Kapitel 70 - 12.9. -18. 9. (*1*)

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Der erste Tag des neuen Schuljahres begann mit der Konferenz. Sina wurde von allen freundlich begrüßt, alle mochten sie. Manche wussten von Max' Tod, waren sich nicht recht klar darüber, wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten.

Der Chef eröffnete die Konferenz. „Zuerst möchte ich Frau Christen unser aller Beileid zum Tod ihres Ehemannes aussprechen. Erheben Sie sich bitte für eine Schweigeminute!"

Sina zogen seine Worte fast den Boden unter den Füßen weg.
„Nein! Bitte nicht!" stammelte sie.
„Aber Frau Christen, bitte, ein wenig Pietät einem Toten gegenüber sollten wir schon wahren!"
Er sah sie durchdringend an.

Sie sprang auf, verließ das Lehrerzimmer, rutschte auf dem Gang an der Wand entlang zu Boden. Damit hatte sie nicht gerechnet! Alles brach wieder auf: Sein Alkoholatem, sein irrer Blick, seine Ohrfeige, seine würgenden Hände an ihrem Hals. Sie wurde von einem Schüttelfrost gepackt, Tränen liefen ihr übers Gesicht.

Ihre Freunde fanden sie zitternd und weinend vor der Türe.
„Was ist los, Sina?" fragte Walter, ein Kollege, der ihr besonders nahe stand.
„Er...Er hat..... Er hat versucht mich umzubringen! Ich .... ich...ich wäre fast gestorben!" stammelte sie.

Der Chef hatte ihre letzten Worte mitbekommen. „Aber er war immerhin ihr Ehemann!" sagte er unnatürlich scharf. „Sie wollten sich schließlich von ihm trennen!"

„Und das gibt ihm das Recht, mich zu erwürgen?" schrie sie ihn an.
Der Chef war überrascht. Sie war eine sehr fügsame Kollegin gewesen die ganzen Jahre, hatte ihm nie widersprochen, hatte sich nie beklagt, hatte alles klaglos gemacht, was er ihr aufgetragen hatte! Und jetzt machte sie einen solchen Aufstand!

„Können wir jetzt weitermachen?" fragte er kalt. „Sie schreiben heute Protokoll!" Damit war die Diskussion für ihn beendet.

Sina begriff. Sie stand auf seiner Abschussliste! In jedem Schuljahr brauchte er eine Kollegin, an der er seinen Frust, worüber auch immer, auslassen konnte. Sie war bisher davon verschont geblieben, weil er sie brauchte – für zahlreiche Vertretungen, für die ganz Verwaltungsarbeit, die er ihr aufhalste.

Sie war wegen ihrer vielen Jobs innerhalb des Schullebens bisher immer vom Protokollschreiben verschont worden, dass er ihr ausgerechnet bei der ewig langen Anfangskonferenz diese Aufgabe zuteilte, sprach Bände.

Tom! dachte sie. Tom! Ich will bei dir sein! Ich vermisse dich!
Aber der Gedanke an ihn, an die letzte Nacht, an seine unglaublichen Zärtlichkeiten, an seine Liebe gab ihr eine unheimliche Kraft, ließ sie aufstehen, ihm fest in die Augen sehen.

„Ja, natürlich! Gerne!" sagte sie und lächelte den Chef strahlend an.
Der war total verunsichert, hatte eine ganz andere Reaktion erwartet.
Vier Stunden später legte sie ihm ein perfekt ausformuliertes Protokoll zur Unterschrift vor. Fast tat ihm seine Überreaktion leid, aber das konnte er natürlich nicht eingestehen.

Sina fasste ihren ganzen Mut zusammen. Sie hatte keine Angst mehr vor seinen Launen, die Liebe Toms hatte sie stark und selbstbewusst gemacht.
„Übrigens, ich lebe in einer neuen Beziehung, und ich erwarte Zwillinge!" haute sie ihm ohne Vorwarnung um die Ohren.

Er war vollkommen und total sprachlos, sah sie fassungslos an.
„Und.... und wann gedenken Sie zu heiraten?" fragte er schließlich gepresst.
„Gar nicht!" antwortete Sina hocherhobenen Hauptes.
„Das geht auf keinen Fall! Kein Mitglied meines Kollegiums wird ein uneheliches Kind bekommen!" fauchte er sie an.

„Doch! Wird es! Ich nämlich! Zwei sogar!" Sina glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Nein! Niemals! Dann müssen Sie die Schule verlassen!"
„Wie bitte? Wir leben im 21sten Jahrhundert!" hielt sie dagegen.
„Aber an dieser Schule zählen noch christliche Werte! Die lasse ich mir nicht von Ihnen zerstören!" fauchte er.

Es lohnt sich zu kämpfenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt