Kapitel 51 - Donnerstag, 25.8. (*3*)

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Josie brachte ihnen zwei Tassen Kaffee und zwei große Stücke Torte. Bei den verliebten Blicken der beiden wurde sie ganz sehnsüchtig.

Ob sie je ein Junge mal so ansehen würde? Er musste ja nicht unbedingt so hübsch sein wie TomTom, aber er sollte sie so ansehen wie er Sina ansah. Dann wäre das die Wolke sieben, und auf die musste sie warten, hatte Sina gesagt!

„Größer ging es wohl nicht mehr?" fragte Tom mit Blick auf die Tortenstücke.
Josie grinste. „Kilian hat gesagt, die Sina ist zu dünn, und dass er wüsste, was Frauen brauchen, weil er ein Mann ist! Er wollte eigentlich zwei Viertel runterschneiden!" Alle drei lachten über den Zwölfjährigen und über seine Logik zwischen Jungen und Mann.

Dann ging das Liebespaar hinauf, legte sich ein bisschen hin, um zu schlafen, wirklich nur zu schlafen.
Inga lauschte nach einer Weile nach oben. Ruhe! Keine Bodendielen quietschten unter dem Bett.

„Na, heute sind sie scheinbar wirklich K.O.!" stellte sie trocken fest.
Um sechs wachten sie auf, duschten und machten sich schick.

Sina trug einen wadenlangen bunten Rock mit einem breitem Gürtel, der ihre schmale Taille betonte. Das passende Miederoberteil hatte hinten einen Reißverschluss, den sie einfach nicht zubrachte.
„Hilfst du mir bitte!" bat sie.
„Nö!"
„Warum nicht?"
„Zu viel Rücken! Wir müssen da jetzt runter!"
„Tom, bitte! Ich krieg das nicht zu!"
„Aber nur, wenn du mir versprichst, dass ich ihn nach der Feier wieder aufmachen darf!"
„Versprochen, du Kasper!"

Er machte den Reißverschluss zu, aber nicht ohne ein paar Küsse auf ihrer duftenden, weichen Haut zu hinterlassen. Entsprechend lang brauchte er auch dazu. Schließlich drehte er sie um, ihr Anblick nahm ihm wieder einmal den Atem. Das Mieder betonte ihr perfektes Dekolleté, die Rundungen ihrer Brüste waren unglaublich, er musste ganz leicht mit den Fingern darüber streichen. Das Projekt Feier war ernsthaft in Gefahr. Der breite Gürtel ließ sie noch zerbrechlicher erscheinen.

Aber sein Anblick war auch nicht ohne!
Eine helle Hose in mit dem ganz gefährlichen Schnitt, eines von den Shirts, die sie ihm gekauft hatte, in der perfekten Farbe mit einer Schnürung an der Brust und Raglanärmeln, die seine Armmuskeln betonten. Sie pfiffen sich beide bewundernd an, tanzten lachend nach unten. Da stoppten sie erst einmal. Ungefähr hundert Gäste warteten auf sie, klatschten, als sie auftauchten.

Im Nu waren sie umringt von Menschen, die ihnen auf die Schulter klopften, auf sie einredeten. Einige aus der näheren Verwandtschaft kannte Tom bereits, die meisten waren ihm aber fremd.
O Gott, Anna! Seid ihr verrückt geworden? dachte er.
Da schlug Christian an ein Glas, bat um Ruhe.

„Wir sind heute hier, um die Rettung meiner geliebten Töchter zu feiern. Vor einem Jahr hat sie ein Unglück beim Klettern an den Rand des Todes gebracht. Sie lagen in einer Schlucht mit gebrochenen Beinen, waren ohnmächtig und unterkühlt. Drei Hubschrauber-Piloten aus unserer Gegend hatten erfolglos versucht, dort zu landen. Damals bin ich sehr streng mit ihnen zu Gericht gegangen, aber heute weiß ich, dass auch diese Jungs ihr Bestes versucht hatten, was aber eben nicht ausgereicht hatte. Der Himmel hat uns dann Tom Bergmann gesandt, was man wörtlich nehmen muss. Er war eben der Beste, und er hat es geschafft, den Heli zu landen, hat dabei ganz konkret auch sein Leben riskiert.
Ich weiß, dass er es hasst, so im Mittelpunkt zu stehen, aber ich verspreche dir, Tom, dass es nur an diesem ersten Jahrestag so sein wird. An den zukünftigen bist du, seid ihr, uns natürlich immer herzlich willkommen, wie an jedem anderen Tag des Jahres, aber eine Feier wird nur dieses erste Mal stattfinden, bei dem wir für unser Glück danken.
Umso mehr freut es uns, dass du hier bist, und dass du uns auch deine bezaubernde Freundin, deine Liebe, wie Anna mir berichtet hat, mitgebracht hast.
Hebt also nun bitte eure Gläser und trinkt mit mir auf das Wohl von Tom und Sina! Sie trinken selbst nichts, weil Tom sich immer in Bereitschaft fühlt und Sina aus Sympathie auf einen guten Schluck verzichtet. Gott schütze euch beide und schenke euch nur glückliche Tage!"

Kilian brachte ihnen zwei Gläser Holundersaft, lange Zeit klirrten Gläser aneinander.
Dann traten Josie und Inga nach vorne und trugen ein selbst verfasstes Gedicht vor. Es handelte davon, was sie alles in diesem einen Jahr nicht mehr hätten erleben können, wenn Tom nicht gewesen wäre. Es flossen Tränen in Strömen, ganz viele davon auch bei Tom und Sina. Als sich alle wieder ein wenig beruhigt hatten, ergriff Tom das Wort.

„Liebe Gäste, Anna, Christian, Josie, Inga, Kilian! Ich habe einen Job, den habe ich gelernt. Ich bin Rettungsassistent mit Heliflugschein. In diesem Job erlebe ich oft Fürchterliches. Ich habe meine Eltern aus einem Wrack gezogen, meinen Vater tot, meine Mutter starb kurz danach. Ich habe eine liebe Kollegin, die im siebten Monat schwanger war, nicht retten können! Ich habe ganz viele Frauen, Männer und auch Kinder nicht retten können! Es hat mir oft und oft das Herz zerrissen.
Aber ich habe auch ganz vielen Menschen das Leben retten können, unter anderem meinem Mädchen hier, das ein Wahnsinniger fast erwürgt hätte. Und auch Josie und Inga, okay, das war kritisch, aber es musste sein! Ein Rettungsassistent braucht Erfolgserlebnisse, um den Job zu schaffen! Deshalb bin ich den beiden dankbar, dass sie durchgehalten haben, um mir so ein Erfolgserlebnis zu bescheren! Ich erhebe deshalb mein Glas auf Josie und Inga, zwei wundervolle Mädchen, die die Welt unbedingt braucht!"

Es blieb eine Weile still im Gastraum, zu viele schreckliche Einzelheiten hatte der junge Mann aus seinem Leben preisgegeben, die die Gäste erst verdauen mussten, aber aus ihrer Bewunderung für ihn heraus stießen sie dann miteinander an, nicht so fröhlich und laut wie vorher, eher nachdenklich und respektvoll Tom gegenüber.

Dann wurde das warme Büffet eröffnet. Tom und Sina als Ehrengäste sollten sich zuerst bedienen. Er konnte es gar nicht fassen! Anna hatte tatsächlich seine ganzen Lieblingsgerichte gekocht!

„Womit soll man denn da anfangen?" fragte er Sina hilflos.
„Also ich mit Schweinbraten und Knödeln!"
„Okay, ich folge dir einfach auf Schritt und Tritt!"
„Na, das ist doch wieder mal ein guter Plan!" scherzte sie und lächelte ihn an.

Und dieses Lächeln ließ ihn wieder so schweben, dass er gar nicht merkte, was er aß, so dass Annas ganze Mühen eigentlich umsonst waren, weil er eigentlich nur irgendetwas in sich hinein schaufelte, während er den Blick nicht von der Liebe seines Lebens lassen konnte!
Sie holten sich noch ein kleines Schnitzel mit Kartoffelsalat, zum Nachtisch eine kleine Portion Kaiserschmarrn.

Da entdeckte Sina Paul Wagner unter den Gästen, ging hin, um ihn zu begrüßen. Er war eigentlich nicht verwandt mit Annas oder Christians Familie, hatte aber von der Feier Wind bekommen, angerufen und sich selbst eingeladen. Er wollte unbedingt Sina wiedersehen und sie seinem Freund vorstellen.

Sina und Tom setzten sich zu den beiden. Für ihn war es beruhigend, mit zwei anderen Männern am Tisch zu sitzen, die seine Süße nicht anbaggerten.
Paul und Joe erzählten, dass sie beide Graphiker und Maler waren, mit einem eigenen Atelier in Garmisch.

„Ah!" freute sich Sina. „Mein Zwillingsbruder Patrick ist auch Künstler, in München!"
„Wie heißt er mit Nachnamen?" fragte Joe interessiert.
„Christen, wie ich!"
„Patrick Christen ist dein Zwillingsbruder?" Die beiden sahen sie ungläubig an. „Wir sind sehr befreundet mit ihm und seiner süßen Marie!"
Sina wunderte sich. Süße Marie? Aber das waren eben Schwule, die Maries wirkliche Qualitäten wahrnahmen, weil das Balzverhalten außen vor blieb!

„Patrick ist der aufgehende Star am Münchner Kunsthimmel! Er ist wirklich gut! Und er verkauft auch gut! Seine Bilder sind sehr gefragt!" informierte sie Joe.
Sina lächelte Tom stolz an.

„Das ist ja ein Ding! Patricks Schwester und ihr Freund retten meinem Bruder, meinem Neffen und meinem Vater das Leben!" Paul schüttelte über die Zusammenhänge den Kopf. „Komm wir rufen ihn mal an!"


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