Kapitel 122 - Mitte Februar 2005 (*3*)

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Ohne sich abzusprechen – er wusste, das war nicht nötig – führte er sie den Wegweisern nach zum Büro des Heimleiters.
„Was müssen wir tun, um Phillip Bergmann zu uns zu nehmen?" fragte Tom.
Herr Hansen sah ihn verblüfft an. „Phillip Bergmann? Den Satansbraten? Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?"

„Entschuldigung! Dr. Tom Bergmann, meine Frau Sina." stellte er vor.
„Bergmann? Sind Sie der Vater?" Die Namensgleichheit konnte doch kein Zufall sein.
„Nein, aber ich war vor Jahren mit seiner Mutter verheiratet!" merkte Tom kühl an.
Herrn Hansens Blick verharrte auf Sina, der Frau Nummer zwei.

Und sie wollte jetzt das Kind seiner EX bei sich aufnehmen und noch dazu ein so schwieriges?
Sie erwiderte lächelnd seinen Blick, konnte sein Gedanken erahnen. „So viel wir wissen, gibt es einen Abschiedsbrief, in dem Simone Bergmann meinen Mann bittet, sich um Phillip zu kümmern!" sagte sie ruhig.

„Und Sie können sich eine solche Konstellation vorstellen?" fragte der Heimleiter verblüfft.
„Diese Konstellation war meine Idee!" Sina runzelte die Stirne.
Herr Hansen holte die Akte Phillips, fand den Abschiedsbrief Simones, fand Sinas Aussage bestätigt.

Er las das Gutachten des Psychologen. Dann las er die wichtigsten Punkte laut: „Emotional instabil, hochgradig aggressiv, geistig zurückgeblieben durch Vernachlässigung, sprachlich verwildert, im jetzigen Zustand nicht therapierbar."

Sina und Tom mussten lachen. „Liebenswert, hochgradig liebeshungrig, hochbegabt, sprachlich eine einzige Überraschung, braucht keine Therapie!" konterte sie.
Herr Hansen schmunzelte. Die Kleine durfte man auch nicht unterschätzen! Die hatte wohl die Hosen an im Hause Bergmann.

„Haben Sie denn Erfahrung im Umgang mit Kindern?" fragte er. Sie sah aus, als ob sie noch nicht lang volljährig wäre. Wahrscheinlich hatte sich der Herr Bergmann etwas Junges ins Haus geholt, seine erste Frau in die Wüste geschickt.

„Ein wenig! Ich habe fünf Jahre als Förderlehrerin gearbeitet, wir haben knapp zweijährige Zwillinge und eine vierjährige Adoptivtochter!"
Herr Hansen hatte Mühe, seinen Mund zuzuklappen.

Tom grinste, schlug lässig seine Beine übereinander.
Der Heimleiter begann zu lachen. „Sorry! Ich gebe mich geschlagen!"
„Das ist auch besser so!" erklärte Sina trocken. „Alles andere hätte wenig Sinn!"

„Also, ich rufe morgen das Jugendamt an, dann werden Sie wohl Phillip ein paar Mal für einige Stunden nach Hause holen können, wenn Sie wünschen, mit sozialpädagogischer Begleitung" - er sah wie sie das Gesicht verzog - „oder ohne! Dann wird Ihnen wohl die Pflegschaft übertragen und in ca. einem Jahr könnte Sie die Adoption beantragen!"
„Gut!" stellte Sina fest. „Das wollten wir hören!"

Der Heimleiter setzte sich mit den zuständigen Erziehern zusammen, erzählte vom Besuch der Bergmanns, sprach auch über seine Bedenken.
Christoph sah ihn ernst an. „Aber das ist Wahnsinn, wie die Kleine mit dem Jungen umgeht, wie er auf sie reagiert!"

Bianca musste ihm zustimmen. „Er hat sich total verändert! In nur einer guten Woche!"
Herr Hansen sah die beiden streng an. „Das wäre eigentlich euer Job gewesen!"
Christoph schüttelte den Kopf. „Nein! Das ist eine besondere Gabe, die sie hat!"

„Vielleicht sollte ich sie einstellen!" scherzte der Heimleiter. „Aber mit vier Kindern wird sie mein Angebot wohl ablehnen!"
„Vier Kinder!" stieß Bianca überrascht hervor. „Die ist doch noch keine zwanzig!" Herr Hansen erzählte, was er heute erfahren hatte.
„Wow!" sagte Christoph nur bewundernd.

Am Abend erzählte der Heimleiter seiner Frau die Geschichte von Tom, Sina und Phillip Bergmann.
„Bergmann? Tom und Sina? Das sind doch die beiden, die letztes Jahr in dieser Talkshow waren? Die diesen Verein gegen Drogen bei Jugendlichen leiten! Zwei ganz tolle Menschen!"

Herr Hansen schüttelte den Kopf. Manche Menschen waren schon bewundernswert! Er sah im Internet nach, las unzählige Artikel über das junge Paar, schüttelte noch ein paar Mal ungläubig den Kopf.
Na, bei den beiden wäre einer ihrer schwierigsten Fälle sicher gut aufgehoben!

Tom und Sina fuhren glücklich mit dem Bus nach Hause. Ihre Liebe strahlte wieder, die anderen Fahrgäste sahen sie lächelnd an, nahmen einen Teil dieses Strahlens in sich auf, brachten es mit nach Hause. Auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Wohnung musste Sina aber noch etwas loswerden.

Sie hatte gegrübelt, ob sie noch warten sollte, aber das Problem musste von ihrer Seele, jetzt gleich.
Sie hielt mitten im Gehen an, legte ihre Arme um ihn.
„Du, Tom, eine Sache quält mich noch ein bisschen!"

Er erschrak. Nichts sollte seine Süße jetzt noch quälen! „Und was? Sag es einfach!" bat er, sah ihr tief in ihre schönen Augen.
„Könnten wir...., könnten wir vielleicht irgendwann vergessen, dass Phillip....., also dass Phillip Simones Kind ist? Könnten wir......, könnten wir so tun, als wüssten wir nicht, wer seine Mutter war?"

Er drückte sie fest an sich, schluckte wieder einmal an seinen Tränen. Seine süße Krabbe, seine unglaubliche Frau! Sie war so sehr über ihren Schatten gesprungen, hatte das Kind seiner Exfrau lieben gelernt. Keine andere Frau hätte auch nur im Entferntesten so handeln können wie sie!
Und jetzt litt sie unter den Gedanken an Simone, dieses Miststück!

Er suchte nach den richtigen Worten, wusste, er war nicht so gut damit wie sie, musste sich aber sehr anstrengen, sie hatte es verdient!
„Natürlich, Süße! Denn sie hatte dieses Kind nicht verdient! Sie war es nicht wert, seine Mutter gewesen zu sein! Seine wirkliche und einzige Mutter wirst du sein!" Ihr Lächeln zeigte ihm, dass er die richtigen Worte gefunden hatte, so richtig, wie er eben in der Lage dazu war.

„Und du wirst sein Vater sein! Sein einziger Vater!" stellte sie lachend fest.
„Ich werde der Vater von allen Kindern sein, deren Mutter du bist!" Er erschrak ein bisschen darüber, was er gesagt hatte, aber kein Schatten erschien auf ihrem Gesicht. Sie war darüber weg, dass sie keine Kinder mehr bekommen würde.

Er atmete auf. Seine starke Sina, die immer nur nach vorne sah, die Leid so schnell, so vollkommen vergessen konnte, die den Optimismus im Blut hatte.
Er liebte sie bis zum Wahnsinn!


Sina fiel Marie um den Hals, erzählte von dem Gespräch mit dem Heimleiter. „Und dann fragt er die kleine Krabbe: Haben Sie Erfahrungen mit Kindern!" mischte sich Tom ein und lachte sich halb kaputt bei der Erinnerung an das verblüffte Gesicht des Herrn Hansen.
Marie lachte mit. Aber sie war auch skeptisch! Sie fand es nicht gut, auf welches Abenteuer sich die beiden einlassen wollten.

Sie hatte manchen Abend mit Patrick diskutiert, der natürlich voll auf Sinas Seite stand.
„Sie hat den Dreh mit Kindern einfach raus!" war er sicher. „Schon immer! Und sie muss tun, was sie tun muss!" Sie hatten zwar beide die seltsame Stimmung zwischen Tom und Sina mitbekommen, waren aber gegenteiliger Meinung, wie das Problem zu lösen wäre.
Marie glaubte, Sina müsse nachgeben. Sie hatte drei fabelhafte Kinder, sie sollte nicht alles aufs Spiel setzen.

Aber sie kamen so glücklich aus diesem Heim zurück, waren wieder ganz die Alten. Vielleicht hatte Patrick Recht! Sie hoffte es sehr. Marie verabschiedete sich, die Zwillinge kamen mit Lea angetanzt. Sie ließen sich alle drei kräftig abschmusen, lachten glücklich, fühlten, dass die seltsame Stimmung der letzten Woche vorbei war.
Die Semesterferien begannen, Tom war froh, wieder seine ganze Zeit mit seiner Familie verbringen zu können.

Am nächsten Tag packten sie die Kinder in den Bus, fuhren ins Heim zu Phillip. Die Zwillinge erschraken furchtbar, als sie den bösen Jungen sahen, versteckten sich hinter Tom. Lea klammerte sich ängstlich an Sina. Phillip hatte ein schlechtes Gewissen, dass die Kleinen so viel Angst vor ihm hatten. Er hatte damals in der Wohnung nur einen Spaß machen wollen, war den Umgang mit anderen Kindern nicht gewohnt gewesen.

„Soll ich euch etwas vorlesen?" fragte er vorsichtig. Felix und Annika linsten hinter Tom hervor. Vorlesen war immer gut! Das machten die Mama und der Papa auch oft! Das war nichts Schlimmes!
„Kommt! Setzt euch da hin!" Er suchte ein Buch aus, fing an zu lesen. Lea fasste auch Mut, gesellte sich dazu.

Danach spielten die vier mit den Autos, mit den Bauklötzen, mit den Kasperlefiguren. Zwei Stunden vergingen im Flug und in vollkommener Harmonie. Alle Erzieher, die am Beobachtungsfenster vorbeikamen, waren begeistert. Der Junge, der ihre größte Herausforderung zu sein schien, würde es schaffen, mit diesen neuen Eltern würde er es schaffen.


Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt