Kapitel 82 - Susanne

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Susanne lebte den halben Tag benebelt von den Medikamenten in einer wunderschönen Traumwelt. Doch wenn die Wirkung nachließ, schrie sie nach der Schwester, nach einem Arzt, nach der Polizei.

Sie wollte keinen Besuch von ihrer Familie, sie wollte keine Gesprächstherapie. Sie aß kaum, musste zum Duschen fast gezwungen werden, dämmerte vor sich hin, träumte von Dannys Zärtlichkeiten, von seinen liebevollen, erregenden Worten.

Dr. Münster rief noch einmal auf dem Revier an, schilderte die Situation, so weit er Details weitergeben durfte. Andreas überlegte.

Vielleicht konnte er die Untersuchungsrichterin überreden, mal vorbeizuschauen.
Vielleicht konnte die ausloten, was Susanne vorhatte.
Bernadette erklärte sich bereit, Susanne zu besuchen. Sie war entsetzt, als sie die junge Frau in ihrem Bett sah. Ein trüber Blick, strähnige Haare, fahle Haut – sie bot einen mitleiderregendes Anblick!

„Frau Christen, erinnern Sie sich an mich?" fragte die Juristin.
„Frau Dr. Hofer! Sie müssen mir helfen! Nick hat Danny auf mich angesetzt, damit ich die Anzeige zurückziehe!" Susanne sah Hoffnung am Horizont. Wenn nur ihre Gedanken klarer gewesen wären!

„Die Anzeige gegen Tom Bergmann?" fragte Bernadette nach.
„Ja! Sinas Tom! Wichser Tom!" Sie redete sich wieder in Rage. „Verdammte Sina! Sie bekommt alles! Alle Jungs wollten immer nur sie! Auch Stefan wollte sie! Jetzt hat sie Tom! Sie soll aber nicht glücklich sein!" Sie brach in Tränen aus.

„Warum soll ihre Schwester denn nicht glücklich sein? Lieben Sie sie denn nicht?"
„Ich hasse sie! Schon immer! Ich hasse die Zwillinge! Beide! Mama hat immer nur die Zwillinge geliebt, aber sie waren böse Kinder!" Sie schluchzte herzzerreißend.

Bernadette wurde langsam klar, worum es hier ging. Worum es in Susannes ganzem Leben gegangen war. Eifersucht! Krankhafte Eifersucht! Ein kleines Kind hatte sich von den Eltern verraten gefühlt, weil zwei neue Geschwister geboren wurden.

Zwei! Eines hätte nicht so viel Aufmerksamkeit gebraucht, aber bei Zwillingen war die Ältere wohl zu kurz gekommen.
„Und warum wollen Sie Nick anzeigen?" fragte sie nach.
„Danny! Danny hat gesagt, er liebt mich! Aber Nick hat ihn bezahlt!" Ihr verschwommener Blick wurde hart.

Langsam wurde Bernadette der Zusammenhang klar. Der Freund von Tom Bergmann hatte einem anderen Mann Geld gegeben, damit er sich an Susanne ranmachte. Um sie milde zu stimmen, damit sie die Anzeige zurücknahm. War das ein Komplott, um Tom rauszuhauen? Ihr wurde eiskalt! Sollte ihre Menschenkenntnis sie so getrogen haben, und der Sanitäter war doch schuldig?

„Frau Christen! Hat Tom Bergmann versucht, Sie zu vergewaltigen?" Sie musste eine Antwort haben.
„Nein! Niemals!" gestand Susanne ein, die Drogen in ihrem Blut ließen nicht zu, die Lügen weiter aufrecht zu erhalten.

Bernadette atmete auf. „Warum haben Sie ihn dann angezeigt?"
„Wegen Sina! Ich muss sie zerstören! Sie muss weg! Sie bekommt alle Männer! Für mich bleibt nichts!"

Bernadette war entsetzt. Darum war es also bei der ganzen Farce gegangen. Die hübsche Schwester hatte mehr Erfolg bei Männern als die Ältere. Deshalb hatte ein unbescholtener junger Mann durch die Hölle gehen müssen! Deshalb hatte die jüngere Schwester leiden müssen!

Aber die Rolle von diesem Nick war ihr noch nicht klar.
„Und warum hat Nick Danny Geld gegeben?" wollte sie wissen.

„Nick ist ein Freund von Sina und Tom. Er war gemein zu mir in den Clubs, er und Ben und Oli! Weil sie Sina mögen, mögen sie mich nicht! Sie haben allen Männer, die ich wollte, schlimme Sachen erzählt über mich! Deshalb habe ich Tom angezeigt! Weil alle so böse zu mir waren! Weil alle nur Sina mögen und mich nicht!" Susanne konnte sich nicht bremsen, alles musste raus.

„Sie haben bewusst eine Falschaussage gemacht, weil die Männer im Club Sie nicht mochten? Sie haben fast das Leben eines jungen Mannes zerstört, weil Sie keinen Mann aufgabeln konnten?"

Bernadette war fassungslos. Sie war immer auf der Seite der Frauen gestanden, auch in diesem Fall hatte sie Tom zuerst vorverurteilt, weil er ein Mann war! Sie hatte ihn zu einer Nacht in der Arrestzelle verdonnert, weil sie an ihm gezweifelt hatte und an allen Aussagen, die für ihn gesprochen hatten, nur weil sie Männer gemacht hatten.

Aber sie musste erleben, dass auch Frauen boshafte, grausame Personen sein konnten und nicht zwangsläufig immer Opfer waren.

„Tom Bergmann könnte Anzeige gegen Sie erstatten wegen Rufmord, und ich könnte es ebenso handhaben wegen Vortäuschung einer Straftat!" gab sie kühl zu bedenken.

„Ich will doch nur glücklich sein!" heulte Susanne.
„Und dazu müssen Sie andere Menschen vernichten?"
„Nur Sina! Sina muss weg!" Susanne spuckte diese Sätze so hasserfüllt aus, dass es Bernadette kalt den Rücken hinunter lief.

„Wir werden keine Anzeige gegen Nick aufnehmen, nur weil Sie so dumm waren, auf falsche Liebesgeständnisse hereinzufallen! Außerdem hat der Coup von ihm dazu geführt, dass Tom Bergmann vollständig rehabilitiert werden konnte! Ich wünsche Ihnen, dass man Ihnen hier helfen kann, denn Hilfe habe Sie dringend nötig! Ich wäre Ihnen aber sehr dankbar, wenn Sie aufhören würden, dauernd nach der Polizei zu rufen!"

Sie stand auf. „Nehmen Sie das Therapieangebot hier an! Sie brauchen dringend Hilfe!"

Mit diesen Worten verließ Bernadette das Zimmer, suchte den Chefarzt Dr. Münster auf, berichtete ihm von Susannes Ausbrüchen.

„Na, da haben wir ein Menge Arbeit vor uns!" versuchte der Arzt einen Scherz. „Wenn sie nur endlich bereit zu einer Gesprächstherapie wäre!" Mehr durfte er nicht preisgeben.
Kurz fuhr Bernadette noch auf dem Revier vorbei, schrieb ein Protokoll von dem Gespräch, schüttelte immer wieder den Kopf, als sie die bitterbösen Worte niederschrieb, die Susanne ausgestoßen hatte. Dann machte sie sich auf den Weg.

Sie war mit Sven zum Mittagessen verabredet, und ein bisschen schlug ihr Herz schneller bei dem Gedanken daran.

Andreas las den Bericht der Untersuchungsrichterin, war entsetzt über die geballte Bosheit der jungen Frau. Wenn sie sich einen anderen ausgesucht hätte, um ihn fertigzumachen, als ausgerechnet den beliebten, unbescholtenen Tom, wäre sie vielleicht sogar durchgekommen!

Er rief bei dem jungen Mann an, Sina meldete sich. Andreas informierte sie über die nun endgültigen und auch belastbaren Ergebnisse, verschwieg aber die Rolle von Nick und diesem Danny. „Damit wäre dann die Sache endgültig geklärt und aus der Welt!" versicherte er.
„Passt auf euch auf !" schloss er seinen Bericht.


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