Kapitel 118 - Simone

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„Da hast du 500 Euro! Das ist alles, was du mir übrig gelassen hast!" fauchte Tom sie an. „Du kannst dir davon ein Zimmer nehmen, oder du kannst dir Drogen kaufen! Mir ist es scheißegal! Hauptsache, du haust ab!"

Simone nahm das Geld und die Tasche mit ihren Klamotten, die er schon gepackt hatte. Sie war gerade erst aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden, war spät ins Bett gekommen, musste auch einen gehörigen Rausch ausschlafen.

Er hatte das Koks in ihrer Handtasche gefunden! Verdammt, jetzt hatte sie es endgültig vergeigt!

Er war 20 gewesen, als sie ihn sich gekrallt hatte, ein hübscher Junge, aber relativ unerfahren im Bett. Er war ein gelehriger Schüler gewesen, ihr Tommi, den sie so um den Finger gewickelt hatte, dass er sie ein Jahr später geheiratet hatte.

Er wollte eigentlich Medizin studieren, so ein Quatsch! Er hätte ja jahrelang kein Geld verdient! Wovon hätten sie leben sollen? Sie hatte keine Lust zu arbeiten, sie wollte feiern, jung sein, das Leben genießen.

Blöd war nur, dass er so langweilig war. Seine Arbeit war ihm immer wichtiger als sie gewesen. Nie hatte er sich überreden lassen, blau zu machen! Er verdiente gut, aber dann kam das Koks in ihr Leben. Sie jobbte hin und wieder, flog aber wegen ihrer Unzuverlässigkeit immer schnell wieder raus. Sie räumte sein Konto ab, der Stoff war teuer, und sie brauchte immer mehr. Er fragte sie öfter, wofür sie das Geld ausgab, sie erfand immer neue Stories.

Anfangs konnte sie ihn noch mit heißem Sex ablenken, aber im Lauf der Zeit wurde das schwieriger. Als sein Konto total überzogen war, gab es ernsthaft Streit.

Danach war sie weggelaufen, natürlich in den Club. Nach einer Line war die Welt wieder in Ordnung, sie genoss das Nachtleben, das Tanzen, Flirten, den Alkohol, die bewundernden Blicke der Männer.

Sollte der geizige Langweiler doch zu Hause versauern! Mit dem Taxi fuhr sie zur Wohnung am Stadtrand zurück. Sie war ziemlich zugedröhnt, stellte ihre Tasche im Flur ab, sank ins Bett. Tom war auf dem Sofa eingeschlafen. Kurz darauf kippte ihre Tasche von der Kommode, machte einen Höllenlärm. Er fuhr hoch, suchte nach der Ursache für den Krach, sah den Inhalt ihrer Handtasche auf dem Flurboden liegen.

Automatisch begann er alles wieder einzuräumen. Da sah er die beiden Päckchen Koks, die sie heute auf Pump von ihrem Versorger bekommen hatte. Als Sanitäter wusste er nach einer kleinen Kostprobe sofort, worum es sich handelte.

Er fühlte, wie eine unbändige Wut in ihm aufstieg. Ausgerechnet ihm musste das passieren: Eine Drogensüchtige, die sein Geld den Dealern in den Rachen schmiss! Da war keine Trauer, kein Schmerz, nur helllodernder Zorn!
Er packte ihre Sachen in eine Reisetasche, weckte sie auf.


Sie stand im Flur: „Du wirst ordentlich Unterhalt zahlen müssen, Tommi! Ist dir das klar?"
Er lachte bitter auf. „Das kannst du vergessen! Deine Drogensucht ist leicht zu beweisen! Auch, wie du mich ausgenommen hast! Ich brauche nicht einmal das Trennungsjahr einzuhalten! In einem Monat sind wir geschieden!" Er war heiser vor Verachtung. „Und nenn mich nie mehr Tommi!"


Er schob sie zur Wohnungstüre hinaus.

„Und jetzt?" dachte sie. Wo sollte sie hin?
Sie grübelte. Hatte sie nicht gestern einen Typen kennengelernt, der scharf auf sie gewesen war? Hatte sie nicht seine Nummer im Handy eingespeichert? Sie sah nach. Tatsächlich, ein Robert! Sie konnte sich kaum erinnern, wie er aussah, wählte aber seine Nummer.

Wenig später saß sie im Taxi, das sie zu ihm nach Hause brachte.

Sie hatten heiße 14 Tage, dann kam seine Frau aus der Reha zurück, seine Frau, die er ihr seltsamerweise verschwiegen hatte!
Sie zog zum nächsten und zum nächsten und zum nächsten, jeder neue Mann war ein weiterer Abstieg. Doch der Drogenrausch machte es immer wieder erträglich, wenn sie sich erniedrigen lassen musste.

Sie ging aufs Amt, wollte eine Unterstützung beantragen, bekam einige Arbeitsstellen zugeteilt. Sie arbeitete immer nur ein paar Tage.

Ein halbes Jahr nach der Trennung wollte sie es noch einmal bei Tom versuchen, sie war am Ende, hätte ihm alles versprochen, wenn er sie nur zurücknahm.
Er lachte sie nur aus. „Aber, gut dass du da bist! Dann kannst du gleich die Scheidungspapiere unterschreiben! Ich hatte ja keine Adresse von dir!"
„Einen Dreck werde ich tun!" haute sie ihm hin.

Er zog zwei 500-Euro-Scheine aus einer Schublade, legte sie vor sie hin. Sie griff danach, unterschrieb die Papiere. Damit war für beide ihre Ehe beendet.
Die tausend Euro reichten eine Woche. Sie nutzte die Zeit, um sich einen Kerl zu suchen, bei dem sie länger als ein paar Tage unterkam. Sie traf Karl, der sehr in sie verliebt zu sein schien. Nach einer Woche brachte er einen Freund mit. „Wenn du nett zu ihm bist, kannst du noch ein paar Tage bleiben!" erklärte er ihr kalt.

Das war der Einstieg in das letzte Kapitel ihres Lebens: Die Prostitution. Karl wurde ihr Zuhälter, versorgte sie mit Stoff, mietete eine winzige Wohnung für sie, bezahlte ihr gerade so viel, dass sie überleben konnte. Sie sah immer noch gut aus, hatte genügend Freier, um Karl zufrieden zu stellen.

Dann passierte es: Sie wurde schwanger! Sie merkte es schnell, weil sie sich tagelang die Seele aus dem Leib kotzte. Karl brachte sie ins Krankenhaus, sie hatte ihm nichts von ihrem Verdacht erzählt.

Die Ärzte überredeten sie, in eine Einrichtung für schwangere Süchtige zu gehen. Dort bekam sie Phillip. Sie hatte gehofft, das Kind lieben zu können, ein normales Leben führen zu können. Aber ein paar Tage nach der Geburt nahm sie den Jungen und verschwand. Ihr erster Weg führte sie zu Karl. Sie wusste, da gab es Stoff!

Der Zuhälter tobte vor Wut, weil sie vor Monaten einfach verschwunden war, ohrfeigte sie mehrmals, bis sie winselnd zu seinen Füßen lag.

„Mach das nie wieder, verdammtes Weibsstück!" brüllte er. „Und was willst du denn mit dem Balg?"
Phillip lag brüllend auf dem Boden. Er fuhr die beiden in eine Wohnung, die diesen Namen kaum noch verdiente, legte ihr ein paar Scheine auf den Tisch und ein paar Päckchen Stoff. „Teil es dir gut ein!" erklärte er. „Die nächsten Päckchen musst du dir erst verdienen!"

Die folgenden Jahre waren die Hölle für Mutter und Kind. Sie lebte nahezu ununterbrochen im Rausch, manchmal fütterte sie das Kind, manchmal lange nicht, er schrie viel, bis er merkte, dass es nichts half, er verstummte. Sie schlug ihn, wenn sie wütend war, küsste ihn, wenn sie es nicht war. Er hatte kein Spielzeug, kam kaum nach draußen.

 Er war ein wütender Fünfjähriger, als sie ihn wieder einmal alleine ließ, weil sie zum Arzt musste. Sie hatte viel Gewicht verloren, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
Die Diagnose zog ihr erst einmal den Boden unter den Füßen weg: Leberkrebs, Metastasen in der Lunge, noch höchstens drei Monate hätte sie zu leben. Sie verließ das Krankenhaus, hatte einen klaren Moment, dachte an Phillip. Sie hatte keine Ahnung, wer der Vater war, wo sollte der Junge hin, wenn sie nicht mehr da war?
„Tom!" war das erste, was ihr einfiel. Sie forschte nach seiner Adresse, packte Phillip und fuhr mit dem Bus in die Stadt.


Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt