Kapitel 88 - Susanne

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Susanne begriff nach ein paar Tagen, dass sie Hilfe annehmen musste, wenn sie hier wieder rauswollte. Sie erklärte sich zu einer Gesprächstherapie bereit. Dr. Münster hatte ein paar Informationen von der Polizei und der Untersuchungsrichterin gesammelt, wusste, wo er anzusetzen hatte.

Sie reagierte auf alle seine Fragen höchstagressiv und hasserfüllt. So hasserfüllt, wie der erfahrene Arzt es noch nie erlebt hatte. Er nahm alle Gespräche auf, hörte sie noch einmal an, war tief erschüttert von diesem grenzenlosen Zorn in der Stimme der jungen Frau. Nach ein paar Tagen telefonierte er mit Bernadette.

„Frau Dr. Hofer, ich möchte Sie um eine richterliche Verfügung bitten, Frau Susanne Christen auf unbestimmte Zeit hier zu lassen. Ich kann nicht zu viel sagen, aber ich fürchte wirklich um das Leben von Sina Christen und Tom Bergmann, wenn sie nach Hause will, und ich sie gehen lassen muss."

Bernadette zögerte keine Sekunde. „Ich schicke sie sofort los!" versprach sie. Ihr wurde heiß und kalt.
„Sie werden mich sofort informieren, wenn sie die Klinik verlässt!" bat sie eindringlich.
„Natürlich!"

Der Arzt versuchte mit verschiedenen Taktiken vorzugehen, stieß aber immer auf eine uneinnehmbare Mauer der Wut.
„Ich gehe nach Hause!" bestimmte Susanne nach ein paar Tagen.
„Das werden Sie nicht!" hielt der Arzt dagegen und berichtete von der richterlichen Verfügung.

Susanne bekam einen Tobsuchtsanfall, zerlegte das halbe Therapiezimmer, bevor zwei Pfleger sie festhalten konnten und Dr. Münster ihr eine Beruhigungsspritze gab.
Die nächsten Tage sperrte sie sich wieder gegen alle Maßnahmen.

 Sie lag im Bett, schmiedete Rachepläne, sie würde Sina umbringen, sie war schuld, dass man sie hier einsperrte.
Oder besser noch: Sie würde Tom umbringen, oder noch besser, die Kinder, diese Bälger, die noch gar nicht geboren waren und ihre Eltern schon so vereinnahmten, dass sie für sie keine Zeit mehr hatten.

Sie wollte ihre Mama sehen, sie würde sie verstehen, sie würde sie mit nach Hause nehmen, ihr Kakao kochen, sie in den Arm nehmen, ihr sagen, dass sie sie liebte.
Liebte!
Warum konnte niemand sie so lieben wie Sina?
Die hatte Max gehabt, war aber nie zufrieden, das verzogene Gör!

Wollte sich scheiden lassen, um ihr wieder alle Männer wegnehmen zu können!
Sie musste weg.
Endgültig weg!

„Mama!" weinte sie in ihr Kissen.
Die Stationsärztin setzte sich zu ihr ans Bett. „Möchten Sie Ihre Mutter sehen?" fragte sie mitleidig.
„Ja, meine Mama hat mich lieb!" schluchzte Susanne.
„Ich rufe sie an, dass sie kommt, in Ordnung?"
„Ja, bitte!"

Pia erschrak als sie ihre älteste Tochter sah. „Schatz! Was machst du denn für Sachen!" Sie nahm Susanne in den Arm.
„Mama! Ich möchte nach Hause! Ich möchte zu dir!"
„Das geht nicht, Kind! Der Arzt sagt, du musst noch eine Weile hier bleiben!"

Schlagartig wechselte Susannes Stimmung. „Das ist Sinas Schuld! Sie hat das angeleiert, damit ich aus dem Weg bin! Damit sie alle Männer bekommt!"
„Susanne, was hast du denn immer mit den Männern! Sina hat doch Tom! Sie will doch gar keinen anderen!"

„Aber alle wollen sie! Alle! Schon immer!" stieß Susanne wütend hervor.
„Mädchen! Lass doch mal die Vergangenheit ruhen! Schau doch nach vorne! Werde gesund!" bat die Mutter.
„Niemals!" Susanne steigerte sich wieder in ihren Hass. „Sina muss weg! Tom muss weg! Die Kinder müssen weg!"

Pia stand auf.
Sie konnte nicht mehr.
Sie konnte diese Tochter nicht mehr ertragen.
Diese Tochter, die alles gehabt hatte, der die Welt offen gestanden war, die lieber ihren Hass lebte als ihr Leben.

„Ich gehe jetzt, Susanne! Und so lange du so über Sina sprichst, komme ich auch nicht wieder!"
Die Tochter sprang aus dem Bett, schlug nach ihrer Mutter, ohrfeigte sie, bis die Nase blutete, schubste sie gegen die Wand, trommelte mit den Fäusten auf sie ein.

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt