Kapitel 23 - Mittwoch, 10.8. (*2*)

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Später saßen sie auf der Dachterrasse, ließen sich Brote schmecken, die tatsächlich Sina hatte vorbereiten dürfen. Sie hielten sich an den Händen, mussten sich immer wieder berühren und küssen.
Sie waren das verliebteste, verknallteste Paar der Welt! Das Lächeln in ihren Gesichtern schien zum Dauerzustand zu werden.
Doch plötzlich glitt ein Schatten über Toms Gesicht.
„Heute ist der fünfte Todestag meiner Eltern!" sagte er.
„Dann sollten wir doch zum Grab fahren, oder?" schlug sie vor.
Er küsste sie, wie immer konnte sie seine Gefühle, seine Gedanken lesen.

Am Grab nahm er sie in den Arm. „Mama, Papa, das ist Sina, mein Wundermädchen Sina! Sie hätte euch gefallen! Sie wohnt bei mir in unserer Wohnung, und sie ist die Liebe meines Lebens!" sagte er leise, mit Tränen in den Augen. Und ich danke euch, dass ihr über sie gewacht habt an diesem schrecklichen Tag! dachte er.

„Ich danke euch für Tom, diesen hübschen Jungen, den ich mehr liebe, als ich geglaubt habe, lieben zu können! Und ich verspreche euch, ihn glücklich zu machen, so weit es in meiner Macht steht!" sagte sie leise, mit Tränen in den Augen. Und vielleicht habt ihr ja auch ein bisschen aufgepasst auf mich an diesem schlimmen Tag! dachte sie.
„Schade, dass sie dich nicht kennenlernen konnten! Es hätte sie sehr glücklich gemacht, mich so glücklich zu sehen!" Die ersten Tränen verließen seine Augen.
„Ich glaube, sie sehen uns zu, wie wir glücklich unser Leben genießen! Ich glaube, sie sind glücklich mit uns!" Sie fühlte eine Schwingung, die sie sicher machte, dass ihre Worte wahr waren.

Und die Zwiesprache mit dem Paar, das so jung hatte sterben müssen, das seinen Sohn allein zurücklassen musste, das sein jetziges Glück nicht miterleben konnte, das aber mit Sicherheit seine Hand über ihr Glück halten würde, gab Sina eine seltsame Kraft.

Auf dem Weg durch den Friedhof zurück, sagte sie: „Jetzt holen wir mein Auto! Jetzt kann ich es!"
„Bist du sicher?" fragte Tom besorgt.
„Ja, irgendwie habe ich da bei deinen Eltern Kraft getankt!"
Wortlos nahm er sie in den Arm! O ja, sie hätten dich geliebt, kleine Krabbe! Aber ich bin sicher, sie lieben dich auch jetzt sehr!
Sie fuhren noch einmal über die Autobahn, durch den Wald, standen vor ihrem Haus. Sie wartete auf das Zittern, auf die Angst, die sie lähmte.

Aber sie fühlte nichts, gar nichts. Vollkommen emotionslos schloss sie die Garage auf.
Da kam Peter aus Sabines Haus, begrüßte die beiden.
„Wollen wir noch einmal alles durchsehen, ob du nicht doch noch etwas haben möchtest?"
Tom sah Sina sorgenvoll an. Ob das gut wäre für sie?
Doch sie stimmte zu, ohne lange zu zögern.
Die Wohnzimmereinrichtung wollten Peter und seine Frau behalten, sie war besser als die in ihrer bisherigen Wohnung, die dafür Patrick und Marie übernehmen konnten. Das Arbeitszimmer und das Schlafzimmer waren leergeräumt, was in den Schränken unten war, wollten sie entweder behalten oder für Sina entsorgen.

Tom blätterte ein wenig in den Fotoalben, die im Wohnzimmerschrank standen, während die beiden ihren Rundgang durchs Haus machten.
Meistens waren die Zwillinge zusammen auf den Kinderbildern, ausgesprochen hübsche Kinder!
Manchmal war auch Susanne zu sehen, immer mit einem mürrischen Blick auf die beiden. Sina wuchs zu einem bildhübschen Mädchen heran, mit immer strahlenden blauen Augen und einem bezaubernden Lächeln. Kein Wunder, dass Susannes Verehrer die Augen nicht von der Kleinen lassen konnten!

Dann trat Max in ihr Leben. Die Augen verloren zunehmend ihren Glanz, das Lächeln verschwand immer mehr. Es gab nur wenige Aufnahmen von ihr und ihm, die Tom herausnahm und zerriss.
„Die Fotoalben solltest du aber schon mitnehmen!" bat er sie.
„Von mir aus!" gestand sie ihm zu.


„Stefanie hat übrigens mit mir geschimpft, weil ich auf den Deal mit der Miete eingegangen bin! Sie sagt, wir sollen nicht Kapital schlagen aus deinem Unglück! Also bleiben wir bei den 300.000 und die Miete bleibt auch, okay?"
Tom sah ein wenig verständnislos drein. Peter erklärte, was Sina mit ihm vereinbart hatte. Er drückte sein Mäuschen an sich! Sie war schon einmalig! Bei all dem Unglück, das sie erlebt hatte, dachte sie zuerst an andere!
Peter hatte auch schon einen Notartermin ausgemacht, am nächsten Mittwoch um 11.00 Uhr. Eilsbrunn würde bald endgültig Vergangenheit sein!

Dann stellte sie zum ersten Mal ihr Auto in seine Garage. Es war ein gutes Gefühl!

Danach lagen sie noch ein Weile auf den Liegen auf der Dachterrasse, schlummerten ein wenig ein, hielten sich an den Händen, waren glücklicher, als sie je geglaubt hatten, sein zu können.

Schließlich war es Zeit, sich für das candle-light-dinner umzuziehen. Beide putzten sich ordentlich heraus, waren fassungslos, als sie sich im Flur trafen.
„Na, ich denke, wir können uns sehen lassen in der Stadt!" meinte Tom lächelnd

„Wir haben unser Bestes getan!" schloss sie sich grinsend seiner Meinung an.

Hand in Hand zogen sie los, glückstrahlend gingen sie durch die Stadt.

Das Essen war eine Offenbarung, die romantische Stimmung wundervoll. Die Bedienungen genossen es, das verliebte Paar zu verwöhnen, ihr Glück erfüllte das ganze Lokal. Andere Gäste konnten kaum die Blicke von den beiden gutaussehenden Menschen lösen, die sich anhimmelten, immer wieder streichelten, sich verliebt fütterten, in den Augen des anderen versanken, lachend wieder auftauchten, leise miteinander sprachen.

Das war der Anfang von Toms Plan gewesen, immer, wenn er an das erste Mal mit ihr gedacht hatte! Genau so sollte der Abend beginnen!
Danach wollte er mit ihr in seine Wohnung, sie verführen nach allen Regeln der Kunst, sie ebenso lieben. Und doch war er heute froh, dass es anders gekommen war. Diese Vertrautheit hätten sie vor ein paar Tagen noch nicht gespürt! Vielleicht wäre sie nervös gewesen, ängstlich vor dem, was folgen würde. Dann hätte sie auch die Stimmung hier nicht richtig genießen können.

Diese ganz Planerei war Quatsch gewesen! So wie das Schicksal entschieden hatte, war es perfekt gewesen.
„Ich bin froh, dass alles so gekommen ist!" sagte in diesem Moment Sina aus ihren Gedanken heraus. „Ich hätte wahrscheinlich keinen Bissen hinunterbekommen vor lauter Angst! So vollkommen ungeplant war besser!"
Und wieder einmal wunderte er sich, dass sie genau seine Gedanken aussprach!


Schließlich gingen sie engumschlungen nach Hause. Die Bedienungen und die Gäste sahen ihnen nach. Irgendwie hinterließen sie eine Lücke.
Sie fühlten an diesem Abend grenzenlose Liebe, Vertrautheit, Harmonie der Seelen. Die Leidenschaft hatten sie vorher ausgelebt.
Sie setzten sich noch mit zwei Gläsern Wein auf die Dachterrasse und rauchten die erste Zigarette des Tages. Sie sahen in den Sternenhimmel, dankten allen Mächten der Erde und des Weltalls für ihr Glück.

„Morgen könntest du eigentlich mit mir in den Himmel fliegen, Engelchen!" sagte er nach einer ganzen Weile des Schweigens.
„Oh, ja! Das wäre toll!" freute sich Sina.
„Dann schlafen wir jetzt besser. Wir sollten früh raus!"
Engumschlungen schliefen sie ein, wachten am Morgen genauso auf.


Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt