinnen seiner Frau zu verkuppeln, ein paar Mal war ein One-Night-Standdaraus geworden, aber nie eine Beziehung.

Tom grinste. Seine Beziehungsunfähigkeit war der Running-Gag bei den Kollegen, der eine oder andere war vielleicht auch ein wenig neidisch auf sein Leben als Single-Mann!
Na ja, das war ja jetzt wohl Schnee von gestern. Er wunderte sich sehr über diese Gewissheit.
Um zehn Uhr ging er mit dem Handy auf den Flur, wählte Sinas Nummer. Nur einmal wollte er ihre Stimme hören!
„Hallo, Süße! Ich bin's nochmal. Wir haben gerade ein bisschen Ruhe! Geht es dir gut?"

„Ja, danke! Immer noch!" Mein Gott war der Typ süß!
„Eigentlich hatte ich ja gehofft, du vermisst mich ein wenig!"
„Ja, doch, ein wenig vermisse ich dich schon!" zog sie ihn auf.
Ich vermisse dich wie wahnsinnig, ich kann kaum atmen vor lauter Vermissen! dachte sie. Aber ich weiß nicht, ob ich dir das sagen soll!
„Na, damit bin ich schon zufrieden!" Mensch hör auf, Tom, sie dauernd aufs Glatteis zu führen!
„Es ist schön, deine Stimme zu hören!"
Sie schwieg. „Ist etwas, Sina?" Angst kroch in ihm hoch.

Sie war so ruhig.
„Nein, gar nicht! Ich bin nur etwas überfordert im Moment von der ganzen Situation! Es ist alles ein bisschen neu für mich!" So jetzt war es raus! Aber jetzt würde er denken: Mein Gott, was für eine Träne!
Aber er reagierte ganz anders. „Ich weiß, Süße! Ich freue mich auf morgen! Und mach dir keine Gedanken, ich trinke auch nochmal den ganzen Nachmittag Kaffee, wenn du das möchtest, okay?"

Jetzt hatte er sie doch zum Lachen gebracht. „Alles klar! Wir werden sehen! Ich wünsche euch eine ruhige Nacht!"
„Schlaf gut, süße Maus!" Sie legten beide auf.
Tom sah in die Luft. Sie war sehr verunsichert, er spürte es genau. Er hoffte nur, dass sie keine Angst hatte vor ihm, vor seinen Wünschen, seinen Plänen! Er wollte doch nichts, was sie nicht auch wollte. Er könnte sie niemals zu irgendetwas drängen!

Der nächste Alarm riss ihn aus seinen Gedanken. Einsatz mit dem Wagen, Verdacht auf Herzinfarkt.
Danach ging es Schlag auf Schlag. Eine Alkoholvergiftung, eine Überdosis, ein Betrunkener fuhr gegen einen Baum.
Um sechs wurden sie abgelöst, er legte sich zu Hause ein paar Stunden aufs Ohr, schlief augenblicklich ein.

Sina war um zwölf endlich eingeschlafen. Sie hatte gegrübelt, sich Gedanken gemacht, gegrübelt.
Warum war sie so ein Baby?
Er würde sie bald satt haben!
Sie verfluchte Max, der ihr ihre ganze Jugend geklaut hatte!

Damals hätte sie Erfahrungen machen sollen, sich verlieben, Jungs ausprobieren, Beziehungen haben sollen, sie wieder beenden, Liebeskummer haben, vor Glück abheben, das hätte sie damals alles erleben sollen!
Jetzt war sie 25, Männer erwarteten eine erfahrene , taffe Frau, nicht so ein ängstliches kleines Mädchen!

Und doch hatte sie das Gefühl, dass Tom sie verstand. Dass er wusste, wie es in ihr aussah - und dass es ihn nicht störte.
Um zehn Uhr wachte sie schweißnass aus wirren Träumen auf, fühlte sich wie gerädert. Na toll, wenn das die Liebe war, würde sie mehr als ein paar Tage nicht überleben.
Nach einer Dusche, einer Tasse Kaffee und einer Zigarette fühlte sie sich besser, begann sich auf Tom zu freuen. Sie konnte sogar ein paar Bissen essen.

Tom wurde um elf vom Wecker aus den schönsten Träumen gerissen. Er war sofort hellwach. „Sina!" dachte er nur. Er duschte, cremte sich ein, zog sich sorgfältig an, frühstückte ausgiebig.
Dann endlich war es Zeit. Sollte er noch einmal anrufen? Aber er hatte das Gefühl, dass sie am Telefon immer etwas gehemmt war!


Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt