Kapitel 120 - Mitte Februar 2005 (*1*)

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Zwei Wochen später läutete es an der Türe. Sina sah auf dem Bildschirm Andreas und Christoph vom Revier am Jakobstor. Sie erschrak wieder, als sie die beiden Polizisten sah. Was war schon wieder passiert? Tom? Panik ergriff sie.
Andreas beruhigte sie, als er ihren erschrockenen Blick sah. „Nein, Sina! Es ist nichts passiert!"

Christoph berichtete, warum sie gekommen waren. „Also, wir haben eine Tote gefunden, eine Simone Bergmann, Toms erste Frau. Sie hat einen Abschiedsbrief hinterlassen, dass wir ihren Sohn zu euch bringen sollen. Er hat sie gefunden, war zu den Nachbarn gelaufen, wir haben dann den Brief gesehen. Es war eindeutig Selbstmord. Ist der Junge," sie stockten, „ ist der Junge Toms Sohn?"

„Nein! Um Gottes willen!" Sie erzählte von Simones Besuch bei ihnen. „Und wo ist er jetzt?"
„Wir haben ihn ins Leonardheim gebracht. Er ist ziemlich aggressiv!"

„Ich weiß! Er ist ein seltsames Kind!" Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen. „Wir können ihn nicht nehmen! Er erschreckt unsere Kinder! Und Tom dreht durch, wenn ich es nur anspreche!"

„Nein, um Gottes Willen, Sina! Das erwartet auch niemand! Ihr könnt nicht alle Kinder von Junkies aufnehmen! Ihr tut genug!" versicherte Andreas. Die beiden verabschiedeten sich. „Wir wollten nur, dass ihr Bescheid wisst."

Als die beiden gegangen waren, tigerte Sina durch die Wohnung. Die Kinder spielten mit ihren Autos, Lea zeigte ihnen hingebungsvoll, wie sie einzuparken waren, lernte ihnen nebenbei auch noch die Farben. Sie war ein echter Schatz! Sie war nicht ihr leibliches Kind, aber sie liebten sie über alles!

Ihre Gedanken gingen auf die Reise. Sie stieg auf die Dachterrasse hinauf, rauchte seit Monaten wieder eine Zigarette.
Immer wieder kam ihr der Tag in Erinnerung, als Simone sie besucht hatte. Sie sah den Jungen vor ihren Augen, der keine Reaktion gezeigte hatte, als er geohrfeigt wurde, geschlagen wurde!

Sie sah seine Augen vor sich, als sie Simone angebrüllt hatte, ihn nicht zu schlagen. Sie sah den winzig kleinen Hoffnungsschimmer vor sich, der dabei in seinen Augen aufgeblitzt war. Sie vergoss bittere Tränen über dieses Kind, über sein Schicksal. Es war fünf Jahre alt, war unschuldig an seinem Schicksal. Konnte man ihn nicht doch noch retten? Konnten sie ihn vielleicht retten?

Als Tom nach Hause kam, sprach sie das Thema an. Sie hatten sich versprochen, über alles zu reden, hatten das auch immer praktiziert.
Doch er reagierte absolut negativ auf ihre Gedanken. „Vergiss es, Sina! Vergiss es ganz schnell!" hatte er geantwortet.

„Aber er ist ein Kind! Ein unschuldiges Kind!" hatte sie angeführt.
„Er ist kaputt! Er hat unsere Kinder erschreckt! Zum Weinen gebracht!" wehrte er ab.
„Aber...."
Er schnitt ihr das Wort ab. „Nein! Nichts aber! Ich möchte kein Wort mehr hören in dieser Sache!"

Sie sah ihn erschrocken an. So hatte er noch nie mit ihr gesprochen! Er sah ihren Blick, schämte sich für seinen Ton. „Entschuldige, Süße! Aber ich will wirklich nicht darüber nachdenken müssen, dieses Kind bei uns aufzunehmen!"

Sie schluckte seine Worte, war aber den ganzen Abend bedrückt. Tom spürte, dass sie litt. „Sina, wir können nicht alle Kinder, die unter einem schlechten Stern geboren wurden, aufnehmen und retten!" gab er zu bedenken. Als er sie in die Arme nehmen wollte, wehrte sie ihn ab.
„Ich bin müde!" sagte sie und ging ins Bett.

Tom hatte ein schlechtes Gefühl in sich, ein sehr schlechtes Gefühl!
Verdammte Simone!
Okay, sie war tot, aber sie hatte es so gewollt!
Sie hatte die Entscheidung all die Jahre in der Hand gehabt!
Und jetzt sollte er, sollte seine Familie dafür bezahlen, dass er als sehr junger Mann den Fehler seines Lebens gemacht hatte?

Warum hatte sie ihm das angetan?
Warum musste seine Krabbe jetzt darunter leiden?
Die kleine Krabbe mit dem riesigen Herzen?

Er konnte nicht nachgeben!
Es würde ein Fiasko werden!
Seine Familie würde leiden!
Sie würde dieses Kind vergessen, irgendwann würde sie dieses schreckliche Kind vergessen!

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt