Kapitel 126 - 2006 (*3*)

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Kurz nach vier kamen sie bei Marie und Patrick an. Die unvergleichliche Marie hatte Kuchen gebacken, es wurde eine vergnügte Kaffeerunde. Patrick sah Sina lächelnd an. Sie schnurrte und schmuste um Tom herum wie ein Kätzchen.

Das „Hinlegen" hatte den beiden sichtlich gut getan.
Er konnte sich nie sattsehen an seiner glücklichen Schwester, genoss es so sehr, wie gut es ihr mit dem Schwager ging, und ihm natürlich mit ihr. Nur selten noch tauchten Erinnerungen an früher auf: Sina mit herunterhängenden Mundwinkeln, dunkle Ringe unter den toten Augen, wortlos, verstummt!

Er wollte heute wieder einmal sein Lieblingsthema ansprechen. Vielleicht hatten sie ihre Meinung geändert, seit die Kinder größer geworden waren.
„Also, ich versuch's heute noch mal!" begann er. „Habt ihr es euch nicht doch noch überlegt mit dem Hausbau?" Er hatte damals ein extra großes Grundstück gekauft, weil er den Traum hatte, die beiden würden auf dem südlichen Teil bauen.

Für den Grund bräuchten sie nichts zu bezahlen. Zwischen den Häusern könnten sie eine gemeinsame Spielzone für die Kinder planen. Jedes Grundstück wäre eingezäunt, damit die Privatsphäre gewahrt blieb.
Tom lächelte. Er musste zugeben, dass er in letzter Zeit auch schon öfter darüber nachgedacht hatte!

Sina sah ihn fragend an. Dieses Lächeln konnte doch bedeuten, dass er jetzt zustimmen könnte! Sie wäre schon länger bereit gewesen, vor allem seit Phillip zu ihnen gekommen war und das Wohnzimmer einer Rumpelkammer glich. Aber es war Toms Wohnung, und sie liebten es beide, mitten in der Stadt zu wohnen. Andererseits wurde es auch jährlich lauter, feiernde Gruppen zogen grölend bis zum Morgengrauen durch die Gassen. Im Sommer war an Schlaf bei geöffneten Fenstern kaum zu denken!

„Was denkst du darüber, Sinamäuschen?"
Sie erläuterte ihm ihre Gedanken, und er merkte, dass es wieder einmal seine waren. Außerdem wäre er schneller an der Klinik vom Westen als wenn er erst immer durch die ganze Stadt musste.

„Also abgemacht?" Sie schlugen sich ab, Patrick und Marie strahlten. Finanziell würde es kein Problem geben, sie hatten beide eine Menge verdient in den letzten Jahren und kaum etwas ausgegeben. Sie müssten nicht einmal die Wohnung verkaufen, hätten durch die Miete eine zusätzliche Sicherheit.

Ab Oktober würden zwar Toms Zusatzverdienste wegfallen, dafür bekäme er ein regelmäßiges Gehalt im hohen vierstelligen Bereich. Er war immer noch zufrieden mit sich, dass er von Sinas Geld nichts hatte anrühren müssen, etwas, was manchmal zu einem kleinen Geplänkel zwischen ihnen geführt hatte, bis sie sich damit abfand, dass er zwar der perfekte Ehemann und Vater war, in Gelddingen aber ein Supermacho.

„Und besteht eine winzig kleine Möglichkeit, dass ich etwas zu den Kosten beitragen darf?" fragte sie ironisch angehaucht. Tom sah sie schelmisch an. „Ich denke mal, die Haustüre darfst du bezahlen!"
„Oh!" Sie tat sehr verwundert. „Das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt habe!" Sie wusste, dass auf beiden Konten etwa die gleichen Summen standen. Irgendwie hatten sie es nie auf die Reihe bekommen, die Gelder ein bisschen gewinnbringender anzulegen.

„Nein, Süße! Wir machen Halbe – Halbe, ich versprechen es dir!" Tom wusste, er musste hier nachgeben.
„Wobei, wenn ich bedenke, dass du es mehr mit der Stochastik als mit der Algebra hast, bin ich überzeugt, dass deine Hälfte wohl zwei Drittel der Kosten betragen wird!"

Tom grinste Patrick an. „Sie scheint mich schon ein bisschen zu kennen!"
Der Bruder stand lachend auf, kam mit einem gefalteten Bogen zurück. „Jetzt bitte nicht böse sein, aber ich habe mir schon ein paar Gedanken gemacht."

Er legte den Bauplan vor die beiden. „Also, im Souterrain eine Einliegerwohnung, weil ich der Meinung bin, früher oder später braucht ihr eine Haushälterin, die vor allem kocht, weil sonst früher oder später eure Kinder verhungern werden!"

Sina und Tom sahen sich an. Diese sanfte Kritik ihres Bruders hatte durchaus ihre Berechtigung. Sie hatten ihr Leben perfekt im Griff, meisterten alles mit links, nur das Einkaufen und Kochen bekamen sie nicht auf die Reihe!

Manchmal hatte ihre Mutter Essen gebracht, manchmal auch Marie, meisten aber hatten sie bei Lieferdiensten bestellt oder waren essen gegangen. Aber es hatte sie nicht gestört, keines ihrer Kinder sah unterernährt aus, sie hatten sich auch oft über ihre gemeinsame Unfähigkeit kringelig gelacht.

Sie sahen weiter in den Plan. „Erdgeschoss: Küche, wozu auch immer, Wohnzimmer, Arbeitszimmer, Gästezimmer, Gästebad, Hauswirtschaftsraum, Speisekammer – wozu auch immer!" zog Patrick sie auf. „Erster Stock: Schlafzimmer mit Bad, Zwei Mädchenzimmer mit zwischenliegendem Bad, zwei Jungenzimmer mit zwischenliegendem Bad, zwei geschlechtslose Zimmer mit Bad!"

„Sechs Kinderzimmer? Bist du des Wahnsinns?" stöhnte Tom, sah Sina gespielt erschrocken an. „Was planst du, Süße?"
„Ich?" verteidigte sie sich. „Vielleicht hast du noch ein paar Exfrauen, die uns ihren Nachwuchs aufs Auge drücken wollen!" Tom sah ihr einen winzigen Moment in die Augen, sah aber nur schelmisches Glitzern.

„Touchè, ma Generalissima!" sagte er lachend, zog sie an sich, küsste sie zärtlich.
Patrick war aber noch nicht fertig mit seinen Erklärungen. „Seht ihr diesen Anbau? Das ist der Gag! Das ist Toms Nachtdienst-Schlafzimmer! Schalldicht, mit Klimaanlage und kleinem Bad.
Auf dem begrünten Fast-Flachdach kann eine Dachterrasse angelegt werden, unten gibt es eine umlaufende Terrasse, im ersten Stock einen umlaufenden Balkon, neben dem Haus eine große Doppelgarage mit Platz auch für Fahrräder."

Tom sah seine schöne Frau an, tippte sich auf die Stirne. „Der spinnt, dein Bruder!" zog er ihn auf. „Und, Schwagerherz, wie viel kostet dieses perfekt für uns geplante Domizil?"

„Also, für das Grundstück braucht ihr ja nichts bezahlen, das Geld ist von Dad, da gehört Sina so wie so die Hälfte. Für das Haus habe ich einen Kostenvoranschlag über 380.000 Euro!"
„Du spinnst! Das reicht nie!" Sina war mehr als skeptisch.

„Doch, Schwesterchen! Es sind nur gerade Wände, ein viereckiger Quader, keine Erker, keine Rundungen, keine Vorbauten!" versicherte er.
Tom verschluckte sich an einem Lachanfall. Sina sah ihn fragend an. „Rundungen und Vorbauten hat meine Kleine ausreichend!" flüsterte er ihr ins Ohr. Sie knuffte ihn. „Du Depp!" sagte sie, was ihn nur noch mehr lachen ließ. Wenn seine kleine Krabbe, die ein astreines Hochdeutsch sprach, „Du Depp!" sagte, kriegte er sich immer nicht mehr ein.

„Also abgemacht!" bestimmte Sina. „Jetzt muss der Bauplan nur noch genehmigt werden!"
Patrick grinste. „Schon passiert! Die Baufirma scharrt mit den Hufen, nächsten Sommer könnt ihr einziehen!"
Tom bekam den nächsten Lachanfall. Er hob die Hände, ergab sich. „Gut! Okay! Welche Fliesen nehmen wir?" fragte er Patrick.

Der schlug ihm auf die Schulter. „Das, Lieblingsschwager, dürft ihr alles alleine entscheiden! Küche, Bäder, viel Spaß dabei!"
„Nein! Echt? Wow! Es geschehen noch Zeichen und Wunder!"

Er nahm seine Krabbe hoch, drehte sich mit ihr im Kreis. Jetzt, da die Entscheidung gefallen war, freute er sich riesig auf das Haus! Ein neuer Lebensabschnitt begann, ein neues Abenteuer!
Er umarmte Patrick. „Vielen Dank!" brachte er gerade noch heraus. Dann fiel ihm etwas ein.

„Aber Süße, da du ja praktisch das Grundstück stellst, geht das Haus auf meine Kosten!"
Sina sah auf die Uhr. „Na, das hat aber gedauert! Zwanzig Minuten! Mit diesem Satz hatte ich jetzt früher gerechnet!"

Tom sah Patrick mit gespielter Verzweiflung an. „Was macht man jetzt mit so einem frechen Biest?"
Der zuckte nur mit den Schultern.
„Na gut! Ich weiß schon! Ich werde sie einfach weiter lieben wie verrückt!" Zum Beweis knutschte er sein verrücktes Mädchen einfach nieder.

Die Kinder kamen angelaufen. „Papa und Mama küssen sich!" warnte Lea wieder einmal.
„Was sonst!" sagte Phillip lachend. Die Zwillinge waren immer noch begeistert von ihren neuen Worten. „Aufdringliche Frauen! Aufdringliche Frauen!" sangen sie.

„Ich hoffe, die meinen nicht mich!" Sina drohte ihnen mit dem Finger. „Freche Bande!"
„Okay, dann fahren wir mal nach Hause!" Tom sprang auf.
„Was esst ihr heute Abend?" fragte Marie.

Die beiden sahen sich fragend an.
Marie lachte. „Ich habe einen Schweinebraten im Ofen. Setzt euch! Ist gleich fertig!" Sie ging lachend in die Küche. Diese Familie war einfach nur chaotisch, aber so liebenswert!


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