Kapitel 96 - Dezember (*3*)

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Tom ging ein paar Schritte auf den Gang mit ihr. „Sag mal, kleine Krabbe, wo holst du denn all die Worte immer her? Das gibt es doch gar nicht, dass man sich so auf die Schnelle, so vollkommen unvorbereitet, so ausdrücken kann!"

„Weiß nicht! Irgendwo in meinem Kopf ist ein großes Lager für Worte entstanden in der Zeit, als ich nicht reden durfte!"
Tom schossen die Tränen in die Augen.

Er zog sie schnell nach draußen, wollte nicht, dass jemand ihn heulen sah.
Sein Sonnenschein, sein Kobold, sein Clown!
Und irgendjemand hatte ihr verboten, das zu sein, was sie war!
Hatte nicht ertragen können, dass sie die Welt erhellte mit ihren Worten.
Zehn Jahre lang, subtil, immer mehr, bis sie verstummte!

Doch dann erfüllte ihn ein riesengroßes Glücksgefühl.
Er hatte sie gefunden an diesem Montag im August.
Er würde sie reden lassen, er liebte es, sie reden zu hören, er liebte es, über ihren trockenen Humor zu lachen, er liebte es, sich in Wortspielereien mit ihr zu messen, er liebte es, ihr zuzuhören, ob im Freundeskreis oder auf der großen Bühne, er liebte die Worte, die sie aufschrieb, ihre Geschichten, die so aus ihrem Kopf sprudelten wie ihre Reden.

Er liebte dieses Lager in ihrem Kopf, das nie leer zu werden schien!
„Ich liebe deine Worte!" sagte er nur, und seine Stimme war noch ein wenig belegt von den ungeweinten Tränen.
„Das ist gut!" antwortete sie ganz ruhig. „Denn wer meine Worte liebt, liebt mich!"

Und nun liefen sie doch, die bis dahin ungeweinten Tränen.
„Ja, Süße! So ist es!" presste er hervor.
Er hielt sie lange im Arm, weil er lange brauchte, bis er sich beruhigte. Dann gingen sie wieder in den Saal zurück, auf die Tanzfläche, drehten sich zur Musik, nicht so professionell wie zuvor, weil sie mehr auf ihre Nähe achteten als auf die Tanzschritte.

Er atmete ihren Duft, sein Duft betörte sie, seine Hände suchten Haut, fanden reichlich davon am tiefen Rückenausschnitt.
„Nächstes Mal kaufe ich dir ein ganz hochgeschlossenes Kleid!" beschloss er.

„Das glaube ich nicht! Da kannst du ja nicht fummeln!" knallte sie ihm hin.
Tom lachte wieder einmal. „Fummeln!" beschwerte er sich. „Willst du vielleicht sagen, ich bin ein Fummler?"

Sie sah ihn ungläubig an. „Ja nicht, oder was?"
Er drehte ein paar schnelle Runden mit ihr, lachte in sich hinein. „Du könntest schon Recht haben! Ich fummle zu gerne an dir rum!"

„Na also! Und dann ziehst du so viele Klamotten übereinander an, dass ich mich nicht auch bedienen kann!"
Tom schwanden schon wieder ganz viele seiner Sinne.
„Du willst dich bedienen bei mir?"
„Logisch! So ein bisschen Haut würde mir jetzt schon gefallen!"

Hu! Bis jetzt hatte er den Abend ganz ohne Schweißausbrüche überstanden!
Und jetzt wollte sie ein bisschen Haut!
Wo?
Wie?
Was? schoss durch sein benebeltes Gehirn.
Hof?
Zu kalt!
Auto?
Nicht dabei!
Toilette?
Kaum möglich!
Nach Hause?
Zu früh!

Er schob sie ein wenig weg von sich, sah sie an. „Du bist ein Biest! Ein lockendes Biest! Ein kleiner Teufel, weißt du das?"
„Ja!" sagte sie nur und lächelte ihn an.
Sie genoss diese Spiele unheimlich, wenn sie ihn auf hundert bringen konnte, bis er den Verstand verlor.
Ihn, diesen superhübschen Mann, den die Hälfte aller Frauen mit den Augen verschlang, der aber den ganzen Abend nur Augen für sie hatte, der sie liebte, ihre Worte liebte, deshalb sie liebte!

„Und was willst du dagegen tun?" fragte er lächelnd.
„Nichts! Oder willst du, dass ich etwas dagegen tue?"
„Nein! Will ich nicht! Ich will mein Biest! Meinen kleinen Teufel!"
„Siehst du!"

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt