Kapitel 53 - Freitag, 26.8. (*1*)

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Sina hatte eigentlich ausgeschlafen, genoss aber gerne das Gefühl, Tom neben sich zu spüren. Sie spürte seine Erschöpfung, er hatte kein Wort gesprochen, aber trotz der tiefen Augenringe fantastisch ausgesehen. Sie wollte sich umdrehen, um in ansehen zu können, aber seine Arme gaben keinen Zentimeter nach, hielten sie fest umklammert. Er brummelte unwillig, presste sich noch enger an sie.

Na, dann! Ergebe ich mich halt in mein fürchterliches Schicksal, dachte sie und schmunzelte vor sich hin.
Sein Atem kitzelte ihren Nacken, der Duft seines Rasierwassers benebelte sie leicht. Sie genoss die Erregung, genoss es, diesen großen kräftigen Kerl so nahe zu spüren.

Tom träumte.
Er war am Unfallort, hörte das Wimmern der Verletzten, sprach ihnen Trost zu. In einiger Entfernung stand ein schönes Mädchen mit braunen Locken. Trotz der Dunkelheit sah er komischerweise die dunkelblauen Augen ganz deutlich. Er wollte zu ihr, konnte aber die armen Menschen nicht alleine lassen. Ich muss meinen Job machen, dachte er. Aber dann kann ich zu ihr laufen, dann ist alles gut, wenn ich bei ihr bin!

Er flog weg, sie saß auf dem Copilotensitz, lächelte ihn an. „Dein Job ist wichtig!" sagte sie. „Ich bin stolz auf dich!" Dann saß wieder der Doktor neben ihm.
„Wo ist mein Mädchen?" fragte er.
„Sie wartet auf dich!" antwortete der Arzt.

„Das ist gut!" Er war so glücklich über diese Antwort. Sie wartete auf ihn, immer, für immer.
„Ich liebe sie nämlich wahnsinnig!" erklärte er dem Doc.
„Ich weiß!" sagte der. „Alle wissen das!"
Sie flogen die letzten Verletzten nach Regensburg an die Klinik, in der er gearbeitet hatte. Seltsam, dachte er. Er hob mit dem Arzt die Trage aus dem Heli, da lag das schöne Mädchen vor ihm, die Augen fest geschossen.
„Sina!" rief er erschrocken. „Sina, wach auf! Du musst aufwachen!"

Sina wurde aus einem leichten Schlummer gerissen. Tom zuckte und rief ihren Namen.
Sie streichelte seine Arme. „Tom! Tom, du träumst! Wach auf!" sagte sie leise und schüttelte ihn.

Das schöne Mädchen sprach zu ihm, obwohl es tief schlief, sagte: „Wach auf!" Aber er war doch wach, sie schlief doch!
Langsam kam er aus seinem Albtraum in die Wirklichkeit, spürte, dass er Sina im Arm hielt, viel zu fest!

Er setzte sich auf, wischte sich über die Augen. „Mein Gott, Mädchen! Ich zerquetsch dich irgendwann mal!" flüsterte er. „Puh! Habe ich ein blödes Zeug geträumt!" Er schüttelte den Kopf, ließ sich wieder aufs Kissen fallen, war todmüde und hellwach zugleich.

Sina lächelte ihn an, küsste ihn zärtlich.
Er schloss die Augen. „Das ist schön!" Sie küsste weiter, seine Lippen, sein schönes Gesicht, seine Brust, seinen Bauch. „Das ist wirklich schön!" sagte er noch und schlief lächelnd ein, hielt sie nur locker mit einem Arm fest.

Sina stand vorsichtig auf, es war fast elf, sie konnte nicht mehr liegen! Leise ging sie zum Duschen, leise zog sie sich an, leise verließ sie das Zimmer.

Ihr Frühstücksplatz war noch gedeckt, die Familie wusste ja, dass Tom erst am Morgen ins Bett gekommen war. Sina frühstückte, es war ein blödes Gefühl ohne ihn!

Dann machte sie ein paar belegte Semmeln für ihn zurecht. Josie brachte ein Tablett und eine Thermoskanne mit Kaffee für TomTom, Inga einen Teller mit kalten Schnitzeln, aufgeschnittenen Tomaten und Bauernbrot. „Für später!" sagte sie lächelnd. Kilian schleppte noch eine Flasche Holundersaft an.

Anna und Christian setzten sich zu ihr. Sie hatten in den Nachrichten von dem schweren Unglück gehört. „Na, da war er wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort!" stellte Christian fest.
„Aber irgendwann sollte er schon auch zur Ruhe kommen!" wandte Anna ein. „Und du auch, Sina!"

Die lächelte Anna an. „Weißt du, irgendwie habe ich das Gefühl, dass die Liebe uns beiden viel Kraft gibt!"
Die Wirtin nahm die Kleine in den Arm. „Dann ist es ja gut!" sagte sie und verabschiedete sich in die Küche.
Christian fragte Sina über ihre Arbeit aus, die beiden fachsimpelten eine ganze Weile.
Um ein Uhr half er ihr das Tablett nach oben zu tragen.

Als Tom aufwachte, suchte seine Hand nach seiner kleinen Krabbe. Enttäuscht fühlte er, dass er alleine im Bett lag. Ein blödes Gefühl! dachte er. Er sah auf die Uhr, ein Uhr! Na ja, verständlich, dass sie aufgestanden war. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn in den Schlaf geküsst hatte. Das war schön gewesen!
Hey! Tom! Was ist los? Lässt dich von einer Frau in den Schlaf schmusen?
Ja, und ich habe es so sehr genossen!

Da öffnete sich die Türe, Christian stellte das Tablett ab, verließ schnell das Zimmer wieder.
Sina strahlte Tom an. „Zimmerservice!" rief sie vergnügt.
Er sah sie verliebt an. Eigentlich sollte ja er sie verwöhnen!

„Kaffee?" fragte sie liebevoll.
„Eine kleine Krabbe wäre mir lieber!" Aber er musste erst duschen, er war völlig verschwitzt, auch von dem Alptraum, und er stank nach Rauch.
Als er wieder zurückkam, nahm er sie in den Arm.

„Danke, dass es dich in meinem Leben gibt!" sagte er, seine Stimme war erfüllt von Zärtlichkeit wie seine Seele auch.

Er setzte sich an den Tisch, merkte erst jetzt wie hungrig er war, hungrig auf Essen! Er verputzte das Frühstück und noch ein Schnitzel hinterher.
Dabei erzählte er von der Nacht, war dabei aber ganz aufgedreht, weil es keine Toten gegeben hatte, weil alle zusammen die vielen Opfer hatten retten können.
Sie konnte den Blick nicht von ihrem Helden lassen, was er nicht ohne Stolz bemerkte.

„Komm her, Krabbe! Jetzt habe ich aber ordentlich Lust auf Nachtisch! Ordentlich Lust auf dich!" Seine Stimme war schwer heiser. Sie antwortete nicht, sie hatte überhaupt keine Stimme mehr.
Seine Lippen zahlten ihr die wunderbaren Küsse des Vormittages zurück.
Sie liebten sich voller Zärtlichkeit, genossen lange das Gefühl der absoluten Nähe, holten sich Kraft für das Leben.

Als sie aufstanden fühlten sie sich frisch, lebendig, erfüllt, jung, verknallt bis zum Anschlag.
Sie zogen die Overalls an, packten den Imbiss ein, der noch übrig war, sprangen Hand in Hand die Treppe hinunter.
„Geht's schon wieder los?" fragte Anna besorgt.

„Irgendwann muss ich ja mein normales Programm absolvieren!" lachte Tom.
„Und dann geht es wieder an die Arbeit, wenn ihr zu Hause seid!" schimpfte sie.

Er nahm sie in den Arm, tanzte ein paar Schritte mit ihr. „Nein, liebste Anna! Dann habe ich einen Monat frei, und dann werde ich Medizin studieren!"
Die Wirtin freute sich wie eine Schneekönigin. „Echt? Super! Na, da gratuliere ich aber!"
„Das habe ich alles der süßen Maus da zu verdanken! Sie bringt mir rundum Glück!"
Er tanzte mit Sina weiter.

Lachend liefen die beiden zum Heli. „Auf geht's! Schweiz, wir kommen!" Er meldete seine geplante Route. „Und wenn es irgendwie geht, heute keine Sondereinsätze!" bat er.
Der Diensthabende lachte. „Ich versuch's!" Der Tom Bergmann! Er war schon ein Crack!

„Obwohl es ja ordentlich Kohle gebracht hat!" sagte Tom zu Sina. „Knapp 11000 Euro in den paar Tagen! Die Klinik wird sich ärgern, dass sie mich so schnell freigestellt haben."
Sina sah ihn verständnislos an. „So lange ich angestellt war, haben die das Geld bekommen, weil ich ja für sie gearbeitet habe. Jetzt bin ich eben Freiberufler!"

„Aber versteuern musst du das schon noch, oder?"
Er lachte. „Die kleine Steuerberatertochter! Ja, Süße! Das schon!"
Sie flogen über die Schweizer Gipfel und Alpentäler, landeten auf einer abgemähten Wiese, aßen ihre Brotzeit, tauschten ein paar vorsichtige Küsse, beließen es dabei, stiegen lächelnd wieder ein.


Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt